Borussia Dortmund:"Das war kein Elfmeter, das war Theater"

Mit scharfen Worten kritisieren BVB-Verantwortliche nach dem 1:1 gegen Lazio den Elfmeterpfiff des spanischen Schiedsrichters. Schlimmer: Mittelstürmer Haaland fällt bis Januar aus.

Von Freddie Röckenhaus, Dortmund

Das schmerzverzerrte Gesicht von Mats Hummels war irgendwie das Bild des Abends. Wenige Minuten vor dem Abpfiff humpelte Dortmunds Kapitän, von Vereinsarzt Markus Braun gestützt, vom Spielfeld. Sein früherer BVB-Kollege Ciro Immobile war ihm im Getümmel unglücklich auf den rechten Fuß gestiegen. Aber wie es mit den sozialen Medien heute so läuft, postete Hummels wenig später die Entwarnung selbst: "Ich komme gerade aus dem Krankenhaus. Es sieht nicht so schlimm aus. In ein paar Tagen könnte ich wieder fit sein." Den Ärger über einen absurden Elfmeterpfiff gegen den BVB konnte diese gute Nachricht allerdings nicht besänftigen.

Es war der Abend der bittersüßen Erlebnisse. Nach dem 1:1 im Champions League-Heimspiel gegen Lazio Rom hat sich Borussia Dortmund einen Platz im lukrativen Achtelfinale gesichert, zum elften Mal, seit es den Wettbewerb gibt. Aber am kommenden Dienstag braucht der BVB in St. Petersburg wohl einen Auswärtssieg, um auch in der Endabrechnung Tabellenerster zu bleiben - und damit einen vermeintlich etwas leichteren Gegner in der ersten K.o-Runde zu ziehen. Lazio spielt nächste Woche gegen Brügge, und man kann den Römern nach der starken Leistung in Dortmund einen Sieg durchaus zutrauen. Da Lazio schon das Hinspiel gegen den BVB gewonnen hatte (3:1), lägen die Italiener bei Punktgleichheit im direkten Vergleich vor Dortmund.

So waren die Gefühle in Dortmund an diesem Mittwochabend an allen Fronten gemischt. Schon vor dem Anpfiff kam die ernüchternde Botschaft, dass sich Torjäger Erling Haaland einen Muskelfaserriss zugezogen hat. "Bis Januar", so Sportdirektor Michael Zorc, falle der Norweger aus. Trainer Lucien Favre kommentierte Haalands Blessur bei Sky vielsagend: "Er hat vielleicht zu viel gespielt." Das war ein wenig diplomatischer Hinweis darauf, dass sich Jungstar ebenso spöttisch wie öffentlich beklagt hatte, wenn ihm Favre, wie allen anderen jungen Spielern, auch mal eine Arbeitspause gönnen wollte und ihn vor Spielende vom Feld holte. Haaland hatte sich gewehrt gegen diese Art von Belastungssteuerung, wie das im Trainingsdeutsch neuerdings heißt. Jetzt badet die Mannschaft die Verletzungspause des Torjägers gemeinsam aus.

Mit einem Sieg gegen Lazio, der zumindest in der ersten Halbzeit greifbar nahe schien, wäre der Gruppensieg schon klar gewesen, und man hätte das letzte Spiel bei Zenit St. Petersburg als Trainingsspiel und zum Verschnaufen für die Stammkräfte nutzen können. Doch am Ende des Abends kam nicht nur die Sorge um Hummels auf, sondern vor allem der frühere Borusse Immobile. Er ballerte sich mit jeder Minute mehr in Schusslaune, und nur drei starken Paraden von Roman Bürki verdankte Dortmund am Ende überhaupt noch das Unentschieden.

Raphael Guerreiro hatte kurz vor der Pause nach hübscher Kombination das 1:0 erzielt. Der Ausgleich durch ein Strafstoß-Tor von Immobile war dagegen höchst unglücklich: Sergej Milinkovic-Savic hatte gegen den Minuten zuvor eingewechselten Nico Schulz eine eher plumpe Schwalbe hingelegt und sich mit beiden Füßen abgedrückt. Für den spanischen Schiedsrichter Antonio Mateu Lahoz allerdings nicht plump genug, und auch die Video-Assistenten hatten keine Einwände: Den Strafstoß versenkte Immobile knochentrocken.

"Das war kein Elfmeter", giftete Favre nach Spielende ungewohnt scharf, "das war Theater. Und keiner sagt etwas." Auch Zorc ließ es an Deutlichkeit nicht mangeln: "Da kann man nur eine Meinung haben, wenn man die Bilder gesehen hat - vor allem, wenn man die Zeitlupe hat. Die hatte er auf dem Feld nicht, aber dann braucht man den Videoschiedsrichter nicht mehr, wenn so eine offensichtliche Fehlentscheidung dann nicht korrigiert wird." Zorc stellte den Schiedsrichter nach dem Spiel zur Rede, er wollte wissen, warum der Schiedsrichter zunächst habe weiterspielen lassen und es sich erst einige Sekunden später anders überlegte - offenbar nach Hinweis des Linienrichters. Der Unparteiische habe nur darauf verwiesen, dass er "ein gutes Team" habe, berichtete Zorc. Er selbst blieb aber dabei: "Der Videoschiedsrichter wird ad absurdum geführt, wenn ein solcher Elfmeter nicht zurückgenommen wird. Der muss einschreiten, sonst weiß ich nicht, warum wir das ganze Prozedere haben."

Tatsächlich war der Elfmeter eine so bizarre Fehlentscheidung, wie man sie sonst nur aus finsteren Zeiten kannte, als Klubs wie Real Madrid bisweilen von Pfiffen profitierten, die sich niemand sonst erklären konnte. Das änderte aber nichts daran, dass Dortmund sich schon vor diesem Elfmeter in eine merkwürdige Defensivhaltung zurückgezogen hatte. Vor der Pause attackierte Favres Mannschaft mit sehr hoch pressenden Außen- und Mittelfeldspielern, der BVB dominierte das Spiel mit Leichtigkeit. Das sah nach der in Dortmund schon bekannten Wiedergutmachung für das verkorkste Bundesligaspiel vom Vorwochenende aus, in diesem Fall für das 1:2 gegen den monatelang sieglosen 1. FC Köln. Nach dem 1:0 von Guerreiro aber sanken die Dortmunder unverständlich tief in die eigene Hälfte ab. Am Ende wurden zwar 13:12 Torschüsse für Dortmund verbucht, aber die Chancen der Römer waren hochkarätiger - auch ohne Tor aus dem Spiel heraus.

Was war passiert? Entweder hatten die Dortmunder bei Halbzeit beschlossen, sich ab jetzt aufs Abwarten zu verlegen und den Gegner machen zu lassen; oder die Regieanweisung von Favre war für den misslungenen Kurswechsel zuständig. Auf einen Einsatz von Mittelstürmer-Talent Youssoufa Moukoko, 16, verzichtete Favre komplett. Dass der enge Spielplan die Kräfte allmählich schwinden lässt, wurde von Zorc am Mittwoch erstmals zu bedenken gegeben. Allerdings gilt das so ähnlich auch für Lazio und praktisch alle Klubs, die international spielen und viele Nationalspieler stellen.

Jene BVB-Spieler, die im Mannschaftsrat sitzen - neben Hummels auch Marco Reus, Axel Witsel, Thomas Delaney und Emre Can - werden bald auch außerhalb des Rasens Entscheidungen treffen müssen. Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke möchte die Corona-Gehalts-Regelung mit den BVB-Profis verlängern. Bisher verzichten die Spieler in Phasen von sogenannten Geisterspielen auf etwa 10 Prozent ihrer Bezüge. Diese Vereinbarung endet zum Jahresende. Watzke will sie bis zum Sommer verlängern.

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