Borussia Dortmund:Das Gift ist raus

Im Rampenlicht des Tabellenführers steht Trainer Jürgen Klopp - dahinter jedoch zieht Michael Zorc die Fäden: Wie der Manager sich selbst und Borussia Dortmund verändert hat.

Freddie Röckenhaus

Es gibt Leute bei Borussia Dortmund, die behaupten, Michael Zorc sei ein anderer Mensch geworden. Aber weil es ein so persönliches Urteil ist, mag nicht einmal Zorcs Vorgesetzter, der Vorstandschef Hans-Joachim Watzke, allzu weit gehen mit seinen Analysen über den Manager des Dortmunder Höhenflugs. "Er hat sich sehr weiterentwickelt", sagt Watzke vorsichtig, "vor allem in Sachen Menschenführung, im psychologischen Moment. Und er ist lockerer geworden."

Borussia Dortmund v Bayer Leverkusen - Bundesliga

"Es sind schon Manager bei anderen Klubs mit einem Heiligenschein ausgestattet worden": Michael Zorc will sich nicht einreihen.

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Zorc, der mit Watzke und Trainer Jürgen Klopp den BVB von 2010 aufgestellt hat, wirkt in der Tat locker. Nur, dass er immer noch nicht der Typ ist, der über seine Befindlichkeiten reden würde. Lediglich einmal hat sich Zorc in all den Jahren, die er bei Borussia Dortmund ist, ins Seelenleben schauen lassen. Das war, als ihn sein damaliger Trainer Ottmar Hitzfeld allmählich auf die Ersatzbank drängte. Im Champions-League-Finale, das Dortmund 1997 gewann, durfte der Kapitän erst zehn Minuten vor Schluss aufs Spielfeld, als Gnadenakt.

In Zorc wütete es damals, und er ließ seinen Zorn heraus. Mit 15 Toren, die er in jener Saison meist als Einwechselspieler erzielte, mit geballten Fäusten, Schimpfkanonaden, Abwanderungsdrohungen. Zorc war damals ein vergifteter Spieler, aber er blieb, weil ihm das angehäufte Kapital an Meriten im sentimentalen Dortmund zu hoch war, um es aus dem Fenster zu werfen.

Heute, nach zwölf Jahren als Manager, sind Rückstände des Gifts dieser Zeit kaum noch nachweisbar. Zorc scheint ein bisschen zu schweben in seinem weitläufigen Büro. "Alle sagen, ich wäre lockerer geworden", sagt er grinsend. Das ist schon viel für einen, der stets alles Persönliche wegschieben will. Zorc sagt: "Das liegt daran, dass wir uns hier in der personellen Konstellation wohler fühlen. Wir wissen, wenn mal was nicht klappt, wird auch das gemeinschaftlich getragen. Man wirkt dann wohl lockerer."

In Dortmund haben sie in den letzten zweieinhalb Jahren die Leichtigkeit des Seins neu erfunden. Alles mit schwerer Trainingsarbeit und langen Bürostunden, aber gerade deshalb irgendwie locker und befreit, wie es das im schwerblütigen Dortmund noch nie war. Zorc hat als Spieler die schweren Zeiten erlebt, Mitte der Achtziger, mit dem Beinahe-Abstieg. Dann den Aufstieg zum Krösus mit meist gepumptem Geld in der Ära von Präsident Gerd Niebaum und seinem Manager Michael Meier.

Es folgte der Kollaps Ende 2003, die Beinahe-Insolvenz 2004 und 2005. "Wir haben damals hier Entlassungen erlebt, Änderungskündigungen, es wurde der Kostenapparat praktisch auf Zweitliga-Maß heruntergefahren", sagt er. Danach kam die "Professionalisierung", wie er es nennt.

Und nun der Höhenflug, mit einer Mannschaft, die so jung ist, dass alle Spieler seine Söhne sein könnten und für die gestern angeblich der AC Mailand, heute Juventus Turin und morgen der FC Barcelona Millionen ausgeben will. Die Differenz zwischen dem Buchwert der BVB-Mannschaft und dem aktuellen Marktwert beziffert Watzke mit "inzwischen deutlich über 100 Millionen Euro".

Der neue Zorc

Die Mannschaft gilt zwar als Gesamtkunstwerk von Jürgen Klopp, aber beim BVB wissen sie den Anteil von Sportdirektor Zorc zu würdigen. Ihm gelangen Transfers wie die von Lucas Barrios, Mats Hummels, Shinji Kagawa, Sven Bender - ein Coup nach dem anderen. "Es sind schon Manager bei anderen Klubs mit einem Heiligenschein ausgestattet worden", sagt er, "und dann hat sich das alles auch wieder relativiert."

Es gebe zwar bei Borussia Dortmund "eine Strategie, ganz gezielt junge Spieler zu entwickeln", aber die sei nicht am Reißbrett entstanden und man habe dafür keinen Masterplan gehabt. "Ich mag Leute nicht", sagt er, "die sich hinterher für schlauer erklären, als den Rest der Welt. Du handelst im Fußball immer nur mit Wahrscheinlichkeiten."

Dass Dortmund so unwahrscheinlich erfolgreich ist, liegt auch an der Systematik, hinter der auch Zorc steckt, der als junger Spieler ein Wirtschaftsstudium angefangen hatte, es aber wegen der Doppelbelastung nicht zu Ende brachte. "Wir haben viel Geld ins Scouting-System gesteckt. Wir arbeiten mit einer kostspieligen Software, die dir auf ein paar Knopfdrücke detaillierte Daten über alle Spieler der 25 wichtigsten Ligen der Welt auswirft. Wenn mir also heute jemand einen Spieler aus Brasilien oder Argentinien anbietet, hat man sofort Wissen zur Verfügung", sagt er.

Die wahre Veränderung beim "neuen Zorc" erlebt man, wenn man ihn auf sein Verhältnis zur jungen Mannschaft anspricht. Zorcs Sozialisation als Spieler fand mit den aufgebufftesten Profis seiner Ära statt, Sammer, Reuter, Kohler oder Möller. Eine Söldner-Truppe, die ihren Trainer Hitzfeld in die Emigration trieb. Vom Zynismus dieser Generation scheint Zorc sich gelöst zu haben. "Ich möchte nicht als naiv gelten", schiebt er voran, "aber vielleicht schaffen wir es hier in Dortmund gerade, gewisse Gesetzmäßigkeiten auszuhebeln."

Was er meint: "Die meisten, die bei uns verlängern, könnten woanders mehr verdienen, aber der unheimliche Zusammenhalt in dieser Truppe führt dazu, dass sie ihre Entwicklung weiterhin zusammen erleben wollen." Die "88er-Generation" nennen sie die Jungschar aus den Jahrgängen um 1988 im Klub. Diese Generation hat etwas in Bewegung gebracht, im Verein und in Zorc.

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