Probleme bei Borussia Dortmund:Der Fluch der Samtpfötigkeit

Bayern München - Borussia Dortmund

Sein Ruf leidet gerade: Dortmunds Trainer Lucien Favre.

(Foto: dpa)
  • Der BVB schließt mit Puma einen neuen Ausrüstervertrag über 250 Millionen Euro ab.
  • Parallel dazu muss der Klub aber im Heimspiel gegen Paderborn das 0:4 beim FC Bayern verdrängen.
  • Trainer Favre verordnet seiner Elf bis Weihnachten einen Durchmarsch.

Von Freddie Röckenhaus, Dortmund

Die wirklich wichtigen Nachrichten im Fußball von heute kommen oft gar nicht vom Fußballplatz. Auch nicht im Fan-Eldorado Dortmund. Zwei Wochen nach dem ernüchternden 0:4 bei Bayern München und kurz vor dem Heimspiel an diesem Freitag gegen den Tabellenletzten SC Paderborn meldete der BVB beinahe beiläufig die Verlängerung des Vertrages mit seinem Ausrüster Puma. 250 Millionen Euro, eine sagenhafte Viertelmilliarde, kassiert Borussia Dortmund dafür in den nächsten acht Jahren (circa 30 Millionen pro Saison). Und dabei ist Puma, im Vergleich zu den Giganten Nike und Adidas, nicht einmal einer der ganz Großen im Sportmarkt. Puma aber ist auch potenter Aktionär der Dortmund AG, und deshalb mit dem BVB so eng verbandelt wie Adidas mit den Bayern. Die Aussicht auf 250 Millionen Euro frische Werbegelder macht das Spiel gegen einen Abstiegskandidaten wie Paderborn jedoch kein bisschen leichter.

Trotzdem sind solche Wirtschafts-Nachrichten für Klubs wie Dortmund auf Dauer ebenso wichtig wie das Geschehen auf dem Rasen. Einzelne Titel mögen den Fan elektrisieren und sie erhöhen den Marktwert der Marke BVB, mit dem man mehr Geld für noch bessere Profis erlösen kann, aber noch wichtiger ist die stete Qualifikation für die Gelddruckmaschine Champions League. Erst wenn die gefährdet ist, kann es in Dortmund so ungemütlich werden wie in München, Madrid oder London.

Die Pressekonferenz von Lucien Favre am Mittwoch war deshalb von Frustverdrängung geprägt. Wie die Pleite gegen den FC Bayern bewältigt wurde? "Sie war schwer zu verdauen", berichtete der Trainer wenig überraschend, "aber sie ist verdaut. Und ich möchte nun nicht mehr darüber sprechen." Psychologen würden wohl abraten, aber tatsächlich: Allzu viel Aufarbeitung macht bei schwer berechenbaren Fußballer-Seelen kurzfristig keinen Sinn.

Den Ruf, dass unter ihm so gut wie jeder Spieler besser wird, hat Favre beim BVB eingebüßt

Die schlechten Nachrichten, die während der Länderspielpause eintrudelten, hatte Favre in seine Verdrängungstaktik bereits eingebaut: Dortmunds wohl einziger Haudegen, Thomas Delaney, hat sich im Länderspiel für Dänemark die Außenbänder im Sprunggelenk gerissen und fällt bis Weihnachten aus; auch Verteidiger Nico Schulz, ebenfalls einer der wenigen Borussen, die robust werden können, kommt angeschlagen vom deutschen Nationalteam zurück.

Nicht, dass sie in Dortmund keinen Ersatz hätten im edlen Kader. Aber wenn es eine Lehre aus dem verkorksten Gastspiel in München gab, dann die, dass die Samtpfötigkeit von Favres Auswahl gegen körperbetont spielende Mannschaften ein großer Nachteil ist. Kicken können sie beim FC Bayern schließlich auch, und selbst die Paderborner spielen anerkanntermaßen ganz guten Fußball.

Gravierende Folgen hat aber weder die Länderspielpause, die für die 14 BVB-Nationalspieler eh keine Pause war, noch das Münchner Debakel. Dortmunds Führungsetage hat sich entschieden, das Thema eines möglichen Trainerwechsels zumindest in der Öffentlichkeit beiseite zu schieben, zu verdrängen. Nicht unbedingt, weil man Lucien Favre für den besten aller erdenklichen Trainer hielte. Aber es fehlt die Alternative. Dass die Bayern schnell handelten und Niko Kovac durch den hausinternen Notarzt Hansi Flick ersetzten, hat in Dortmund für Aufsehen gesorgt. Aber einen Ersatzmann wie Flick, dem der Ruhm des Weltmeistertitels 2014 folgt, bei dem er als Assistent von Bundestrainer Löw Impulse setzte, haben sie bei Borussia nicht. Der Lorbeer von Michael Skibbe, Jugend-Cheftrainer in Dortmund und als Adlatus des einstigen Teamchefs Rudi Völler immerhin Vizeweltmeister 2002, ist über die Jahre etwas welk geworden.

In München ergab sich die komplette BVB-Elf zaghaft

Und so hat sich Favre für die letzten acht Pflichtspiele bis Weihnachten einen Durchmarsch verordnet. Vielleicht weil dem Schweizer schwant, dass das Fest der Liebe in der Fußballsaison den wahrscheinlichsten Punkt für einen Trainerwechsel markiert. Nur: Der Markt gibt kaum Kandidaten her, die standesgemäß wären. José Mourinho ist vom Markt, er hat Tottenham übernommen, da dort Maurizio Pochettino frei wurde, der aber wohl auch nicht so ganz passt. Und Daniel Farke, bis 2016 Trainer der zweiten BVB-Mannschaft und jüngst mit Norwich City in Englands Premier League aufgestiegen, gilt zwar als ganz interessantes Hybrid aus Jürgen Klopp und Julian Nagelsmann, aber Farke ist noch unter Vertrag. Und man bräuchte auch die Courage beim BVB, noch einmal ein so relativ unbeschriebenes Trainerblatt zu spielen wie einst mit Jürgen Klopp, der damals vom Zweitligisten Mainz kam.

Das 0:4 in München schien jedenfalls alle Probleme erneut auf den Dortmunder Schreibtisch zu werfen. Favre, 62, verzichtete in seiner Aufstellung auf den Kämpfer Delaney. Jene Spieler, die er nominierte, verweigerten kollektiv das Duell, sie verloren sich in einer Taktik, die viel zu reserviert wirkte. Eine komplette Elf ergab sich zaghaft, zaudernd, zögerlich. Am Ende stand alles in Frage. Der Kader vor allem, hochgepriesen vor der Saison, aber auch der Trainer, der vielleicht keiner ist, mit dem man die großen Titel gewinnt. "Wir haben heute nicht nur keinen Männerfußball gespielt", befand Sportchef Michael Zorc nach dem Horrorspiel, "wir haben gar keinen Fußball gespielt."

Den Ruf, dass unter ihm so gut wie jeder Spieler besser werde, hat Favre beim BVB eingebüßt. Talente wie Julian Brandt dümpeln dahin; von Mario Götze heißt es, dass er die Verlängerung seines im Sommer 2020 auslaufenden Vertrages inzwischen davon abhängig mache, ob Favre auch ab Sommer 2020 noch sein Trainer wäre. Unter Favre sieht Götze wohl keine Perspektive mehr. Auch dies ist eine Hängepartie.

Und so hängt gerade alles im Ungefähren in Dortmund. Selbst der erwartete Erfolg an diesem Freitag gegen den kleinen westfälischen Nachbarn aus Paderborn dürfte daran zunächst nichts ändern.

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