Jude Bellingham:17-Jähriger mit steiler Lernkurve

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Gelb steht ihm: Jude Bellingham wechselt von Birmingham City zu Borussia Dortmund. (Foto: imago images/PA Images)

Mit Jude Bellingham schnappt sich Borussia Dortmund den nächsten englischen Nachwuchsspieler - und sticht die internationale Konkurrenz aus.

Von Tim Brack

In jeder Stadt, in der es einen Fußballklub gibt, findet sich auch ein Idol, zu dem die Jugend aufsehen soll. Im Zentrum von England liegt Birmingham, dort heißt dieses Vorbild Trevor Francis. Der Angreifer schoss Anfang der 70er Jahre viele, viele Tore für den ortsansässigen Klub Birmingham City, der als Yo-Yo Team gilt, als Fahrstuhlmannschaft. 280 Mal lief Francis den Verein auf, dann ging er zu Nottingham Forrest, gewann zweimal den Pokal der Landesmeister, brachte es zum Nationalspieler samt WM-Teilnahme und war der erste Spieler, für den mehr als eine Million Pfund gezahlt wurden. Francis taugt also nicht nur zur lokalen Größe.

In Birmingham war er selbstredend auch eine halbe Ewigkeit lang der jüngste Debütant der Vereinsgeschichte. Mit 16 Jahren und 139 Tagen wurde er 1970 gegen Cardiff eingewechselt. Seinen Altersrekord ist Francis mittlerweile los. Jude Bellingham hat ihn im Sommer 2019 unterboten, mit 16 Jahren und 38 Tagen debütierte er für die Profis in der zweiten englischen Liga. Auf 280 Spiele für Birmingham City wird Bellingham es nicht mehr so schnell bringen. Die 70er sind weit weg, Bellingham ist in eine Fußballwelt hineingeboren, in der große Talente nicht lange bei einem Fahrstuhl-Klub verweilen. Sie wagen schneller und früher den Sprung hin zu potenteren Vereinen. Manchmal fällt dieser Sprung sehr weit aus, wie im Fall von Bellingham. Der landet nun im Ruhrpott.

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Am Montag bestätigte der BVB die Verpflichtung: "Jude Bellingham hat sich voller Überzeugung für den BVB entschieden", sagte Sportdirektor Michael Zorc in einer Vereinsmitteilung und fügte an: "Er hat ein enormes Potenzial, das wir gemeinsam mit ihm in den kommenden Jahren weiterentwickeln wollen. Schon jetzt verfügt er über erstaunlich viel Qualität im eigenen Ballbesitz genauso wie gegen den Ball, obendrein zeichnet den Spieler auch eine starke Mentalität aus." Zuletzt war ein Vertrag bis zum Sommer 2025 im Gespräch, die Ablöse soll bei 23 bis 25 Millionen Euro liegen. Viel Geld für einen 17-Jährigen. Doch dem BVB scheint er das wert zu sein, er gilt schließlich als "eines der aufregendsten Talente des Landes", wie die englische Zeitung Guardian unlängst schrieb.

Bellinghams Trainer bei Birmingham City, Pep Clotet, sagte, bei einem Spiel gegen Middlesbrough sei "halb Europa da gewesen", um einen Blick auf diesen englischen Ausnahmekönner zu werfen. Großklubs wie Manchester United, FC Bayern und Chelsea sollen auf der Interessentenliste gestanden haben. Aber die Dortmunder Rekrutierungsabteilung um Sportdirektor Michael Zorc stach die Konkurrenz nun aus. "Wir sehen in Jude auf Anhieb eine Verstärkung für unseren Profi-Kader", so Zorc weiter, "werden ihm zunächst natürlich aber auch die Zeit zur Gewöhnung an das höhere Niveau geben, die er benötigt."

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Der BVB hat sich in den vergangenen Jahren einen Ruf erarbeitet, für besonders begabte Jungspieler das beste Sprungbrett zu sein. Auffällig ist, dass nach Jadon Sancho das nächste große englische Talent sein Glück in Deutschland sucht und nicht in der zwar besser bezahlenden, aber auch härter umkämpften Premier League. Mit Sancho hatten die Dortmunder einst eine vorzügliche Investition getätigt. Für 7,84 Millionen Euro wurde er 2017 bei Manchester City ausgelöst, er schoss bislang 30 Tore und lieferte 38 Vorlagen in 78 Partien. 120 Millionen Euro soll Dortmund für Sancho nun haben wollen - und Manchester United gilt als ernstzunehmender Interessent.

Bellingham gibt Anlass dazu, von einer ähnlich rasanten Entwicklung träumen zu können. Seine noch sehr junge Karriere ist von einer steilen Lernkurve geprägt. Mit 14 hat er für Birmingham Citys U 18 gespielt, mit 15 für die U 23, mit 16 für die Profis. Nach seinem Debüt sagte er noch: "Ich liebe diesen Klub, seit ich hier bin. Ich kann es kaum erwarten, mehr Erinnerungen zu schaffen". Mit 17 steht er nun bei einem Champions-League-Klub unter Vertrag. Bellingham kickte schon immer über seiner Gewichtsklasse.

Bei Birmingham City wollten sie ihn langsam heranführen, ihn nicht verheizen. So ein Talent ist ja fragil. 2,4 Zentimeter sei Bellingham in der vergangenen Saison gewachsen, erzählte sein Trainer Clotet mal. So ein Wachstumsschub geht selten mit einem Leistungsschub einher, der Körper muss sich mit den neuen Gegebenheiten oft erst zurechtfinden. Doch Bellingham passte sich dem Profi-Niveau trotzdem zügig an. Begabung lässt sich eben auch von einem wohlgemeinten Plan nicht bremsen.

Bellingham bestritt 38 von 44 Spielen in der zweitklassigen Championship. Vier Tore und drei Vorlagen gelangen ihm. Seine Ausbeute zeigt, dass er kein Spielertyp ist wie Sancho. Zwar läuft Bellingham auch mal auf dem Flügel rauf und runter, er fühlt sich aber im Mittelfeld wohler, als Achter. Weil seine Fähigkeiten nicht nur auf die Offensive oder Defensive beschränkt sind, wurde er schon mit Dele Alli von Tottenham Hotspur oder Liverpool-Legende Steven Gerrard verglichen. Bellingham sei "ein nach vorne und hinten gleich starker Achter", sagt BVB-Sportchef Zorc.

Bei einem solch rasanten Aufstieg droht manchem Jungprofi auch mal der Kopf zu schwirren. Bellingham scheint das Tempo aber gut zu verkraften. David Stockdale, der als Torhüter der U 18 von Birmingham City eine Zeit lang eine Fahrgemeinschaft mit Bellingham bildete, sagte dem Guardian: "Er nimmt die Dinge an; er versucht, alle Informationen aufzunehmen, die ihm jemand geben kann. Sein Verstand arbeitet wie der eines 25-Jährigen." Bellingham sei sehr reif für sein Alter, sehr zugänglich, höflich und "einfach ein liebenswerter Kerl, der alles hat, um an die Spitze zu gelangen".

Wenn alle Karriere-Berge erklommen sind - was für Bellingham noch eine längere Klettertour bedeuten könnte -, denkt er vielleicht mal wieder an seine Ursprünge bei Birmingham City zurück. So hat es auch Francis Trevor gemacht. Der kam als Trainer zu seinem Klub zurück, wo er seine Weltkarriere einst startete.

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