Süddeutsche Zeitung

Borussia Dortmund:Diesmal mehr Traumtore als schludrige Einladungen

Der BVB gewinnt ein wildes Spiel gegen Augsburg 4:3 dank seiner Einzelkönner. Doch die Gegentore offenbaren auch eine Baustelle, die sie in Dortmund noch nicht recht wahrhaben wollen.

Von Freddie Röckenhaus, Dortmund

Zur Premiere vor der Südtribüne hatte Sebastien Haller vorsorglich seine beiden Kinder mitgebracht, Chiara und Eden. Beide im passenden Trikot. Man weiß schließlich nie, hätte ja sein können, dass das erste Spiel von Papa in Dortmund noch etwas aufregender ausgefallen wäre. Mit einem Tor von Papa Haller zum Beispiel. Und dann will man beim Jubeln ordentlich angezogen sein. Das Tor gab es diese Mal noch nicht, aber aufregend war's. Am Ende gewann Borussia Dortmund mit 4:3 gegen den FC Augsburg. Und Chiara und Eden hopsten in der Spielertraube der Borussen mit.

Für Erstklässler und neutrale Zuschauer war der Nachmittag in Dortmund ein Highlight, mit irrwitziger Trefferfolge und einem bildschönen Tor nach dem anderen. Und natürlich mit dem zu Herzen gehenden Comeback von Sebastien Haller. Im Juli hatte der Franzose die Horror-Diagnose Hodenkrebs gestellt bekommen, danach zwei Operationen und vier Chemotherapie-Serien über sich ergehen lassen. Und an diesem kalten Wintertag, in der 62. Minute, durfte er zurück aufs Fußballfeld, begleitet von einer ohrenbetäubenden Schallwolke, lauter als jeder Torjubel des Tages.

Für die Hardcore-Anhänger beider Klubs hatte der Fußball-Nachmittag dagegen nicht ganz den vollen Genuss- und Unterhaltungswert. Der Anhang von Dortmund rieb sich ein weiteres Mal die Augen, wie sich die eigene Mannschaft Gegentore der ungewöhnlichen Art einfing. Die mitgereisten Fans von Augsburg, trainiert vom ehemaligen BVB-U23-Trainer Enrico Maaßen, haderten, dass drei Auswärtstore und eine starke Leistung immer noch nicht in Auswärtspunkte münzen ließen.

BVB-Trainer Edin Terzic war immerhin mit der ersten Halbzeit seiner Elf zufrieden: "Da haben wir richtig gut gespielt, bis auf die Gegentore. In der zweiten gab es vieles, über das wir dann zu reden haben werden." Die Analyse von Terzic war soweit nicht falsch, aber es stand eben schon zur Pause 2:2, nach zwei hinreißenden Toren durch den - wie immer - besten Spieler Jude Bellingham und Nico Schlotterbeck sowie zwei schludrigen Einladungen zu ebenso schönen Augsburger Treffern durch Arne Maier und Ermedin Demirovic.

Allzu viel Aufwand hatte Augsburg für den Zwischenstand nicht betreiben müssen. Zweimal konnten die Gäste von Fehlern von Salih Özcan und beim 1:1 auch von Schlotterbeck profitieren. Dortmund erspielte sich viele gute Abschlüsse, aber leistete sich dazwischen regelmäßige Aussetzer. "Das", so muss Terzic am Ende wieder bilanzieren, "ist die Problematik, mit der wir es schon die ganze Zeit zu tun haben."

Dortmund braucht viel Glück und Einzelaktionen

In der zweiten Halbzeit drehte sich das Bild. Augsburg kam noch besser ins Spiel und hätte durch Demirovic sogar in Führung gehen können. Stattdessen gelang dem eingewechselten Jamie Bynoe-Gittens ein traumhafter Alleingang, mit einem präzise geschlenzten Schuss ins Tor von Rafal Gikiewicz. Aber beinahe im Gegenzug ging es so weiter, wie man es von Dortmund an diesem Nachmittag schon kannte: Nächstes Wackeln von Salih Özcan, Pfostenschuss von Kelvin Yeboah, und den Abpraller drückte David Colina ins Tor.

Zum wilden Spiel, das sich Dortmund inzwischen von den aggressiven Augsburgern aufzwingen ließ, passte zwei Spielzüge nach dem 3:3-Ausgleich auch wieder der Dropkick, den der ebenfalls eingewechselte Gio Reyna zur nächsten Dortmunder Führung verwandelte. Demirovic hatte kurz vor Schluss eine grandiose Chance zum nächsten Ausgleichstreffer, ließ sie aber aus.

Dortmund brauchte erkennbar viel Glück, und vor allem Einzelaktionen von den zahlreichen Einzelkönnern im Team. Es fehlte an Ordnung und Struktur. Neben den längst bekannten Konzentrationsschwächen musste Edin Terzic auch erneut mit seinen weitgehend wirkungslosen Flügelstürmern Karim Adeyemi und Donny Malen leben. Als beide den Platz für Bynoe-Gittens und Reyna räumten, kam endlich mehr Wucht ins Spiel der Dortmunder. Nicht zufällig gelang beiden je ein Treffer.

Ein starkes Debüt legte der erst unter der Woche von Union Berlin nach Dortmund gewechselte Julian Ryerson hin. Seine Dynamik und Zweikampfstärke fielen vor allem in den ersten 45 Minuten auf. Danach baute auch der Norweger etwas ab. Als alleiniger Sechser hinter den offensiven Julian Brandt und Jude Bellingham leistete sich der ehemalige Kölner Özcan zu viele Schnitzer auf einer Position, die Fehler selten verzeiht. Auch Özcans Spielaufbau litt unter dem Anlaufen der Augsburger. Eine Baustelle, die sie in Dortmund noch nicht recht wahrhaben wollen. FCA-Coach Maaßen auf der anderen Seite wiederum durfte sich freuen, dass offenbar just für diese Position ein guter Wintertransfer geglückt war: Der 19-jährig Arne Engels, vom FC Brügge gekommen, machte ein exzellentes Spiel.

Dortmund aber konnte sich freuen, dass es immerhin die drei Punkte verbuchte. Und Hallers Nachwuchs durfte erstmals das Stadion-Erlebnis genießen, kann sich aber merken: Spiele mit so vielen Fehlern gehen selten so gut aus.

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