Süddeutsche Zeitung

Borussia Dortmund als Bayern-Jäger:Showdown in München

Von Freddie Röckenhaus, Dortmund

Nein, über das Spiel gegen Bayern München wollte Thomas Tuchel noch nicht reden. Man habe vorher doch noch einen anderen Gegner, meinte er, in der Europa League. Ein bisschen unwillig kam das daher, vornehm angesäuert. Die Schlussminuten, in denen Borussia Dortmund ein selten dämliches Gegentor zum 2:2-Ausgleich geschehen ließ, hatten Frust bei allen Beteiligten hinterlassen, nicht nur bei Tuchel. Kurz vorher hatte Tuchels Kapitän Mats Hummels am Spielfeldrand schon vor Kameras gegiftet, dass ein halbes Dutzend Mannschaftskameraden nur zugeschaut hätte, als der Aufsteiger Darmstadt 98 kurz vor Schluss zwei allzu sicher geglaubte Punkte klaute.

Was Tuchel und Hummels an diesem offenbar bitteren Abend einte, war der radikale Ehrgeiz, mit dem beide ihrer Leidenschaft nachgehen. Zusammen mit dem kaum weniger dummen Verlust von zwei Punkten in Hoffenheim am vergangenen Mittwoch wirkten die zwei Punkte gegen den Neuling schon wie ein Tiefschlag. Denn trotz anderslautender offizieller Parolen wissen sie in Dortmund genau, dass man sich absolut gar keine überflüssigen Punktverluste erlauben kann, wenn man tatsächlich "Herausforderer" des FC Bayern sein will. So definieren Dortmunds Leitfiguren Tuchel und Hummels ja die eigene Rolle. Aber um die Bayern herauszufordern, muss man alles gewinnen. Alles andere reicht maximal zu Platz zwei.

In den vergangenen drei Jahren hatte sich der BVB mehr oder weniger schnell von den Bayern und zuletzt auch von anderen Konkurrenten abhängen lassen, mit 20 bis 30 Punkten Rückstand. Wer die Bayern herausfordern will, weiß, dass die Platzhirsche aus München inzwischen fast keine Punkte mehr abgeben. Selbst wenn man sie in den direkten Duellen, wie am Sonntag in München wieder eines ansteht, durchaus mal bezwingen kann: Was nützt das, wenn man in Spielen gegen Abstiegskandidaten Punkte liegen lässt? Am kommenden Sonntag würde eine mögliche Niederlage in München den Abstand schon wieder auf sieben Punkte anwachsen lassen. Und falls selbst die wiedererweckten Dortmunder den Münchnern in dieser Saison nicht auf den Fersen bleiben können - heißt das nicht auch, dass die Bayern dann womöglich schon dem ganzen Rest der Liga uneinholbar enteilt sind?

Und das: am achten Spieltag? Mats Hummels hatte sich schon am vorigen Mittwoch über die schwache Chancenverwertung der Kollegen aufgeregt. Wütend feuerte er nach Abpfiff seine Kapitänsbinde auf den Rasen. Dieses Mal erinnerte Dortmunds Leader an Rumpelstilzchen. "So kann man nicht verteidigen", schimpfte Hummels, "Darmstadt war tot. Und dann so was!" Eine halbe Stunde später, mit 30 Minuten mehr Abkühlzeit, monierte sein Trainer: "Man kann nicht sagen: ,Man kann so nicht verteidigen'. Ich nehme an, dass Mats sich da mit eingeschlossen hat."

Als Trainer muss Tuchel das sagen. Bei ihm selbst dürfte die Stimmungslage aber kaum besser gewesen sein. Hummels brennt darauf, "mit Dortmund Titel zu gewinnen". In der Konstellation aber, wie die Liga sich nach drei Jahren des Aufrüstens in München präsentiert, geht das nur mit einer mental ähnlichen Unerbittlichkeit, wie sie die Bayern demonstrieren.

"Der Ausgleich ist saublöd", seufzte nachher Marcel Schmelzer, "aber für uns Spieler ändert das nichts für das Spiel in München." Immerhin, das wollten Schmelzer, Hummels und Tuchel festgehalten wissen, habe man ansonsten eine starke zweite Halbzeit gespielt. Tatsächlich stimmt, was der Trainer festhalten wollte: "Wir spielen jetzt dauernd gegen tief verteidigende Mannschaften und haben dabei 21 Tore gemacht. Wir haben auch diesmal zwei Treffer herauskombiniert. Es ist nicht möglich, gegen uns einfach nur tief zu verteidigen. Wir machen trotzdem Tore."

Tatsächlich hatte Dortmunds Ausnahmestürmer Pierre-Emerick Aubameyang den herausgekonterten Führungstreffer von Darmstadts Marcel Heller nach schönen BVB-Spielzügen mit seinen Treffern acht und neun zunichte gemacht. "Dass wir am Ende durch so ein Billardtor bestraft werden, ist bitter", meinte Tuchel. Aytaç Sulu drückte den Ball kurz vor Toresschluss zum 2:2 über die Linie. Es war der dritte Darmstädter Torschuss überhaupt.

War Dortmund zu naiv?

Aber - hypothetische Frage - hätten die Bayern den Aufsteiger zu diesem späten Zeitpunkt noch einmal so nah ans eigene Tor gelassen? Hätten die Bayern nicht nach dem 2:1-Führungstreffer weiter nachgesetzt und mit einem dritten und vielleicht vierten Tor für klare Verhältnisse gesorgt? Und hatte nicht Dortmund am Ende fast einen Hauch naiver gespielt als die Darmstädter, bei denen - ganz nebenbei - ein halbes Dutzend alter Bundesliga-Haudegen wie Rosenthal, Rausch, Niemeyer, Caldirola, Diaz oder Wagner auflaufen?

Dass die Truppe der anderswo Ausrangierten in Schalke auch schon gepunktet und in Leverkusen sogar gewonnen hatte, kommt nicht von ungefähr. Die Bayern haben Darmstadt trotzdem keine Chance gelassen (3:0). Gut möglich also, dass es mit dem Herausfordern des FC Bayern für den BVB auch in dieser Saison nichts wird. "Es gab bei uns eine große Erleichterung nach dem 2:1", meinte Tuchel, "vielleicht hatten wir danach nicht mehr den absoluten Zug zum Tor." Den Tor-Instinkt von Aubameyang jedenfalls durfte man danach vermissen - dennoch sicherte sich der BVB-Angreifer einen Rekord. Als erster Spieler in 52 Bundesliga-Jahren hat er in jedem der ersten sieben Saisonspiele getroffen.

Ob Hummels sich in die eigenen Flüche nun einbezieht oder nicht: Seine unverhohlen losgelassene Wut über die Leichtfertigkeit mancher Kollegen könnte am Ende noch nützlich sein. Gegen Saloniki muss Dortmund am Donnerstag noch mal ran. Dann geht es nach München. Vielleicht schon ein Endspiel - am achten Spieltag.

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SZ vom 29.09.2015
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