Süddeutsche Zeitung

Segler Boris Herrmann:"Ich bin der Jäger"

Boris Herrmann hat bei der Vendée Globe noch alle Chancen. Die Weltumseglung ist diesmal eng wie nie. Deshalb könnte am Ende die Rettungsaktion im Südatlantik entscheidend gewesen sein.

Von Thomas Gröbner

Die brüllenden Wellen, die Eisberge, das Seemannsgrab vor Kap Hoorn, dem einsamsten Punkt der Erde: All das haben die meisten Segler der Vendée Globe hinter sich gelassen. Und immer noch scheint ein unsichtbares Band die Segler zusammenzuhalten nach abertausenden Wellen, die ans Boot klatschten, nach über 50 000 Kilometern. Die Entscheidung, so sieht es nach mehr als 76 entbehrungsreichen Tagen aus, scheint tatsächlich in einem Kopf-an-Kopf-Rennen zu fallen - wie in einem Match-Race einer ganzen Flotte.

Normalerweise zählt man die Abstände bei der Vendée Globe in Tagen. Manchmal sind die Segler so weit voneinander entfernt, dass die Führenden die Sonne aufgehen sehen, während bei den anderen die Nacht hereinbricht. Doch diesmal ist alles anders: Kamen bei der letzten Ausgabe vor vier Jahren die ersten sechs Segler binnen sechs Tagen ins Ziel, könnten am Mittwoch oder Donnerstag das erste halbe Dutzend innerhalb von Stunden den Hafen von Les Sables-d'Olonne an der französischen Atlantikküste erreichen.

Aber eine Solo-Weltumseglung ist ja weniger ein Rennen als ein Abenteuer. Gewissheiten gibt es dabei kaum, schon gar nicht jene, auch anzukommen.

Boris Herrmann hat sich längst den Respekt der Franzosen ersegelt

Denn ursprünglich war der Brite Alex Thomson angetreten als großer Herausforderer der Franzosen, er wollte endlich die Dominanz Frankreichs bei der Regatta brechen. Bei seinem fünften Anlauf sollte es klappen mit dem Sieg, dafür hatte er ein radikales Boot bauen lassen. Aber schon vor dem ersten Advent musste er mit einem gebrochenen Steuerbordruder aufgeben. Acht von 33 Teilnehmern mussten bislang die Segel streichen. Einige trafen sich wieder in Kapstadt, im "Hafen der Unglücklichen", wie der Segler Boris Herrmann den Ort nennt, weil sich dorthin jene schleppen, die früh im Rennen aufgeben mussten.

Nun ist es nicht Thomson, sondern Boris Herrmann, der sich den Respekt der überwiegend französischen Konkurrenz ersegelt hat. Bei der neunten Auflage der Vendée Globe könnte der gebürtige Oldenburger der Segelnation Frankreich den Rang streitig machen. Dem Deutschen werden weit mehr als nur Außenseiterchancen eingeräumt: "Wir könnten diesmal einen Nicht-Franzosen auf dem Podium haben, warum also nicht auch vom Sieg träumen?", sagte zuletzt Armel Le Cléac'h, der Sieger der vergangenen Ausgabe.

Bis zum Sonntagmorgen lag der 36-Jährige Charlie Dalin in Front, ein französischer Bootsbauingenieur, den ein Fachmagazin den "Foil-Flüsterer" nennt, weil er ein großes Gespür hat für den Tanz auf den Tragflügeln. Wie gut sein Boot in Schuss ist, darüber rätseln auch die Konkurrenz; Dalin gibt sich zugeknöpft. Gleichauf segelt sein Landsmann Louis Burton, 35, der mit einem westlicheren Kurs zuletzt viel riskiert hatte und sich mit diesem Manöver einen Vorteil verschafft hat. Schon im Südmeer wählte er einen brutalen Kurs entlang am Eismeer, der ihn weit nach vorne katapultierte. Das nötig auch Herrmann Respekt ab: "Louis Burton scheint ein harter Draufgänger zu sein, ganz im Gegenteil zu mir", sagte er am Freitag in einer Videoschalte. Deshalb sehe Herrmann kaum Chancen, ihn einzuholen.

Das muss er vielleicht auch nicht. Sollte sich kein Konkurrent weiter absetzen können, dann könnten am Ende die Zeitgutschriften aus der Rettungsaktion im Südatlantik über die Spitzenplätze entscheiden. Anfang Dezember hatte Jean Le Cam, 61, nach endlosen Stunden seinen 40-jährigen Konkurrenten Kevin Escoffier aus dem Wasser gefischt, auch Herrmann und Yannick Bestaven waren beigedreht und hatten die Nacht mit der Suche verbracht. Le Cam bekam den größten Bonus (16 Stunden und fünfzehn Minuten), Bestaven (10 Stunden und fünfzehn Minuten) und Herrmann (sechs Stunden) eine kleinere Wiedergutmachung.

Und nun sieht es so aus, als könne sich das Spitzentrio in den nächsten Tagen absetzen: Die Prognosen der Wetter-Gurus der Vendée Globe erwarten, dass Burton, Dalin und Herrmann noch der Sprung in einen günstigeren Windkorridor gelingen könnte, während die Verfolger in einer Zone mit Schwachwinden hängen bleiben. Es könnte - und das ist die Lehre nicht nur aus dieser Vendée Globe - natürlich auch ganz anders kommen.

Die Flotte hält nun auf die Azoreninseln zu, wo ein Hochdruckgebiet wartet, danach könnte jede Halse entscheidend sein: "Wie wir durch die Tiefdruckgebiete und durch die Kaltfronten kommen, wann genau wir halsen, wie wir die Winddreher erwischen, das wird den Unterschied machen", glaubt Herrmann. "Das Podium ist nicht sicher", sagt Herrmann am Freitag, "ich könnte auch noch Siebter werden."

In der Whatsapp-Gruppe der Segler, die Herrmann aufgesetzt hat, ist es stiller geworden, seit die Spitze das Kap Hoorn hinter sich gelassen hat und es Richtung Ziel geht: "Wir sind wieder zu echten Konkurrenten geworden."

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