Süddeutsche Zeitung

Segeln beim Ocean Race:Segel über Bord, Riss im Mast

Lesezeit: 3 min

Der eisige Südliche Ozean hält für den deutschen Weltumsegler Boris Herrmann und seine Crew bisher nur Unglück bereit. Gelingt nun auf dem Weg nach Brasilien eine komplizierte Reparatur auf hoher See?

Von Thomas Gröbner

Die gute Nachricht vorneweg, schließlich sind in diesen Tagen die guten Nachrichten selten für Boris Herrmann: "Wir sind noch im Rennen." Ob und wie es aber weitergeht auf der Wettfahrt um die Welt für den Hamburger und seine Crew, darüber entscheiden die kommenden Stunden und ein Brite in schwindelnder Höhe.

Herrmann hat sich den Auftritt auf der "Monsteretappe" des Ocean Race von Kapstadt ostwärts bis an die Küste Brasiliens ganz anders vorgestellt. Es sollte der Moment sein, in dem seine Malizia Seaexplorer beweist, dass sie den Wogen und Winden im Südpolarmeer gewachsen ist, für die sie entworfen wurde. Doch bevor die unbarmherzigen Winde am vierzigsten und fünfzigsten Breitengrad über die Malizia hinwegheulten, jagte ein Problem das nächste.

Erst hatte sich ein Vorsegel aus noch ungeklärten Gründen gelöst und sich im Wasser um Kiel und Foils geschlungen. Der Brite Will Harris musste es in der einbrechenden Dunkelheit losschneiden, um größere Schäden am Boot zu verhindern. Das Segel für Leichtwinde, das den schönen Namen Code Zero trägt, fehlt der Crew nun, was ein Nachteil ist. Der Schock über das verlorene Segel trat dann schnell in den Hintergrund, als sich das nächste Problem herausstellte.

Mit einer Videobotschaft von Bord meldete sich der Hamburger am Donnerstag: "Die Sonne bricht durch die Wolken. Die Albatrosse fliegen hinter uns." Nach der poetischen Hinleitung folgte die nüchterne Nachricht: "Aber ich bin ein bisschen traurig. Wir haben einen Riss im Mast entdeckt."

Der Brite Will Harris entwickelt sich an Bord der Malizia zu einer Art MacGyver der Weltmeere

26 Zentimeter lang ist der Riss, den die Niederländerin Rosalin Kuiper auf einer Höhe von 28 Metern bei einer Inspektion bemerkte. Als das Segel sich losriss, schlitzte ein Tau den Mast regelrecht auf, das ist die Vermutung der Crew. "Ich bin zerschmettert, emotional", schreibt Herrmann in einem Statement. Aber er sei wieder aufgerüttelt worden, von "großartigen Leuten" an Bord.

Der Brite Will Harris ist es, der sich in diesen Stunden aufschwingt zum Rettungsanker für das Team. Der 28-Jährige entwickelt sich an Bord der Malizia zu einer Art MacGyver der Weltmeere. Auf der zweiten Etappe ersetzte er bereits Boris Herrmann als Skipper, als der sich seinen Fuß verbrüht hatte, und befreite das Schiff mit einem Messer von den Leinen eines Fischernetzes. Am Mittwoch säbelte er das Segel vom Foil. Und versprühte dann Zuversicht, als selbst Herrmann trüben Gedanken nachhing, so berichtete es die Teammanagerin Holly Cova in einer Videoschalte.

Immerhin dümpelt die Malizia ohne Wind, aber doch bei hohen Wellen, in einer Hochdruckzone. Vielleicht zum ersten Mal mag Boris Herrmann glücklich sein über eine solche Flaute. Eine Reparatur, mitten in der aufgewühlten See? Undenkbar.

Aber so hängt nun Harris am Donnerstagnachmittag in schwindelerregender Höhe, um den Mast zunächst anzuschleifen und dann Karbonschichten übereinander aufzubringen. Zwölf Stunden soll das Material aushärten, berichtet Herrmann von Bord. Erst am nächsten Morgen wird also klar sein, wie stark der Mast wieder belastet werden kann. Geht alles gut, wird die Malizia wohl wieder zu maximalen Geschwindigkeit segeln können. Am späten Abend kommt die Nachricht, dass die Reparatur geglückt ist.

Schon wenige Tage nach dem Start am Sonntag ist die Flotte der fünf Boote so zerrupft, als lägen der Südliche Ozean und das legendäre Kap Hoorn längst hinter ihnen. Dabei ist erst ein Bruchteil der Strecke gesegelt, für die etwa vierzig Tage berechnet wurden. Es wirkt, als würden die Imocas, die bei der Vendée Globe von nur einem Segler gesteuert werden, mit ihren Crews ihre Schiffe zu hart auf den Kurs Richtung Osten peitschen.

Vorbei ist die Etappe derweil für das europäische Team "Guyot Environnement" mit dem Berliner Co-Skipper Robert Stanjek. Die Crew muss nach einem Schaden am Rumpfboden umkehren. "Das ist eine mentale Ohrfeige. So brutal kann Sport sein." Aktuell schleppt sich die Gruppe nach Kapstadt zurück. Sowohl an Bord als auch an Land sind Vorbereitungen für eine eventuelle Evakuierung getroffen.

"Der Pfad ist schmal. Die Belastung so hoch, es reicht eine Situation, eine Welle, dann treten Brüche auf", erklärt Stanjek in einer Videoschalte von Bord. "Die Kräfte hier sind anders, die Wellen größer, der Wind ist schwerer. Wenn du ein Boot brechen willst, geht das einfach." Unbeeindruckt von den Problemen der Konkurrenz zeigt sich der Franzose Kevin Escoffier mit seinem Schweizer Team "Holcim-PRB". Er hat seine Führung weiter ausgebaut und segelt schon mehr als 300 Seemeilen vor der Konkurrenz - aktuell hält er Kurs auf eine Zone mit schweren Winden von 30 bis 40 Knoten.

Am Ende erreichte noch ein wenig Poesie das Land: "Die Verzweiflung weicht der Hoffnung", so hat die Crew der Malizia ihre Nachricht an die Heimat überschrieben. Und dazu der Wunsch: "Schickt uns Glück, zehn Knoten Wind und ruhige See."

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