Tischtennis bei Olympia:Die Kerbe bleibt im Holz

Olympia 2021: Timo Boll im Achtelfinale des Tischtennis-Turniers

"Manchmal muss man dem Gegner auch einfach gratulieren": Timo Boll bei seiner Niederlage gegen den Koreaner Jeoung Young-sik.

(Foto: Antonin Thuillier/Reuters)

Timo Boll scheidet im Achtelfinale aus und verpasst einmal mehr eine Olympia-Einzelmedaille. Dimitrij Ovtcharov darf sich dagegen weiter Hoffnungen machen. Bei den Partien werden die Unterschiede der beiden deutlich.

Von Jürgen Schmieder

Der britische Polemiker Piers Morgan hat in diesen Tagen mal wieder einen rausgehauen. Wirkliche Champions, so schrieb der Reporter und Moderator des TV-Senders CNN bei Twitter, würden sich nicht über den dritten Platz freuen und sich niemals mit einer Bronzemedaille im Trophäenschrank wohlfühlen - man solle die Niederlage, und nichts anderes sei so ein dritter Platz, nicht feiern. Es ist, wie fast alles bei Morgan, provokant und vereinfacht, und doch führt es zur Frage: Wie bewertet jemand, der in seinem Leben vieles gewonnen hat, der über die Weltrangliste quasi notariell beglaubigt vier Mal der beste Akteur auf dem Planeten gewesen ist, und der sich mit einer Einzel-Bronzemedaille bei Olympia sehr wohlgefühlt hätte, am Ende seine Karriere?

Timo Boll hat nicht einmal den dritten Platz erreicht. Er hat verloren am Dienstag, auch bei der sechsten Olympia-Teilnahme wird er keine Einzelmedaille kriegen. Er ist einer der besten Tischtennisspieler der Geschichte; für diesen Sport, was Dirk Nowitzki für den Basketball ist oder Michael Schumacher für die Formel 1. Aber, und es stimmt dann doch, was Morgan geschrieben hat: Viele sehen dann statt dieser langen Latte an Erfolgen (Silber und zweimal Bronze bei Olympia mit dem Team; WM-Bronze im Einzel, acht Einzel-EM-Titel; der erste Deutsche, der jemals die Weltrangliste anführte) nur diese eine Kerbe im Holz, also: Michael Ballack hat mit der Fußball-Nationalelf keinen Titel geholt, Ivan Lendl hat nicht in Wimbledon gewonnen, und Timo Boll hat keine Olympia-Einzelmedaille erreicht.

"Ich hatte gedacht, dass ich ganz gut drauf bin. Manchmal muss man dem Gegner auch einfach gratulieren", sagte er danach, und vielleicht ist das alles, was man über Boll wissen muss: Nach einer der bittersten Niederlagen seines Lebens gab er geduldig Antworten, und er sagte, dass der Gegner nun mal besser war an diesem Tag. Stimmt ja: Jeoung Young-sik (Südkorea) war der aktivere, aggressivere Spieler, Boll war häufig in der Defensive. Das gefällt ihm durchaus, doch konnte er seinen Gegner nicht lesen, wie er es sonst so gerne und effizient tut - und Jeoung, zwei Plätze hinter Boll gesetzt, erwischte einen Prachttag und besiegte Boll mit 11:8, 7:11, 11:7, 11:9, 11:4.

Ovtcharov blickt vor seinen Aufschlägen, als wolle er gleich alles zertrümmern

"Tischtennis ist Flexibilität, da hat es mir vielleicht heute gefehlt", sagte Boll. Er lächelte milde, als er die Niederlage analysierte, und es gibt da ja noch diese Geschichte von der WM 2005, als Boll im Achtelfinale bereits gewonnen zu haben schien - aber beim Matchball den Schiedsrichter überstimmte und verlor. Was für ein Sportsmann, so das Urteil damals, Piers Morgan würde sagen: Was für ein Trottel! Er würde Boll vorwerfen, dass er zu nett sei, um große Titel zu holen (oder Olympia-Bronze im Einzel), und er würde darauf verweisen, dass echte Gewinner nun mal verbissen und manchmal auch verschlagen sein müssen. Eher Effenberg als Ballack, und das führt zum zweiten deutschen Akteur, der schon mal Einzelbronze geholt hat und auch diesmal noch dabei ist.

Dieses Ritual beim Aufschlag ist fast schon alles, was man gesehen haben muss, um Dimitrij Ovtcharov zu verstehen: Er geht tief in die Hocke, hält den Ball in der flachen Hand, auf Höhe der Tischkante. Den Schläger platziert er direkt dahinter, zwischen Ball und Gesicht; so verdichtet sich die Welt auf diese paar Kubikzentimeter mit Schläger, Platte und Ball. Ovtcharov starrt vor der Eröffnung, die er meist mit der Rückhand spielt, diese drei so wichtigen Elemente grimmig an, als würde er sie nun alle drei zertrümmern wollen.

Das will er freilich nicht, aber es ist schon so, dass sich in diesem Blick die Spielweise spiegelt: Er ist kein Schnibbler und Schubser; er will aggressiv attackieren, er sucht den Schlagabtausch mit dem Gegner, weil er weiß, dass er sich dann scheinbar in Neo aus den legendären Matrix-Filmen verwandelt und es aussieht, als hielte er vier Schläger in vier Händen. Ovtcharov ist, und das ist durchweg positiv gemeint, ein Killer, er käme wohl eher nicht auf die Idee, nach einer Niederlage zu sagen, dass er nun auch mal den Gegner loben müsse; das zeigte er am Vormittag gegen Kirill Skatschkow (Russland) - im Kleinen wie im Großen: Er spielte jeden einzelnen Schlag konzentriert und feierte jeden Punktgewinn lautstark, er attackierte unermüdlich mit dem Vorhand-Topspin und nahm dabei auch Fehler in Kauf, weil er wusste, dass es sich letztlich auszahlen würde. Insgesamt musste er drei Satzbälle abwehren, aber am Ende, und auch das zeichnet so einen sportlichen Killer aus, hieß es nun mal: 4:0 Sätze für Ovtcharov, souverän weiter.

"Wenn es passt, warum nicht", sagt Timo Boll zu einem möglichen Olympiastart in drei Jahren

Das Tischtennisturnier der Männer ist ein hundsgemeiner Wettbewerb bei diesen Olympischen Spielen. Es heißt bisweilen, dass sich 63 Teilnehmer aus vielen Ländern letztlich um nur diese eine Medaille streiten würden - die aus Bronze. Die beiden chinesischen Akteure, so heißt es, würden derweil ein paar Trainingsmatches absolvieren und dann gegeneinander um den Olympiasieg spielen. Ganz so krass ist es nicht, und doch: Fan Zhendong und Ma Long sind die haushohen Favoriten, die beste Chance auf eine Medaille hat, wer ihnen nicht vor dem Halbfinale begegnet. Ovtcharov, 32, ist wie schon 2012, als er Bronze im Einzel gewann, der Killer im Glück: Im Achtelfinale spielte er am Dienstagnachmittag gegen Koki Niwa (Japan), an Platz zwölf gesetzt. Und auch der hatte Ovtcharovs Energie wenig entgegenzusetzen: 11:4, 7:11, 11:0, 11:7, 11:9 - souveräner Viertelfinaleinzug für den Deutschen.

Wie wird einer seine Karriere bewerten (und nur das zählt und keinesfalls die Meinung von Leuten wie Morgan oder Experten), wenn er bemerkt, dass es nicht klappen dürfte mit dem großen Ziel? Nun, vielleicht hilft es, dem bitteren Moment noch keine Endgültigkeit zu verleihen. "Ich fühle mich noch fit. Ich schaue von Jahr zu Jahr, von Monat zu Monat und habe weiter Spaß am Sport", sagte Boll. Also: Vielleicht noch ein siebter Anlauf bei den Olympischen Spielen, die nächsten werden ja bereits in drei Jahren in Paris stattfinden? Boll, der dann 43 wäre, sagt dazu, und es ist eine typische Boll-Antwort "Wenn's passt, warum nicht?"

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Momiji Nishiya

SZ PlusSkateboard-Olympiasiegerin
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Momiji Nishiya ist mit 13 Jahren die jüngste Olympiasiegerin in Japans Geschichte. Sie verkörpert die Nachwuchshoffnung ihres Landes - und die des Internationalen Olympischen Komitees.

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