Wenn die Bogenschützinnen und Bogenschützen mit ihren Bogenständern unter dem Arm den Wettkampfplatz betreten, sehen sie für einen Moment aus wie Rockstars – als würden die Mitglieder einer Band die Teile ihres Schlagzeugs auf die Bühne schleppen. In der Besetzungsliste des Sports sind die Bogenschützen aber nicht die Rockstars, im Gegenteil: Mehr Nische geht kaum. In Paris haben die Olympia-Macher aber auch für die Bogen-Wettbewerbe ein atemraubendes Ambiente geschaffen: Geschossen wird auf der Esplanade des Invalides, zwischen zwei riesigen Tribünen, der Blick fällt auf die Kuppel des Invalidendoms. Ein Traum. Nur etwas zugig ist es auf der Esplanade am Sonntag gewesen.
Das Lesen des Windes, das Reden über den Wind, das Spielen mit dem Wind: All das ist im Bogenschießen fast genauso entscheidend wie die Fähigkeit, ruhig dazustehen und den Pfeil präzise hinausfliegen zu lassen in Richtung Scheibe. „Normalerweise“, sagte Michelle Kroppen, 28, „können wir das. In Berlin war es ja auch ziemlich windig.“ In Berlin hatte Kroppen im vergangenen Jahr zusammen mit Katharina Bauer, 28, und Charline Schwarz, 23, WM-Gold geworden. Vor dem Hôtel des Invalides allerdings ist den Weltmeisterinnen der Wind am Sonntag ein Rätsel geblieben. Angereist mit dem Status als Medaillenanwärterinnen im Köcher, verloren sie das Viertelfinale 1:5 gegen drei Mexikanerinnen mit dem besseren Gespür für Böen. Zuvor, beim 6:0 gegen Großbritannien, war der Pariser Wind noch weniger kapriziös gewesen.
Vor drei Jahren hatte die deutschen Frauen in Tokio Bronze gewonnen, damals noch mit Lisa Unruh anstelle von Katharina Bauer im Team. Nun war Bauer die erste Schützin, die erste Windleserin. Bogenschützen halten in der Regel nicht auf die Zehn an. Sie zielen zum Beispiel auf die Acht rechts oben, und wenn der Pfeil dann in die Neun links unten einschlägt, geben sie diese Info weiter an den jeweils Nächsten. In diesem Fall: Bauer an Schwarz, Schwarz an Kroppen. Anhalten, Trefferbild analysieren, Anhalten, Trefferbild analysieren, das ist der Rhythmus des Wettkampfs.
Aber entweder drehte am Sonntag der Wind schneller, als die Deutschen schießen konnten, oder er wehte anders, als es die kleinen Windfähnchen erscheinen ließen. „Wir lesen die ganze Zeit den Wind, wir halten die Pfeile rechts oder links an, und der Wind trägt sie in die Mitte“, erläuterte Schwarz das eigentliche Konzept – „aber das hat er heute nicht gemacht.“
„Vielleicht müssen wir noch entschiedener anhalten“, sagt der Bundestrainer
Was das nun für die kommenden Wettkämpfe heißt? Müssen die Deutschen noch mutiger daneben zielen, um genauer zu treffen? Ja, „vielleicht müssen wir noch etwas entschiedener anhalten“, sagte Oliver Haidn, der Bundestrainer, der nebenbei auch Gymnasiallehrer für Mathematik und Informatik ist und damit ein Fachmann für Berechnungen aller Art. Haidn hofft jetzt auf die Einzel und auf das Mixed, aber er gibt schon auch zu, dass der Frauen-Wettkampf „die größte Chance war, hier eine Medaille mitzunehmen“.
War’s denn trotzdem schön: ein Olympia-Schießen direkt vor der Grabstätte Napoleons? Mei, sagte Katharina Bauer und lachte schon wieder ganz leicht: „Wahrscheinlich hat sich der Napoleon heute im Grab umgedreht.“