Süddeutsche Zeitung

Bogen-EM:30 000 Pfeile für ein Ziel

Lesezeit: 3 min

Katharina Bauer aus Raubling startet mit dem deutschen Bogenschützen-Team bei der ersten EM auf deutschem Boden - und hofft in Garching-Hochbrück und bei der Finalrunde auf der Münchner Theresienwiese auf Edelmetall.

Von Benjamin Zügner

Das orange Windfähnchen über der Scheibe sieben flattert in einem leisen Lüftchen. Auch die langen blonden Haare von Katharina Bauer, die sie zum Zopf gebunden und mit einem weißen Halstuch fixiert hat, wehen leicht zur Seite. Sie spannt die Sehne ihres Bogens, zack, der Pfeil legt die 70 Meter bis zu seinem Ziel in einer atemberaubenden Geschwindigkeit zurück. "Sehr gut Kathi, X", lobt Bundestrainer Oliver Haidn nach einem Blick durch das Fernglas, das wenige Meter hinter Bauer auf einem Stativ aufgebaut ist. Sie hat das Zentrum der Scheibe getroffen, ein perfekter Schuss. Ein Lächeln huscht der 26-Jährigen der BSG Raubling über die Lippen, die hellblauen Augen leuchten einen kurzen Moment auf, mehr nicht, es war nur eine Wettkampfsimulation. Das Trefferbild aber soll auch in der kommenden Woche so aussehen.

Dann findet die Europameisterschaft der Bogenschützen zum ersten Mal auf deutschem Boden statt. Am kommenden Montag beginnt sie mit einem offiziellen Training und anschließender Eröffnungszeremonie auf der Olympia-Schießanlage Garching-Hochbrück, die einst Militärzwecken diente und nun die größte zivil genutzte Schießanlage der Welt ist.

"Die Anlage ist sehr schwer zu schießen, weil wir hier grundsätzlich viel Wind zu erwarten haben - aus allen Richtungen", merkt Bundestrainer Haidn beim Trainingsbesuch im Rahmen des Abschlusslehrgangs Ende Mai an. Sechs Schützen betreut er mit seinem Team auf dem Weg zur EM, drei Männer und drei Frauen, darunter die aktuell beste Deutsche, Katharina Bauer.

Bauer trainiert gut 30 Stunden pro Woche - zusätzlich zu einer Festanstellung bei einer Krankenkasse

Seit ihrem neunten Lebensjahr betreibt sie den Bogensport, mit 14 kam sie in die Jugend-Nationalmannschaft. Dass sie Opfer bringen musste und immer noch muss, zeigt das Trainingspensum von gut 30 Stunden pro Woche - zusätzlich zu einer Festanstellung bei einer Krankenkasse. "Alleine nach der Arbeit oder am Wochenende schafft man das gar nicht", sagt sie. Immer wieder mal werde sie freigestellt, auch für die "EM dahoam", wie sie der Deutsche Schützenbund (DSB) ankündigt.

Das Teilnehmerfeld jedenfalls ist hochkarätig besetzt: Der Türke Mete Gazoz, einziger europäischer Olympiasieger im Bogenschießen in Tokio, ist ebenso dabei wie sein damaliger Finalkontrahent, der Weltranglistenfünfte Mauro Nespoli aus Italien. Bei den Frauen fehlt die russische Weltranglistenzweite Elena Osipova wegen des Kriegs in der Ukraine, dafür kommen in Lisa Barbelin aus Frankreich und Lucilla Boari aus Italien zwei Schützinnen aus den Top Fünf der Welt nach München.

Die deutschen Teilnehmer dürfen sich dennoch berechtigte Hoffnungen auf gute Platzierungen machen, bei den jüngsten sechs Europameisterschaften holten sie immer Medaillen. Im vergangenen Jahr in Antalya waren es zwei, "es wäre schön, wenn wir diese Zahl mindestens wieder erreichen würden", sagt Trainer Haidn. Die Frauen um Michelle Kroppen, 26, und Charline Schwarz, 21, holten Silber, damals noch mit der erfahrensten Deutschen, Lisa Unruh, 34, die bei dieser EM aus persönlichen Gründen pausiert. Nun schießt Katharina Bauer in dem Team, das in der Weltrangliste hinter Südkorea immerhin auf Rang zwei steht. Die erste interne Qualifikation hatte sie noch krankheitsbedingt verpasst, die zweite dann gewonnen und sich somit für das EM-Team aufgedrängt. Selbstbewusst ist sie ohnehin: "Ich weiß, dass es für viel reichen kann, wenn ich es sauber mache und konsequent bei mir bleibe."

Zuerst aber muss sie die Qualifikation für die Finalmatches überstehen, draußen in Garching, an einem der vier Bundesstützpunkte. Neben Bauer kennen auch Charline Schwarz (BS Feucht) und Moritz Wieser (BSG Tacherting) die Anlage bereits seit ihren Anfängen.

Die Finals am 11./12. Juni haben dann einen anderen Schauplatz, einen Ort im Herzen Münchens: die Theresienwiese. Im September wird hier auf der Wiesn Festzeltstimmung herrschen, bei der Bogen-EM heißt es Ruhe bewahren, volle Konzentration unter den Augen der Bavaria. Eine eigene Arena wird auf der Festwiese aufgebaut, rund 1500 Zuschauer sollen dort Platz finden. Die Vorfreude sei größer als der Druck, sagt Katharina Bauer, trotz der merklich gesteigerten Aufmerksamkeit in der Heimat. Diese ist ja auch erwünscht, wie vor 50 Jahren bei den Olympischen Spielen 1972 in München, als der Bogensport "viel Hype" ausgelöst hat, wie Oliver Haidn erzählt.

Dazu will Katharina Bauer ihren Beitrag leisten, die Generalprobe beim Weltcup im südkoreanischen Gwangju ist gelungen. Mit Silber im Team, hinter den übermächtigen Südkoreanerinnen, und Gold im Mixed hat sie sich einen "Motivationsboost" und "noch einmal mehr Selbstvertrauen" geholt, wie sie im Gespräch bilanziert. Nun will sie sich am liebsten mit Edelmetall im Gepäck von der Theresienwiese auf die rund einstündige Heimfahrt machen.

Sollte Bauer sich für das Finale qualifizieren, stünde sie am Sonntag sowohl im Einzel als auch im Mixed und im Team in der Arena. Zuvor wird sie den Bogen aber noch einmal zur Seite legen, der Kopf muss frei sein. Rund 30 000 Pfeile waren es ja schon in dieser Saison, die Bauer Richtung Ziel geschossen hat.

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