Bochum - Bayern:Befreit von aller Last

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Während der VfL Bochum teils wahnwitzige Dinge mit dem Ball anstellt, spielt sich der FC Bayern federleicht zu einem 5:1-Erfolg und liegt nur noch zwei Punkte hinter Platz eins.

Thomas Hummel

Seine Spieler, sagte Louis van Gaal, die "müssen das jetzt allein machen". Ja, das hat der niederländische Allesmacher wirklich gesagt vor dem Gastspiel seines FC Bayern beim Bundesliga-Nachzügler VfL Bochum. Und niemand wusste so recht, was mit diesem Satz gemeint war. Sollte er nach dem 4:1 bei Juventus Turin wirklich Vertrauen gefasst haben zu seinen durchaus erwachsenen Profis? Wer den Niederländer bislang in München beobachtet hat, mag das kaum glauben. Und die Einschränkung kam postwendend: "Das ist auch ein Test für meine Spieler."

Jubel, Jubel, Jubel: Bayern gewinnt in Bochum und ist auf dem Weg nach oben. (Foto: Foto: ddp)

Die Bayern-Profis erhielten also nach der rauschhaften Nacht von Norditalien am Donnerstag frei, mussten sich das Spiel nicht noch einmal ansehen und sich ihre Fehler erklären lassen. Und dennoch blieb die Warnung unüberhörbar: Solltet ihr in Bochum nicht gewinnen, ziehe ich die Zügel wieder an! Doch das dürfte nicht nötig sein: Die Münchner gewannen am Samstag in Bochum vor 30.748 Zuschauer spielend und ohne nennenswerte Gegenwehr mit 5:1 durch Tore von Ivica Olic (43./50.), Mario Gomez (23.), Danijel Pranjic (56.) und einem Eigentor von Mergim Mavraj (33.) bei einem Gegentreffer von Christian Fuchs (76.). Van Gaal sagte danach im TV-Sender Sky: "Meine Spieler sind die Partie konzentriert angegangen. Nach einem 4:1 in Turin ist das nicht leicht, aber 5:1 in Bochum ist auch nicht so schlecht."

Motivationsfördernd wirkte wohl der gemeinsame Freitagabend vor dem Fernseher, als die Münchner den nächsten Punktverlust von Spitzenreiter Leverkusen sahen. Nun sind es nur noch zwei Punkte bis zu Tabellenplatz eins, nachdem dieser ruhmreiche Verein 50 Spieltage hintereinander nicht ganz oben in der Bundesliga stand. Mit der Leistung im ausverkauften Stadion in Bochum deutet sich an, dass es mit der Rückkehr auf Platz eins nicht mehr lange dauern könnte. "Es ist gut, dass wir nur noch zwei Punkte weg sind von der Tabellenführung", sagte van Gaal. Und es hörte sich wie eine Drohung an.

Binnen weniger Wochen hat sich der FC Bayern München von einer verzagten, völlig verunsicherten Gruppe in eine Ansammlung selbstbewusster Fußballer mit Zusammenhalt und gemeinsamem Ziel gewandelt. " Ja, die meisten sind gut gelaunt", hatte Sportdirektor Christian Nerlinger schon vor dem Anpfiff in Bochum berichtet. Für den Wandel sei ausschlaggebend, "dass sich eine Stammformation gefunden hat, wir mussten nicht mehr so viel wechseln." In Bochum schickte Trainer van Gaal zum fünften Mal in Folge die gleichen elf Spieler auf den Rasen. Ohne Anatolij Timoschtschuk, ohne Hamit Altintop, ohne Miroslav Klose (zog sich im Abschlusstraining noch eine Muskelverletzung zu) und auch ohne Luca Toni, der wohl nicht mehr für den FC Bayern unter Trainer van Gaal spielen wird.

Mit den Erfolgen erhöht sich Van Gaals Immunität gegen Kritik. Seit längerem schon kein Wort mehr aus dem Vorstand über seine Brachial-Psychologie, kein Wort mehr über langweiligen Verschiebe-Fußball ohne jedes Tempo. Dabei intensivierte die Mannschaft in Bochum den Van Gaalschen Kontrollfußball: Zur Halbzeit meldete die Statistik demoralisierende 73 Prozent Ballbesitz. Die Gäste bestimmten das Geschehen auf überwältigende Art und zeigten nun auch Drang zum Tor.

Was vor allem daran liegt, dass der FC Bayern nun ein Sturmduo hat, das mittels seiner Klasse die Dinge vor dem Tor regelt. Als es fast schon wieder nach einschläferndem Rasenschach aussah, kam Olic an den Ball, dessen Hereingabe lenkte Gomez ins Netz (23.). Das Eigentor durch Mavrajs Schienbein-Querschläger provozierte Gomez per scharfer Flanke (33.), das 3:0 und 4:0 durch Olic fielen nach wunderbarer Kombination über Lahm und Schweinsteiger (43.) und nach einer Flanke von Badstuber (50.). Olic "pusht unheimlich. Manchmal steht er neben er mir und ich denke, er stirbt gleich. Dann zieht er einen 40-Meter-Sprint an", erzählte Gomez in Sky.

Bei fast allen Gegentoren arbeiteten die Gastgeber aktiv am Geschehen mit. Fast mussten die eigenen Fans hoffen, dass Bayern 100 Prozent Ballbesitz erreichen würde, denn wenn ihre Profis mal ans Spielgerät durften, stellten sie teils wahnwitzige Dinge damit an. Am gegnerischen Strafraum fiel den Münchnern immer wieder unverhofft der Ball zu, vor dem 1:0 köpfte Paul Freier kurios auf Thomas Müller, vor dem 4:0 landete ein Pass auf dem Kopf von van Bommel. "Wenn wir unsere Dinge gut machen wie in den letzten drei Spielen, dann werden wir eine kleine Chance haben", hatte Trainer Heiko Herrlich prophezeit. Aber seine Spieler machten überhaupt nichts gut. Bochum spielte wie ein Absteiger.

Bei so wenig Gegenwehr stieg bald die Lust am Kunststück bei den Münchnern. Rechtsverteidiger Philipp Lahm setzte plötzlich zu einem Dribbling an wie zu seinen besten Zeiten als Linksverteidiger, umkurvte drei, vier Bochumer, sein abgefälschter Schuss kullerte zum völlig freistehenden Danijel Pranjic, der sein erstes Tor für den FC Bayern erzielte - 5:0 (56.). Da er mit Ivica Olic gewettet hatte, seinen Bart bis zum ersten Pflichtspieltor wachsen zu lassen, darf der Kroate jetzt endlich zum Rasierer greifen.

Bochum rannte hilflos und kraftlos hinter den rotbehemdeten Gegnern und dem Ball her. Der Gastgeber war in allen Kriterien des Fußballspiels unterlegen wie es ein Fliegengewicht gegen einen Klitschko im Boxring wäre. Allein Philipp Heerwagen stoppte noch ein paar Angriffe des Rekordmeisters. Dass der Torwart bester Bochumer war, wirkt indes logisch: Heerwagen war als 14-Jähriger zum FC Bayern gekommen und feierte dort die Deutsche A-Jugendmeisterschaft. Dass Christian Fuchs nach 76 Minuten wie in Stuttgart vor einer Woche einen Freistoß in den Winkel setzte, blieb ein kurzes Glück für Bochum.

Der FC Bayern hatte da längst das Tempo aus dem Spiel genommen. Robben, Breno und Timoschtschuk kamen, alle Münchner Profis schienen wie befreit von all den Lasten des ersten Saisondrittels. Immer wieder kombinierten, dribbelten, passten sie sich vor das Bochumer Tor - es hätte noch einige Tore mehr fallen können. "Wir sind auf dem richtigen Weg", bemerkte Gomez und hatte noch eine Nachricht an die Konkurrenz: "Wir haben in der Vorrunde viel zu viele Punkte liegenlassen. Aber mit diesen Klasse-Spielern wird sich irgendwann der Erfolg einstellen."

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