Wintersport:Die Sorge fährt mit im Bob

Wintersport: Zweites olympisches Zweier-Gold: Francesco Friedrich (rechts) und Anschieber Torsten Margis in Peking 2022.

Zweites olympisches Zweier-Gold: Francesco Friedrich (rechts) und Anschieber Torsten Margis in Peking 2022.

(Foto: Robert Michael/dpa)

Pilot Francesco Friedrich erlebt eine widersprüchliche Zeit. Er kann 2026 in Cortina Rekordsieger werden, bangt aber um die Existenz seines gesamten Sports.

Von Volker Kreisl

Bobpiloten sind vielseitige Sportler. Insgesamt sind sie eher Manager, die nebenbei auch gut lenken können. Sie kümmern sich um unzählige Aufgaben, vor allem aber ums Team. Das sind jene Männer oder Frauen, die binnen weniger Sekunden den bis zu 300 Kilo schweren Bob auf möglichst hohe Geschwindigkeit bringen, sich dann in ausgetüftelter Abfolge in die schmale Bob-Zigarre hineinfalten und den Kopf einziehen. Kein Bob also ohne Anschieber, doch wie es aussieht, gibt es bald keine mehr.

Jedenfalls jene, auf die es ankommt, befürchtet Francesco Friedrich aus Pirna in Sachsen, der beste Bob-Pilot dieser Zeit und wohl auch in der Geschichte dieses Sports. Bevor die Bob-Saison kommende Woche in Whistler in der Nähe von Vancouver in Kanada beginnt, hat Friedrich noch mal jenen inneren Zwiespalt zum Ausdruck gebracht, der fast alle Winter-Leistungssportler plagt. Die Lust auf die bevorstehende Saison und zugleich die Sorge um die Zukunft.

Die Frage bleibt, ob er die Sorge ums Ganze auch diesmal verdrängen kann

Denn die Natur lockt gerade nur mit grünen Wiesen bis weit hinauf in die Felsgebiete, pistenabhängige Disziplinen sind immer mehr auf den Einpackschnee aus Sommer-Depots angewiesen. Aber auch die Eissportarten, die ordentlich Energie brauchen, um etwa eine 1,5 Kilometer lange Bob-und Rodelbahn einen Winter lang herunterzukühlen, stehen vor einem Energie-Problem. Vorausgesetzt, sie kriegen in ein paar Jahren überhaupt noch einen Vierer-Schlitten mit Anschiebern voll, wie Friedrich kürzlich in der Tageszeitung Die Welt erklärte. Denn Anschieber stammen meistens aus anderen Sparten, etwa der Leichtathletik, jedoch: "Es wechseln immer weniger zum Bobsport."

Friedrich, der die leichte innere Zerrissenheit vielleicht am intensivsten spürt, hat in diesen Tagen aber auch viel Freude. Denn sein Sport, so sagt er, stelle ja viel mehr dar, als nur am Bügel brutal anzuschieben und sogleich am Lenkseil mit viel Fingerspitzengefühl sachte zu steuern. Sein Sport, sagt Friedrich, sei reine Erfüllung, und zwar gerade auch außerhalb der großen Carbon-Zigarre, wenn kein Publikum ihn wegen der nächsten Goldmedaille bejubelt. Friedrich ist nicht der Typ, der sich in der Freizeit von den Anstrengungen des Kleinunternehmens, das ein Bobteam darstellt, ablenken muss. Im Gegenteil: "Alles macht mir da Spaß." Bob-Pilot zu sein, sei wahnsinnig komplex. Viele Sportler lassen Material oder Planung von Experten erstellen, Friedrich stürzt sich mit Freude aufs Testen neuer Kufen, die Suche nach Anschiebern oder die Buchung der nächsten Übersee-Reise.

Zu diesen Plänen gehört die exakte Struktur der letzten großen Phase, die demnächst in Whistler beginnt. Es sind noch vier Winter, dann soll nach den Olympischen Spielen in Cortina d'Ampezzo Schluss sein. Friedrich ist bereits jetzt eine Instanz seines Sports, er hat mit elf WM-Titeln mehr als jeder andere. Zudem gelangen ihm und seinen Anschiebern bei den Spielen in Pyeongchang und Peking Goldläufe in beiden Schlitten. Auch belegen die Erfolge seines Bob-Alltags, dass Friedrich seinen Job liebt, andernfalls hätte er nicht die 66 Weltcupsiege geschafft, auch Rekord.

Die Frage bleibt, ob er die Sorge ums Ganze auch diesmal verdrängen kann, so wie Spitzensportler auch Alltagssorgen ausblenden. Oder ob Friedrichs düstere Vision vom Anschieber-Mangel, zudem von Eis-Bahnen, die wegen Unkosten und Umweltbelastung außer Betrieb genommen werden, ihn in den nächsten Jahren mehr beschäftigt als der Sport. Jedenfalls macht er sich echte Sorgen um das, was bislang seine Passion war. Friedrich sagt: "Es wird die Zeit kommen, wo kein Bob mehr fahren wird. Wahrscheinlich werden unsere Enkelkinder vom Bobsport nur noch aus den Geschichtsbüchern erfahren."

Noch ist Zeit, um eine umweltverträgliche Bob- und Rodel-Zukunft zu verwirklichen

Das klingt nach Endzeit-Stimmung, und möglicherweise hat ihn diese nun tatsächlich beschlichen. Eisbahnen sind spektakulär, Touristen können auf ihnen in Bob-Taxis ein bisschen Anpressdruck und Geschwindigkeitsrausch erleben. Und ja, zurzeit findet auch noch eine Wok-WM statt, ein Gaudi-Rennen, bei dem auch Weltcup-Fahrer mitmachen. Aber reicht das auf Dauer, um diese gewaltigen Anlagen, die nun mal aufwendig vereist werden müssen, Winter um Winter instand zu halten?

Friedrichs Sorgen sind jedenfalls nachvollziehbar. Kein Sportler will der letzte große Sieger seiner Disziplin sein. Doch vielleicht ist noch etwas Zeit, um Konzepte für eine umweltverträgliche Bob- und Rodel-Zukunft zu verwirklichen. Mit weniger Bahnen, und dafür mit einer Technik, welche die nötige Energie möglichst sparsam in die Bahn einspeist, wie Friedrich fordert. Das alles müsste von Bahn-Experten noch exakt entworfen werden, für seine eigene Zukunft, sein Karriere-Ende, hat der Rekord-Pilot indes schon genaue Vorstellungen. In Cortina, im Winter 2026, könnte er mit einem fünften Titel auch Bob-Olympia-Rekordler werden. Womöglich ist ihm aber etwas ganz anderes wichtiger.

Denn es soll endlich so weit sein. Endlich sollen auch seine Nächsten bei den Olympischen Spielen dabei sein, es handelt sich um nur 150 Freunde und Verwandte. Zu gerne hätte er mit ihnen, denen er teils viel zu verdanken hatte, auch früher bei Olympia gefeiert, aber das war zu weit weg. Jetzt aber: Cortina! Quasi ums Eck. Das sollte möglich sein. Der Bobpilot, Bob-Unternehmer, -Techniker und -Planer Friedrich hat schon eine Idee - mit einem Reisebus, oder vielleicht auch zweien.

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