Bob-WM:Friedrich I. aus dem Eiskanal

Bob Weltmeisterschaft

Francesco Friedrich (links) und Thorsten Margis jubeln nach dem Sieg

(Foto: dpa)
  • Der Pilot Francesco Friedrich wird bei der WM auf seiner Heimbahn in Altenberg von der Aussicht angetrieben, eine Legende im Eiskanal zu werden.
  • Wenn er am Wochenende noch im Vierer gewinnt, zieht er mit dem berühmten Italiener Eugenio Monti gleich.

Von Volker Kreisl

Dehnungsfugen müssen sein. Sie sorgen dafür, dass der Belag einer Bobbahn bei Temperaturschwankungen schön glatt bleibt. "Dehnungsfugen", das klingt harmlos, nach Baumarkt, und sie sind es auch, wenn man nicht gerade auf einem brettharten Bobsitz mit mehr als 130 Kilometern pro Stunde drüber hinwegbraust. "Dann", sagt Francesco Friedrich, "scheppert's und rattert's."

Und der Rücken tut noch mehr weh. Die Dehnungsfugen sind nur versteckte Details in dem Ringen, das Friedrich in den vergangenen Sommern immer wieder mit sich austrug: "Wie lange tue ich mir das noch an?", war die Grundfrage in einem Sport, der auf die Bandscheiben geht, der einen im Winter von der Familie entführt und im Sommer in den Kraftraum zwingt. Keine Frage, mit bald 30 Jahren kann da schon mal Schluss sein und das echte Berufsleben richtig beginnen. Aber dann wurde Francesco Friedrich aus Oberbärenburg in Sachsen auf einmal ganz deutlich klar, welche Chance, ja welches Privileg er doch im Grunde hat.

Am vergangenen Sonntag ist er bei der WM in Altenberg zusammen mit seinem Anschieber Thorsten Margis im Zweierbob wieder Weltmeister geworden, aber das ist man schon gewohnt von Francesco Friedrich; so sehr sogar, dass die Gesamtdimension dieses Ereignisses für sich allein verblasst. Nun ist es aber sein sechster Titel in Serie im kleinen Schlitten, und damit hat er den fast 60 Jahre alten Rekord des Italieners Eugenio Monti überboten. Eine Bestmarke also, die so alt war, dass sie nur noch abstrakt wirkte, aus einer anderen Zeit, als Bobfahrer in ihren Kisten noch aussahen wie tollkühne Flieger.

Die Bobfahrer mit den meisten WM-Titeln

9 (7 / 2) Eugenio Monti (Italien) 1957-1966

8 (5 / 3) Christoph Langen 1991-2001 (Unterhaching)

8 (6 / 2) Francesco Friedrich 2013-2020 (Oberbärenburg)

8 (3 / 5) André Lange (Oberhof) 2000-2008

7 (3 / 4) Erich Schärer (Schweiz) 1971-1986

7 (3 / 4) Kevin Kuske (Potsdam) * 2003-2008

7 (5 / 2) Thorsten Margis (Halle) * 2015-2020

6 (3 / 3) Fritz Feierabend (Schweiz) 1939-1955

6 (3 / 3) Wolfgang Hoppe (Oberhof) 1985-1997

Links die Gesamtzahl der Titel, in Klammern diejenigen im Zweier- bzw. im Viererbob

* = als Anschieber

"Doppelgold zu verteidigen, das hat auch noch niemand geschafft"

Francesco Friedrich ist kein sonderlich emotionaler Wettkämpfer, seine Stärke resultiert aus Konstanz, Ruhe und technischem Fachwissen. Auch deshalb hat er ja auch nüchtern Bilanz gezogen zwischendurch. Warum irgendwelche Rekorde jagen, wenn der Rücken schmerzt? Aber dann kam die Erkenntnis, dass er in seinem Sport etwas erreichen könnte, etwas, das fast niemand anderem auch jenseits des Bobfahrens ermöglicht wird, und diese Einsicht hat ihn dann doch auch durchgerüttelt: Friedrich könnte eine Serie schaffen, die so lange hält wie die von Monti, vielleicht noch länger.

Schon am kommenden Wochenende könnte er bei diesem Projekt vorankommen. Insgesamt neun WM-Titel hätte er - so viele wie der Südtiroler Monti einst sammelte - wenn er nun noch im Viererbob in Altenberg gewänne; es wäre sein dritter Titel im langen Schlitten. Und dann noch Olympia: In zwei Jahren finden die Spiele in Peking statt, dort könnte Friedrich seinen Erfolg von Pyeongchang wiederholen - Gold in beiden Schlitten. "Doppelgold zu verteidigen", sagt er, "das hat auch noch niemand geschafft." Schließlich der Weltcup: 45 Siege hatte der Oberhofer Pilot Andre Lange bis 2010 als Rekord aufgestellt, Friedrich hat jetzt bereits 37 Erfolge.

Eine Legende in seinem Sport könnte er also werden, jemand, dem andere vielleicht nacheifern, aber doch nicht erreichen. Dass er ein bisschen vom Rekordfieber gepackt ist, das zeigen auch die Kalkulationen, die man als werdende Legende so aufstellt: "Wenn ich sechs Zweier-Titel habe", rechnete er vor der Saison, "dann holt mich so schnell keiner mehr ein." Denn da müsse derjenige schon neun Jahre nacheinander Weltmeister werden, weil dazwischen alle vier Jahre ja Olympia liegt und in den Olympiawintern keine Weltmeisterschaft ausgetragen wird.

Das Team besteht aus einem Haufen Freunde

Friedrichs Mannschaft ist jedenfalls in starker Form. Die Startzeiten zählen zu den besten, und das Team hält zusammen. Anders als viele andere Bob-Teams, sagt Friedrich, bestehe seine Auswahl aus einem Haufen Freunde. Candy Bauer, Alexander Schüller, Martin Grothkopp und Thorsten Margis sind schon lange dabei. "In anderen Teams kämpft oft mal jeder für sich", sagt er, "wir kämpfen für uns."

Und doch bleibt Friedrich auch ein auf Präzision ausgerichteter Rennfahrer, der sich, wenn sich seine Freunde nach dem Anschieben auf den Rücksitzen verstaut haben, meistens in einen Autopiloten verwandelt. Jedenfalls hat er bei seinen vier Zweierbob-Läufen dieser Weltmeisterschaft jeweils Bestzeit aufgestellt und den Schlitten durch Komplettschleifen und Labyrinthe geradewegs ins Ziel gebracht. So ein nüchterner Mensch braucht auch ganz banale sachliche Gründe für seinen künftigen Weg, und deshalb sagt Friedrich zum Beispiel: "Kurz bevor man der Beste werden kann, hört man nicht auf."

Im Bobsport ist ein Karriererekord nicht nur Sache des Einzelnen. Zu speziell ist dieses Metier, zu viele Faktoren hängen mit dem Erfolg zusammen, woraus sich auch die Verantwortung ergibt, diese Gelegenheit für sein Team zu ergreifen. Für seine Anschieber aber auch für die Bobbauer etwa, die ihm ein überlegenes Gerät bereitstellten. Überhaupt, bei einer Serien-Rekord-Chance "ist auch viel Zufall dabei", sagt Friedrich: "Man muss in der richtigen Nation sein, man muss athletisch fit sein, und man muss früh genug so gut sein, dass man an den Oldies vorbeikommt." Friedrich hatte nie eine schwere Verletzung, die ihn eine ganze Saison kostete, seine Bestmarke ist also auch ein Geschenk, das man nicht einfach zurückweist.

Im Gegenteil, dieses Geschenk könnte zur tragenden Herausforderung seiner späten Karriere werden. Bisher konnte er seine eigene Aufgabe als Anschieber trotz Rückenschmerzen noch immer gut erledigen. Sein Team bleibt wohl so zusammen, und deshalb soll nach Olympia 2022 noch nicht Schluss sein. "Die WM in St. Moritz 2023 ist fest geplant", sagt Friedrich, denn dort hatte mit seinem ersten Titel alles begonnen, anno 2013. Und je nach Gesundheit, kämen die Olympischen Spiele 2026 vielleicht auch noch in Betracht. Aber dazu muss alles weiterhin schön zusammenpassen, und der Zufall auch mitspielen, und deshalb denkt ein Bobfahrer dann weniger an die Zukunft, sondern nur noch von Höhepunkt zu Höhepunkt, von Kurve zu Kurve, von Fuge zu Fuge.

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