Süddeutsche Zeitung

Bob:330 000 Euro für einen neuen Fuhrpark

Lesezeit: 3 min

Von Volker Kreisl, Lake Placid/München

Thorsten Margis ist ab jetzt weg. Verschwunden, nichts mehr zu sehen. Beine weg, Arme weg, Bauch weg, Rücken weg - und der Kopf: auch abgetaucht. Zu sehen sein wird ab jetzt nur noch eine gelblackierte Karbonfaserröhre, kein Margis mehr.

Diese gelbe Karosse ist ein Rennbob und zählt zum neuen Fuhrpark des deutschen Verbandes BSD. Die technische Aufrüstung von dessen Frauen- und Männer-Mannschaften in diesem Winter hat viele Aspekte. Das Leitmotiv 2017/2018 ist es ja, im Februar möglichst viele Medaillen - wenn möglich natürlich goldene - bei den Olympischen Spielen in Pyeongchang/Südkorea zu holen. Diesem Ehrgeiz liegt ein besonderer Anlass zugrunde, vielleicht der triftigste überhaupt, nämlich eine historische medaillenlose Blamage bei den Winterspielen zuvor. Deshalb wurden rund 330 000 Euro in eine neue Bob-Flotte investiert, Beinmuskeln intensiv auftrainiert, und die Bobs, die immer der deutsche Trumpf waren, 2014 in Sotschi aber die Piloten verzweifeln ließen ("ein Trabi!") - pingelig eingestellt wie Uhren. Jeder Millimeter bringt ja ein paar Hundertstel.

Deshalb sind Piloten und Anschieber auch gespannter als sonst auf den ersten Saisonweltcup, der von Donnerstag an in Lake Placid im US-Bundesstaat New York stattfindet. (Der Vierer-Wettbewerb fällt wegen Schwierigkeiten mit dem Eis aus.) Sieben weitere folgen bis Olympia, aber schon jetzt ist diese Material-Hochrüstung einzigartig in der Geschichte des BSD, viele Aspekte hat sie, das anschaulichste Beispiel bietet immer noch Thorsten Margis.

Ein guter Skispringer wäre er nicht geworden. Zunächst versuchte er sich als Zehnkämpfer, und seit einigen Jahren schiebt er mit seinen 1,91 Meter Körpergröße und 102 Kilogramm Gewicht den besten deutschen Bob an, den des siebenmaligen Weltmeisters Francesco Friedrich. Bei Margis' Job geht es vereinfacht ausgedrückt darum, etwa fünf Sekunden lang zu explodieren - man muss es so sagen -, und sich dann blitzartig in einen Stein zu verwandeln, der ganz schwer ist, aber nicht im Fahrtwind zu stehen hat. Margis mühte und verbog sich also, aber im Inneren eines Bobs ist eben nicht viel mehr Platz als in der Kiste eines Schlangenmenschen, weshalb sein Helm auf der Fahrt ins Ziel doch einen Hauch Luftwiderstand bot.

Offenbar hat auch die FES ihre Probleme gelöst - und legt nun einen schnelleren Zweierbob vor

Vor einem halben Jahr wurde Francesco Friedrich mit Margis und den anderen Anschiebern zwar Doppelweltmeister in Königssee, eigentlich passt also alles. Aber wer weiß, vielleicht würde Margis' Helmkuppe in Pyeongchang doch die entscheidenden Hundertstel kosten. Diesmal soll möglichst nichts dem Zufall überlassen werden. Weil Friedrich sich zudem mit dem neuen Bob-Lieferanten, dem Österreicher Johannes Wallner, sehr gut versteht, und weil der deutsche Verband nicht nur den eher mit Bauchgefühl konzipierenden Wallner hat, sondern wegen des Sponsors BMW auch auf ein Technologiezentrum zurückgreifen kann, wurde der Viererbob an Margis' Körper angepasst.

Material wird überall im Bob-Zirkus unter modernen Bedingungen gefertigt. In Lettland, in den USA, in der Schweiz und auch in Oberbayern bei den Singers versorgen öffentliche Forschungsstellen, Technik-Unternehmen oder bob-verrückte Bastler die Crews, zudem liefert Johannes Wallner weiterhin Standard-Bobs an die Konkurrenz. Exklusiv fortentwickelt werden von ihm nur die der Deutschen. Ungefähr läuft das dann so: In München setzen sich Margis und die anderen in ihren Viererbob, der steht im Windkanal, ein Computer zeichnet Strömungsstörungen auf, eine Präzisionsfräse fräst eine Negativform, daraus wird eine Präzisionsvorlage gefertigt, die nach Volders bei Innsbruck gebracht wird, in die Garage von Wallner, der den Bob dann so anpasst, dass dieser nicht breiter wird und Margis hinten sitzend trotzdem bequem verschwindet.

Diese individuelle Versorgung treibt die Erwartungen hoch. Das deutsche Team ist mit den Investitionen ein Risiko eingegangen, nun befindet es sich in der Favoritenrolle. Schon im vergangenen Winter, als man noch mit der alten Wallner-Generation unterwegs war, führten Friedrich und Johannes Lochner (Königssee) mit Abstand die bereinigten Ranglisten an. Zu dieser Überlegenheit kommt hinzu, dass der eigentliche deutsche Bob-Lieferant, die Berliner Entwicklungsstelle FES, offenbar das Sotschi-Trauma überwunden hat. Die FES legt nun auch zwei recht schnelle Schlitten vor. Nico Walther, 27, der dritte Pilot im Team von Bundestrainer René Spies, wähnt sich im Vergleich zu seinen Wallner-fahrenden Kollegen nicht unbedingt im Nachteil: "Den Service von der FES hab' ich jetzt ja ganz für mich alleine", sagte er bei der Saisoneröffnung.

Alle zusammen werden in Lake Placid nun die erste Ahnung davon bekommen, ob sich das Tüfteln und Testen im Sommer 2017 gelohnt hat. Die Bahn ist tückisch, Spies selber wurde einst als Pilot nach einem Sturz in Kurve vier ins Krankenhaus gebracht. Fahrer und Anschieber, fordert er, sollen Tempo machen und sich konzentrieren: "Was für Plätze herauskommen, hat noch nicht Priorität."

Priorität hat, dass die kostbaren Schlitten im November und Dezember gut durch die schweren Bahnen Nordamerikas kommen, dabei so schnell wie berechnet fahren, dass niemand stürzt und alle im Ziel wieder heil aus der Kiste springen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3739590
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 08.11.2017
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.