Boateng über rassistische Anfeindungen:"Das ist die Hölle"

Eintracht Frankfurt - Neuzugang Kevin-Prince Boateng

Kämpft engagiert gegen Rassismus im Fußball an: Kevin-Prince Boateng von Eintracht Frankfurt.

(Foto: Frank Rumpenhorst/dpa)

Kevin-Prince Boateng wurde in der Vergangenheit oft wegen seiner Hautfarbe beleidigt. Ein Gespräch über Rassismus auf dem Fußballplatz.

Interview von Josef Wirnshofer

Es gibt sie, diese Momente im Profifußball, in denen seitens der Spieler oder der Funktionäre ein aufrichtiges Bewusstsein für politische und gesellschaftliche Probleme deutlich wird. Zwar nicht oft, aber es gibt sie. Einer dieser Momente war das Freundschaftsspiel zwischen dem AC Mailand und dem italienischen Viertligisten Aurora Pro Patria am 3. Januar 2013. Kevin-Prince Boateng, damals einer der wichtigsten Spieler des AC Mailand, musste sich aus der gegnerischen Kurve immer wieder rassistische Beleidigungen anhören. Bis zur 26. Minute, dann war Schluss: Boateng stoppte den Ball, schoss ihn wütend auf die Bühne und ging vom Platz. Seine Mitspieler zeigten sich solidarisch und verließen das Spielfeld mit ihm.

Boateng, gebürtiger Berliner, der Vater aus Ghana, die Mutter aus Deutschland, hat Rassismus im Fußball zum Thema gemacht, wie es vorher kein anderer Spieler tat. Wenige Monate später hat er vor den Vereinten Nationen in Genf darüber gesprochen. Seitdem findet der 30-Jährige immer wieder deutliche Worte gegen Diskriminierung. Zuletzt forderte er vor wenigen Wochen den Einsatz von Videotechnik, um Rassisten auf den Tribünen zu identifizieren. Wir haben mit ihm im November 2017 über seine Erfahrungen mit Rassismus in der Jugend, im Profifußball und über Deutschland gesprochen.

jetzt: Kevin-Prince Boateng, als Sie noch in der Jugendmannschaft gespielt haben, wurden Sie bei Auswärtsspielen manchmal von den Eltern der gegnerischen Mannschaft bespuckt und rassistisch beleidigt. Was hat das mit Ihnen gemacht?

Kevin-Prince Boateng: Als das die ersten Male passiert ist, war das für mich sehr emotional. Ich hatte nie das Glück, dass mein Papa bei Spielen dabei war, dass ich also eine ältere Person gehabt hätte, die mir hilft. Das haben dann manchmal die Eltern meiner Mitspieler versucht. Wenn ein Kind dich beleidigt, kannst du dir denken: Okay, das sagt der, weil er es irgendwo gehört hat. Aber wenn erwachsene Menschen das machen, tut das weh. Denn du weißt ganz genau, dass sie in diesem Moment einen sieben- oder achtjährigen Jungen aufs Tiefste verletzen wollen. Als ich jung war, habe ich immer versucht, das wegzudenken, zu unterdrücken. Ich habe viel geweint in der Zeit. Wirklich darüber gesprochen habe ich nie.

Sie haben es geschluckt.

Klar. Das ist ja nicht nur einmal passiert, sondern öfter. Mit der Zeit wurde das Runterschlucken immer einfacher. Ich habe mich dann auf das Spiel konzentriert und wollte die Beleidigungen mit Toren heimzahlen. Ich hatte Mitspieler, die ebenfalls beleidigt wurden. Chinedu Ede zum Beispiel, der später auch Bundesliga-Profi geworden ist. Wir haben damals immer zusammengespielt und solche Vorfälle dann gemeinsam weggedacht.

Haben sie untereinander darüber gesprochen?

Das schon. Meistens mit Tränen in den Augen. Einmal war er der Starke, einmal war ich der Starke, so ging das hin und her.

Wie haben Ihre Trainer damals reagiert?

Sie haben probiert, dazwischen zu gehen. Aber das war natürlich nicht einfach. Es kam ja meistens bei Auswärtsspielen vor, da waren nur wir und der Trainer am Platz, während bei der gegnerischen Mannschaft die Eltern da waren, vielleicht auch ein paar Fans. Die Trainer haben dann eher auf uns eingesprochen und gesagt: Das sind Idioten, nehmt euch das nicht zu Herzen.

Gibt es einen Vorfall aus der Zeit, der Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist?

Das war ein Hallenturnier, als ich schon U-Nationalspieler war. Dort hat mir jemand zugerufen: "Für jedes Tor kriegst du eine Banane." In dem Moment habe ich mich nicht deutsch gefühlt. Habe meine Kindheit hinterfragt, wer ich bin, woher ich komme, alles. Dabei müsste ich doch eigentlich zu hundert Prozent deutsch sein, auch wenn ich eine andere Hautfarbe habe. Ich bin hier geboren, spreche die Sprache und habe zwanzig Jahre in Deutschland gelebt. Trotzdem haben mir solche Situationen damals das Gefühl genommen, das ich heute wieder habe: dass ich Deutscher bin, ebenso wie ich Ghanaer bin.

Wie haben Sie sich das wieder erarbeitet?

Das ist ein Werdegang, viele Erfahrungen, die man über die Jahre sammelt. Dabei hat es mir sehr geholfen, für die Nationalmannschaft von Ghana zu spielen.

Auch nach Ihrer Jugendzeit waren Sie immer wieder mit Rassismus im Fußball konfrontiert. Wo begegnet er Ihnen heute?

In Zusammenhang mit meiner Person nicht mehr so oft, weil die Leute inzwischen wissen, wie ich zu dem Thema stehe. Aber es geht ja nicht nur um mich. Wenn ich höre, dass ein anderer Spieler rassistisch beleidigt wurde, will ich ihm helfen, weil ich ganz genau weiß, wie sich das anfühlt. Du bist ein gestandener Fußballprofi, Basketballprofi, egal welcher Sport, und hast geleistet, was nicht viele geleistet haben. Du müsstest also eigentlich die größte Anerkennung bekommen von den Menschen, die den Sport feiern. Aber es gibt nach wie vor Leute, die dich verurteilen, weil du eine andere Hautfarbe hast.

Kommen diese Anfeindungen nur aus den Kurven?

Nein, natürlich gibt es die auch auf dem Platz. Viele sagen: Auf dem Platz ist alles erlaubt. Aber wenn mich jemand als "Scheiß-Schwarzer" betitelt, ist das nicht erlaubt. Das ist Rassismus, Punkt. Trotzdem ist es mir schon passiert, dass Gegenspieler mich so genannt haben.

Auch in der Bundesliga?

In Deutschland, Italien, Spanien, es ist überall gleich: So wie es auf den Straßen passiert, passiert es auch in den Stadien. Manchmal sind es nur Blicke, an denen du erkennst, dass ein Mensch dich nicht mag, weil du anders aussiehst.

Wurden Sie mal von einem Trainer benachteiligt, weil Sie schwarz sind?

Ich bin mir absolut sicher, dass es das gibt. Ich selbst habe das aber nie erlebt.

Lassen Anfeindungen nach, je mehr Erfolg man hat?

Vielleicht insofern, als dass die Leute es nicht mehr laut sagen. Aber Rassismus zeigt sich ja nicht nur, wenn dich jemand beschimpft. Er zeigt sich darin, wie jemand denkt, wie er lebt, wie er fühlt. Wie gesagt, manchmal kann ich das schon an Blicken erkennen. Das ist das Traurige: Man muss nicht mal was sagen.

Wie oft kommt es denn vor, dass Spieler rassistisch beleidigt werden?

Das kann 50 Mal im Jahr passieren, es kann aber auch sein, dass es ein Jahr lang gar nicht passiert. Das hängt von der Situation ab, wo du bist, mit wem du dich umgibst. Aber man weiß, dass dieses Denken da ist. Wie oft du dann beleidigt wirst, ist eigentlich irrelevant.

Wenn Fans so etwas machen, hat das selten Konsequenzen. Warum?

Das Problem ist: Die Leute im Stadion sind alle anonym. Rassistische Menschen nutzen das. Da hörst du mal hier Affengeräusche, mal dort. Sie haben in dem Moment die Chance, zu leben, was sie sind, aber sie fallen in der Menge nicht groß auf. Wir auf dem Platz hören das aber.

Sie haben vor ein paar Wochen in einem Interview gefordert, Videotechnik einzusetzen, um rassistische Schreier zu identifizieren. Wie könnte das konkret aussehen?

Ganz einfach: Man hängt in jede Ecke vom Stadion eine Kamera mit Mikrofon. Damit kannst du jeden kontrollieren.

Aber wenn in den Ecken jeweils ein Mikrofon hängt, lässt sich bei so einer großen Menschenmenge doch schwer ausmachen, dass genau Person X in Reihe 25 gerade einen rassistischen Kommentar gegrölt hat.

Das ist doch nicht schwer. Auf dem Fußballplatz kann man ja auch alles kontrollieren. Was ich sage, wem ich es sage, ob ich den Ellbogen mit Absicht ausgefahren habe oder im Abseits stand. Ich bin weder Tontechniker noch Kameraspezialist, aber ich bin mir sicher, dass das auf den Tribünen möglich wäre. Es kostet halt Geld. Aber es hätte etwas Positives für die Sicherheit eines jeden Stadions. Wir haben doch auch die Gefahr durch Terrorismus, wir wollen keine Pyrotechnik mehr im Stadion: Mit einer Kamera könnte man das überwachen.

Stellt man damit nicht alle Stadionbesucher unter Generalverdacht?

Diese Gefahr sehe ich nicht, denn mit einer Kamera könnten nicht nur diejenigen identifiziert werden, die rassistische Beleidigungen rufen, sondern auch die, die anderweitig die Sicherheit im Stadion gefährden. Alle anderen haben ja nichts zu befürchten.

Wie sollten die Vereine mit rassistischen Fans umgehen?

Ein Verbot erteilen. Sie nicht mehr ins Stadion lassen. Ihnen nicht mehr die Plattform geben, vor 50.000 Menschen so etwas zu machen. Wir dürfen nicht vergessen: Wir müssen das doch für unsere Kinder angehen, für die Zukunft. Dass ein Fünfjähriger ins Stadion kommt und rassistische Plakate sieht: Das darf nicht sein. Der darf im Stadion auch nicht neben jemandem sitzen, der "du Neger" sagt, "du scheiß Türke", "du scheiß Araber" oder "du scheiß Chinese". Wenn wir das heutzutage immer noch zulassen, dann ist das unsere Schuld. Deshalb tue ich alles dafür, das zu ändern. Aber ich kann das nicht alleine. Da müssen sich die Verbände und die Ligen zusammentun.

Steht das Thema bei den Verbänden groß genug auf der Agenda?

Auf keinen Fall. Das werde ich auch immer wieder sagen. Es reicht nicht, vor Champions-League-Spielen ein "No to racism"-Video zu zeigen. Der fünfjährige Eintracht-Frankfurt-Fan sieht dieses Video vielleicht gar nicht. Es reicht auch nicht, ab und an ein T-Shirt anzuziehen, auf dem "Kein Rassismus" steht, oder "Wir zeigen Rassismus die rote Karte". Das ist alles schön und gut, das sollte man auch beibehalten - aber man muss mehr machen. Mehr Publicity, mehr Videos. Man muss die Spiele als Events begreifen und dort Zeichen setzen. Jeder Verein sollte auch im Marketing etwas unternehmen. Da würde doch jeder Bundesliga-Profi mithelfen, jeder Spieler der Welt.

Warum wird dann nicht mehr getan?

Keine Ahnung. Ob der Ball im Tor war oder nicht, darüber reden wir jeden Tag, in jeder Zeitung, überall. Aber es gibt wichtigere Sachen im Leben. Wenn wir irgendwann an den Punkt kommen, an dem wir sagen: Wir schaffen es nicht, Rassismus zu besiegen - okay, dann haben wir wenigstens alles versucht. Aber wir haben noch nicht mal damit angefangen.

Sie sprechen das Thema immer wieder an, haben bereits 2014 gefordert, neutrale Beobachter auf die Tribünen zu setzen, um Rassisten zu identifizieren. Auch Profis wie Mario Balotelli machen sich dafür stark. Und doch sitzen wir hier und sprechen über Rassismus im Fußball. Frustriert Sie das?

Natürlich frustriert mich das. Denn es bedeutet: Wir werden nicht gehört. Oder die Leute wollen uns nicht hören. Ich gebe solche Interviews ja nicht, um Spaß zu haben, sondern um auf das Thema aufmerksam zu machen.

Sie sind Mitte August nach Frankfurt gewechselt, sechs Wochen später hat die AfD bei der Bundestagswahl knapp 13 Prozent erreicht. Wie fühlt es sich an, 2017 nach Deutschland zurück zu kommen?

Ich war geschockt. Wenn dich so viele Menschen aus dem Land wünschen, bist du besorgt. Und wenn sich einer ans Mikrofon stellt und sagt, dass er Merkel jagen wird, denke ich: Jagen tut man Tiere, keine Menschen. Wie ist es möglich, dass so eine Partei so viele Stimmen bekommt? Die wachsen und wachsen und keiner haut dazwischen.

Im Mai 2016 hat Alexander Gauland über Ihren Bruder Jérôme gesagt, dass er in Deutschland als Fußballer zwar geschätzt werde, die Menschen ihn aber nicht als Nachbarn wollen. Wie ging es Ihnen damit?

Was soll man dazu sagen? Das Problem ist, dass dieser Mann immer noch eine Stimme hat. Er kann immer noch reden. Sobald er etwas sagt, ist er im Fernsehen. Das ist doch beschämend. So jemandem darf man keine Bildfläche mehr geben, man sollte ihn nicht mehr ernst nehmen.

Ignorieren?

Nicht ignorieren. Aber ihm nicht auch noch Kameras und Mikrofone hinhalten.

Begegnet Ihnen Rassismus auf der Straße, im Alltag?

Klar. Ich werde nicht angefeindet, aber die Leute wechseln zum Beispiel die Straßenseite. Es kann auch passieren, dass ich mit dem Auto an der Ampel stehe und aus dem Wagen nebenan schaut mich ein Pärchen an und schüttelt den Kopf. Da weiß ich, was die denken: Wie kann ein Schwarzer in so einem Auto sitzen? Das ist doch bestimmt ein Drogendealer. Ich war mal im Supermarkt und stand neben einer Frau, die nicht an den Reis oben im Regal gekommen ist. Also hab ich ihr eine Packung runter gehoben und sie ihr gegeben. Sie hat sie genommen, zurück ins Regal gestellt und einen Angestellten geholt, der ihr eine neue Packung geben sollte. Wie fühlt man sich da wohl?

Sie haben 2013 vor einem Ausschuss der Vereinten Nationen in Genf über Ihre Erfahrungen mit Rassismus im Stadion gesprochen. Was hat sich seitdem verändert?

Traurigerweise gar nichts. Außer, dass ich aus dem "No to racism"-Werbespot vor Champions-League-Partien rausgenommen wurde, weil ich nicht mehr in der Champions League spiele. Ich verstehe ja, dass da die ganzen Superstars vorkommen müssen, die in den Spielen dabei sind. Aber ich habe das Thema als erster Spieler in die Hand genommen und werde als Erster aus dem Video geschnitten. Das ist nur eine Notiz am Rande, aber sie sagt irgendwie alles.

Sie sind inzwischen Vater zweier Söhne. Wenn die in ein paar Jahren zu Ihnen kommen, weil sie ähnlich beleidigt wurden, wie Sie als Kind: Was werden Sie ihnen raten?

Verteidige dich. Du darfst niemals weggucken und runterschlucken. Das tut noch zehnmal mehr weh. Seit ich denken kann, habe ich bis zu dem Tag, als ich vom Platz gegangen bin, alles in mich hineingefressen. Das ist die Hölle. Denn bis dahin weißt du nicht, wer du bist. Du lässt andere Menschen bestimmen, wie du dich fühlst. Das darf niemals passieren. Verteidige dich - das werde ich meinen Kindern sagen. Und warte nicht, bist du 23 oder 24 bist. Sonst explodiert es irgendwann. Bei mir hat das bedeutet, dass ich den Ball weggeschossen und das Spielfeld verlassen habe. Aber es kann auch anders explodieren. So, dass man einem Menschen womöglich wehtut.

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