Süddeutsche Zeitung

European Championships:Müller springt in die Weltspitze

Kim Lea Müller gewinnt mit Silber im BMX-Freestyle-Wettbewerb die erste Medaille für Deutschland. Bundestrainer Tobias Wicke prophezeit ihr eine große Zukunft in der boomenden Sportart.

Von Ralf Tögel

Kim Lea Müller wusste erstmal keine Antwort. Ob sie Profi sei, wurde die erste deutsche Medaillengewinnerin der European Championships gefragt, die 20-Jährige lachte schüchtern und sagte leise: "Jetzt vielleicht schon? Aber ich würde nein sagen." Natürlich ist sie im Bundeskader der BMX-Freestyle-Fahrerinnen, und ja, der Trainingsumfang ist entsprechend groß. Rückwärtssaltos mit dem BMX-Rad sollten auch angemessen trainiert sein. Im Oktober wird sie bei den Weltmeisterschaften in Abu Dhabi starten, dann folgt ein Weltcup in Australien, anschließend beginnt die Qualifikationsphase für die Olympischen Spielen in Paris, dort ist BMX wieder fester Bestandteil des Wettkampfprogramms. All das klingt schon nach einer professionellen Leistungssportlerin.

Bundestrainer Tobias Wicke definiert Profis als solche Athletinnen, die von ihrem Sport leben können. Und nach ihrem zweiten EM-Platz fand er, dass Kim Lea Müller zumindest auf dem besten Wege dahin sei: "Mit EM-Silber lässt sich arbeiten." Wicke war ebenfalls einigermaßen sprachlos, denn mit diesem Erfolg hatte er nicht gerechnet. Zwar hatte Müller im Juni beim Munich Mash noch den Wettbewerb Best Trick gewonnen, das ist aber ein Einladungsevent, bei dem die Show eine große Rolle spielt. Müller hatte nach ihrem Erfolg erzählt, dass sie bei Weltcups noch mit Ehrfurcht auf die Weltspitze blicke, am Freitagnachmittag war sie vor 6000 Zuschauern mitten in selbiger gelandet.

Schon im ersten ihrer beiden Runs hatte sie angedeutet, dass mit ihr zu rechnen ist, freilich auch deswegen, weil alle drei Favoritinnen gepatzt hatten. Die englische Olympiasiegerin Charlotte Worthington war bei der Landung nach einer doppelten Drehung hoch in der Luft vom Pedal gerutscht und gestürzt, Titelverteidigerin Nikita Ducarroz widerfuhr dieses Missgeschick beim Rückwärtssalto. Weil beide im zweiten Run erneut voll auf Risiko setzten und bei ihren Höchstschwierigkeiten erneut vom Rad mussten, war der Weg frei für die vermeintlichen Außenseiterinnen. Den Titel gewann die erst 16-jährige Iveta Miculyčová aus Tschechien, Bronze sicherte sich die Französin Laury Perez.

Auch Lara Lessmann, die Zweite der vergangenen beiden Europameisterschaften, war hoch gehandelt worden, zumal sie als Dritte hinter den beiden Topfavoritinnen ins Finale eingezogen war. Die 22-jährige Wahl-Berlinerin, die im Gegensatz zu Teamkollegin Müller eindeutig den Status einer Profi-Fahrerin hat, beendete beide Runs zwar ohne Sturz. Dafür spielten ihr die Nerven einen Streich, der Duck vor heimischer Kulisse war offenbar zu groß. Außerdem verzichtete sie als einzige Topfahrerin auf den Rückwärtssalto - und fiel so nach Rang drei im ersten Lauf noch auf den undankbaren vierten Platz zurück.

"Ich hatte mir eigentlich nur vorgenommen, Freude im Wettkampf zu haben, eine Medaille war nie mein Ziel."

Die Enttäuschung war so groß, dass sie sich frustriert und unbemerkt von dannen machte, der Bundestrainer übernahm die Erklärung für den Misserfolg: "Man muss jetzt nicht von einem Tief sprechen, Lara zählt zu den besten Fahrerinnen weltweit. Ich glaube, vielleicht waren ihre Anforderungen an sich selbst zu groß. Wir werden sie jetzt wieder aufbauen und sie wird die nächsten Wettkämpfe wieder rocken", er mache sich jedenfalls keine Sorgen." Rebecca Gruhn, die dritte Deutsche, die es ins Finale geschafft hatte, war hingegen mit ihrem siebten Platz zufrieden: "Ich hatte Spaß und das gezeigt, was ich mir vorgenommen habe. Mehr ging nicht."

Was auch Kim Lea Müller von sich behaupten konnte: "Ich hatte mir eigentlich nur vorgenommen, Freude im Wettkampf zu haben, eine Medaille war nie mein Ziel." Aber der zweite Run sei ihr perfekt gelungen: Alles war genau so, wie ich es machen wollte. Es war ein so cooles Event, die Anfeuerung der vielen Zuschauer, die coole Location hier auf dem Olympiaberg, ich weiß gar nicht, was ich sagen soll." Bundestrainer Wicke schon, er fand, dass es vielleicht ein Vorteil gewesen sei, dass man Müller eher nicht auf dem Zettel hatte. Er aber habe schon gewusst, wozu die so "schüchterne wie fröhliche" Oldenburgerin in der Lage sei: "Sie kann noch viel mehr, das wird sie in Zukunft sicher zeigen." Dann aber als Profi.

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