Als Alexander Zverev am Donnerstag vor seinem Auftaktspiel bei den BMW Open, das zugleich sein letztes bei diesem Turnier war, sich den Weg zum Besaitungsservice bahnt, hat er es nicht einfach. Auf der Anlage des MTTC Iphitos München am Aumeisterweg muss er auch ein paar Rollstuhlfahrer umkurven, um zu seinem Ziel zu kommen. Er sagt ein freundliches "Hallo", und vielleicht ist das ja schon ein Anfang jener Inklusion, die sie sich wünschen in diesen Tagen am Rande des Englischen Gartens.
Zum ersten Mal überhaupt wird in Deutschland Rollstuhltennis in ein hochkaratiges internationales ATP-Turnier eingebaut, die so genannte Para Trophy. Zwar geht es nicht um Weltranglistenpunkte, es ist ein Einladungswettkampf, aber immerhin dürfen hier auch Rollstuhltennisspieler im Rahmen eines renommierten Fußgänger-Turniers ihre Schläger schwingen. Und das "abseits von Show-Matches, die immer diesen Zoo-Charakter haben", wie der deutsche Rollstuhltennis-Bundestrainer Niklas Höfken sagt. Die dreitägige Para Trophy, die noch bis zu diesem Samstag andauert, wartet mit Shuttle-Service, professionellen Stuhl-Schiedsrichtern oder Ballkindern auf, was für die Spieler überhaupt nicht alltäglich ist. Das Turnier ist mit 30 000 Euro dotiert, "absolutes internationales Top-Level", sagt Höfken, aber natürlich immer noch meilenweit entfernt vom Verdienst der besten Fußgänger im Profitennis.
Bei den Grand Slams dürfen die Para-Sportler parallel zu Nadal, Djokovic, Zverev und Co. ihr Können zeigen, das schon, und mit viel Glück, wie der Weltranglisten-Erste Alfie Hewett bei seinem Heimturnier in Wimbledon, vielleicht sogar mal auf dem Center Court spielen. "Time to shine" nennt Höfken das, die Frauen und Männer im Rollstuhl haben dann auch mal die seltene Gelegenheit, vor großem Publikum und vielen Kameras zu glänzen. Aber sonst spielen sie ihre ITF-Tour weitgehend unter sich. "Leider sind die wenigsten Turniere inklusiv", sagt Höfken. München ist da eine große Ausnahme.
Die wenigsten Turniere im Tennis sind Inklusionsveranstaltungen, "leider", sagt Rollstugltennis-Bundestrainer Niklas Höfken
Insgesamt zwölf Spieler der offenen Herren-Klasse machen mit beim von der Allianz unterstützten Turnier, auch Hewett, der Vollprofi. Am Donnerstag nimmt er sich Zeit, um über seinen Sport zu sprechen, und stimmt eine Lobeshymne an: "Die Woche hier ist ein tolles Beispiel dafür, wie wir von der Integration in ein solch großes Turnier profitieren." Hewett hat gar auf ein wichtiges ITF-Turnier in Japan verzichtet, um in München an den Start zu gehen. "Ich fühlte mich verantwortlich, es ist so eine große Chance."
Es tut sich etwas in diesem Sport, der oft im Schatten steht. "Rollstuhltennis professionalisiert sich weltweit", sagt Höfken, das schon. Aber hier in Deutschland gibt es dem Bundestrainer zufolge nur an die 200 Rollstuhltennisspielerinnen und -spieler, inklusive des Freizeitsports. Gerade mal ein Dutzend spielt auf internationalem Niveau, der beste Deutsche, Anthony Dittmar, steht in der Weltrangliste aktuell auf Platz 54. Immerhin kommen laut Höfken gerade einige Jugendspieler nach. "Wir sind inzwischen auf einem guten Weg, nachdem in den letzten 15 Jahren schon ein paar Sachen verschlafen wurden, auch vonseiten des Deutschen Tennis Bundes und des Deutschen Behindertensportverbandes", findet Höfken, der seit 2018 Rollstuhltennis-Bundestrainer ist.
Ein nach wie vor grassierendes Schubladendenken, mangelnde Unterstützung, fehlende Zuständigkeiten in den Verbänden, nach dem Motto: Rollstuhltennis, ist das jetzt Tennis oder Behindertensport? Nur langsam ändert sich an diesem lange Zeit existierenden Status quo etwas. Ein anderes Problem in Deutschland: "Meine Spieler müssen ihre Rollstühle selbst zahlen, und wenn sie die Krankenkasse fragen, ob sie die Kosten übernehmen kann, sagt die meistens Nein - mit dem Argument, dass ihre Versicherten ja nicht Tennis spielen müssten, sondern auch zuhause bleiben könnten."
Die Krankenkassen lehnen es meist ab, die Sportrollstühle zu zahlen. Die Begründung: Sie müssen ja nicht Tennis spielen
In München sind immerhin drei Deutsche am Start, neben Dittmar auch der vielfache deutsche Meister Sven Hiller, 43, beide verlieren ihre Auftaktspiele am Donnerstag mit 2:6 und 0:6. Nur Nachwuchshoffnung Christoph Wilke, 21, kommt weiter - verliert dann aber am Freitag im Halbfinale gegen Hewett, den haushohen Favoriten und späteren Turniersieger, 0:6, 0:6. Hiller ist querschnittgelähmt, Wilke beinamputiert, Dittmar hat die Glasknochenkrankheit. Alle sind berufstätig, opfern große Teile ihres Urlaubs für den Sport. Höfken würde sich wünschen, dass es auch im Rollstuhltennis mal sowas wie eine duale Karriere gäbe. Oder einen einzigen Profi.

Hewett, der im Januar die Australian Open gewann, ist da ein gutes Gegenbeispiel: Der 25-Jährige hatte in England auch einen steinigen Weg bis an die Weltspitze, wird aber vom Verband seit langem gefördert. "Er bekommt seine Sportrollstühle und den Großteil seiner Trainings- und Turnierkosten bezahlt", sagt Höfken. Und das will schon was heißen, so ein Spezial-Modell kostet immerhin an die 10 000 Euro. Hewett selbst sagt am Donnerstag: "Ich trainiere sechs Tage pro Woche, habe einen Manager, zwei Trainer, einen Physiotherapeuten, einen Mentaltrainer, arbeite mit Ernährungsberatern zusammen." Er profitiert dabei von zwei Teams - seinem eigenen und jenem des englischen Tennisverbandes, der die Spieler im Rollstuhl viel mehr integriert, als es in Deutschland der Fall ist. Hewett erzählt aber auch, dass er gerade auf seiner USA-Tour drei von vier Turnieren gewonnen habe und trotzdem mit einem Minus zurückgekehrt sei: "Wenn man bei uns kein Grand-Slam-Turnier gewinnt, ist es schwer, sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen." Um die 50 000 Euro erhalten die Sieger bei den lukrativsten Turnieren der Welt.
Bis dorthin - oder bis zu jenem Punkt, wo Hewitt inzwischen angekommen ist, ist es hierzulande aber noch ein sehr weiter Weg. Die Para Trophy in München firmiert da allenfalls als Startsignal.