"Blood Rule" im Reitsport:"Sanft" verletzen ist bald erlaubt

Reitturnier CHIO - Springen

Der deutsche Springreiter Marcus Ehning gilt als "feiner" Reiter, der sein Pferd nicht zu hart mit den Sporen antreibt.

(Foto: dpa)
  • Die Springreiter streiten über Sporen, jenem Hilfsmittel, mit dem der Druck aufs Pferd verstärkt wird.
  • Sobald die Pferde verletzt werden und Blut zu sehen ist, bedeutet das aktuell die Disqualifikation. Das wird sich bald ändern.
  • In Zukunft sollen etwa kleinere Blutspuren folgenlos bleiben. Die Stewards und Richter bekommen einen größeren Ermessensspielraum.

Von Gabriele Pochhammer

Jetzt hat es auch einen deutschen Springreiter getroffen, ausgerechnet Marcus Ehning, der als besonders feinfühlig und fair gilt. Nach zwei fehlerfreien Runden im Nationenpreis im britischen Ort Hickstead wurde er disqualifiziert, weil an der Seite seines Pferdes Comme il faut eine kleine blutige Schramme zu sehen war, hervorgerufen vom Sporen. Das Team fiel vom dritten auf den siebten Platz zurück, den vorletzten - bitter für Ehning, seine Teamkameraden und Bundestrainer Otto Becker. Marcus Ehning sei sehr enttäuscht, heißt es auf seiner Homepage. Und Comme il faut gehe es sehr gut.

Der Vorfall befeuert erneut die Diskussion um die sogenannte "Blood Rule", die besagt, dass jede Hautverletzung im Bereich der Flanken, also dort, wo der Sporen einwirkt, zum Ausschluss führt. Das wird vom Steward mit einem weißen Handschuh überprüft. Endlose Dispute und Proteste, ob die Verletzung gravierend ist, wurden so bisher vermieden. Bei der Global Champions-Tour (GCT) in Cascais vor einigen Wochen wurde der Olympiasieger von 2012, der Brite Scott Brash, nach seinem Sieg auf Hello Forever aus der Wertung gestrichen. Daraufhin rief sowohl die Geldgeberin seines GC-League-Teams, die Milliardärstochter Georgina Bloomberg, als auch Tour-Organisator Jan Tops empört dazu auf, die "Blood Rule" abzuschaffen.

Kleinere Blutspuren sollen künftig folgenlos bleiben

Das wird wohl demnächst passieren. Das Springkomitee der Internationalen Reiterlichen Vereinigung (FEI) legte einen Entwurf vor, nach dem lediglich "exzessiver Sporengebrauch" geahndet werden soll. Kleinere Blutspuren bleiben folgenlos. Steward und Richter bekommen also einen Ermessensspielraum für die Entscheidung, wann eine Wunde so ernst ist, dass der Reiter ausgeschlossen werden muss.

Bei den Olympischen Spielen in Rio 2016 waren vier Reiter wegen Sporen- oder Peitschenverletzungen ihrer Pferde disqualifiziert worden. Nur ein Equipe-Chef hatte Protest eingelegt, ohne Erfolg. Rio-Chefrichter Stefan Ellenbruch erklärte, die Disqualifikationen seien unumgänglich gewesen, man können "nicht anfangen, Schnitttiefen zu messen". Das werden er und seine Kollegen aber demnächst wohl müssen, wenn die Regeländerung 2018 in Kraft tritt.

Indem sie dem Druck von Interessensgruppen nachgibt, macht es sich die FEI leicht: Sie schiebt dem Steward beziehungsweise dem Richter die Verantwortung zu. Die dürfen sich jetzt unbeliebt machen und überlegen, ob sie demnächst vom Veranstalter wieder eingeladen werden, wenn sie einen prominenten Reiter aus dem Rennen werfen, weil sein Pferd an der Seite aufgestochen ist. Freie Fahrt also für großzügige Offizielle, die nicht aus jedem Blutstropfen ein Drama machen.

"Da gibt es natürlich die Reiter, die wirklich mit dem Sporen ins Pferd hauen"

Weder Hello Forever noch Comme il faut waren schlimm verletzt. Die kleinen Pikser sind gleichwohl unangenehm, wie jeder testen kann, indem er sich mit einem spitzen Gegenstand in die Haut sticht. Davon stirbt man nicht, auch nicht als Pferd. Aber die innige Harmonie zwischen Mensch und Tier, derer sich der Pferdesport so gerne rühmt, stellt man sich doch anders vor.

Niemand hat Marcus Ehning oder Scott Brash unterstellt, ihr Pferd mutwillig verletzt zu haben. "Da gibt es natürlich die Reiter, die wirklich mit dem Sporen ins Pferd hauen. Und feine Reiter wie Marcus Ehning, bei denen eine Disqualifikation eben einfach nicht gerechtfertigt ist", sagt Bundestrainer Otto Becker: "Wenn einer sein Pferd richtig aufgestochen hat, muss er raus." Im übrigen stelle sich die Frage, ob ein Reiter nicht lediglich eliminiert werden soll anstatt gleich disqualifiziert. Der Unterschied: Im ersten Fall werden die bisherigen Ergebnisse gewertet, also etwa Ehnings erste fehlerlose Runde, im Zweiten verfallen die Resultate beider Umläufe.

Sporen sind ein uraltes Hilfsmittel in der Reiterei, um die Wirkung des Unterschenkels zu verstärken. Im Mittelalter wurden sie mit scharfen Rädchen versehen, bei denen Verletzungen fast unausweichlich waren. Die Zeiten haben sich geändert. Heute gibt es unzählige Sporenformen, mit sich drehenden Rädchen, mit glatten Kanten und mit so stumpfen, abgerundeten Enden, dass auch unbeabsichtigte Stichverletzungen nahezu ausgeschlossen sind. Vielleicht sollte man an dieser Stelle beginnen, die Regeln zu ändern. Bevor Blut fließt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: