Interessant an Boxern ist ja die spezielle Art, in der sie den eigenen Nachruhm beschwören. Die guten Boxer, also solche, die eine tadellose Karriere hingelegt haben, versuchen nachträglich, ein paar Brüche in ihrem Leben zu entdecken. Die bösen Boxer, also solche, die dem Publikum aufregend vorkommen, bekennen sich in ihren Biografien zu allen Fehlern ihres Lebens, lassen aber durchscheinen, dass sie gelernt haben und geläutert sind. Mike Tyson würde sagen: Die alte Saulus-Paulus-Nummer.
So ungefähr klingt er in seiner Biografie "Unbestreitbare Wahrheit", die an diesem Dienstag rauskommt. Das Buch ist geschrieben in einem lässigen Sopranos-Tonfall, durchsetzt von Überlegungen, die man mit gutem Willen philosophisch nennen könnte. Tyson hat das dicke Werk nicht allein gestemmt, das hat Larry "Ratso" Sloman für ihn erledigt, ein Bestseller-Autor, der darauf spezialisiert ist, wilden Männern ihre Lebensbeichte abzunehmen. Sloman war Ghostwriter von Kiss-Drummer Peter Criss und Red-Hot-Chili-Peppers-Sänger Anthony Kiedis.
Mike Gerald Tyson, geboren 1966, war der jüngste Schwergewichts-Champion der Geschichte, er war, nach Ali, der aufregendste Preisboxer. Der Mensch Tyson ist ein Strauchelnder. Gefängnis wegen Vergewaltigung, süchtig nach Sex, Alkohol, Drogen. Er biss seinem Gegner Evander Holyfield ein Stück aus dem Ohr und spuckte es auf den Ringboden. Im Buch wird nichts ausgelassen, kein Erlebnis aus der Kindheit in Brooklyn, keine verzweifelte Vögelei im Taxi, keine Inszenierung des Mannes als Macho. "Man nannte mich den Pelvis Pulverizer, den Beckenbrecher", schreibt Tyson, und wer Beckenbrecher für das Gegenteil von Beckenbauer hält, liegt knapp daneben.
Tysons Verhältnis zu den Frauen ist ein großes Thema, Tysons Verhältnis zu den Tauben auch, manchmal geht beides ineinander über. "Ein Mädchen in Phoenix, mit dem ich eine Zeit lang ging, beobachtete mich einmal bei meinen Tauben. ,Deine Vögel sind wie deine Frauen. Deshalb hast du auch nie 10 oder 20, sondern 500. Du hängst so an ihnen, dass du sicher sein willst, immer noch 499 zu haben, wenn du einen von ihnen verlierst. Genauso ist es mit deinen Frauen.'" Eine Deutung, mit der der Boxer sich gut anfreunden konnte: "Sie war nur ein junges Ding, aber sie hatte vollkommen recht."
Die Biografie interpretiert Tysons Süchte und Übertretungen als Sehnsucht nach Liebe, das klingt ziemlich einfach, und oft ist es auch die unkomplizierteste Entschuldigung. Dauernd wird jemand zitiert, Hannibal Lecter genauso wie Kleist und Napoleon, dessen Liebesbrief an Joséphine de Beauharnais. Tyson bricht das alles runter, "ich liebe das Zeug, das dieser Typ geschrieben hat", sagt er, beziehungsweise sein Ghostwriter lässt ihn das sagen, der ja alle Dramaturgie-Kniffe kennt.
Tatsächlich berührend allerdings wird das sehr auf leichte Lesbarkeit getrimmte Buch, wenn Tyson über den Tod seiner vierjährigen Tochter spricht, die sich stranguliert hatte, sie war mit dem Kopf in eine Kabelschlinge geraten, die von einem Fitnessgerät herunterhing. Das Mädchen hieß - ein Sinnbild für das Leben ihres Vaters: Exodus. Bei der Beerdigung sollte Tyson zu den Trauergästen sprechen. Er sagte: "Ich danke Ihnen, dass Sie gekommen sind." Dann konnte er nicht mehr.
Vier Jahre ist das her, Mike Tyson ist ein anderer seitdem, so erzählt es jedenfalls das Buch. Seine Geschäfte laufen besser, er sieht auch besser aus jetzt, dünner, beherrschter. Er kümmert sich um seine anderen Kinder, und auch wenn einem die Wandlung mit zu viel Lametta nahegebracht wird, kann man sich irgendwie vorstellen, dass so ein Erlebnis wie das mit Exodus etwas macht mit einem Kämpfer wie Tyson. Das echte Drama in seiner Boxer-Biografie verleiht Mike Tysons Buch etwas Tiefe und Ernsthaftigkeit. Und am Ende kommt es einem wie ein Wunder vor, dass dieser Mann noch lebt.
