Football-Coach am College:Ein Aprilscherz? Nein, Belichick meint es ernst

Lesezeit: 4 Min.

Kehrt nicht in die NFL zurück, sondern geht an die Uni: Trainerlegende Bill Belichick. (Foto: Steven Senne/AP)

Nach 49 Jahren als Profi-Footballtrainer wechselt der sechsmalige Super-Bowl-Sieger Bill Belichick an die Uni von North Carolina, die eigentlich für Basketball berühmt ist. Was kurios klingt, ergibt für beide Seiten Sinn.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Der schlechte Witz zuerst, damit der aus dem Weg ist: Natürlich ist Bill Belichick der perfekte Football-Trainer für die Studierenden der University of North Carolina – er hat zuletzt schließlich bewiesen, dass er gern mit jüngeren Leuten abhängt. Okay, das ist in Wahrheit nur eine wenig feinfühlige Anspielung darauf, dass der 72-Jährige mit der 48 Jahre jüngeren Jordon Hudson liiert ist und bei Witzen darüber – etwa beim Netflix-Special seines einstigen Schützlings Tom Brady – erstaunliche Nehmerfähigkeiten und Selbstironie beweist. Der Mann, von dem es hieß, dass er nicht einmal einen Keller besitze, in den er zum Lachen gehen könnte, hat also doch so etwas wie Humor.

Es ist auch kein Witz, dass Belichick tatsächlich Uni-Trainer wird, obwohl es viele für einen Aprilscherz im Dezember gehalten hatten. Belichick ist eine NFL-Legende mit sechs Super-Bowl-Siegen als Cheftrainer und zwei weiteren als Assistent, seit 49 Jahren als Coach in der Profiliga NFL tätig und gemeinsam mit Brady bei den New England Patriots das erfolgreichste Trainer-Quarterback-Gespann der Geschichte. Und nun wird er Footballcoach an einer Uni, die eher für Basketball berühmt ist. Sechs Titel, darunter jenen 1982 mit einem jungen Mann namens Michael Jordan, konnte die North Carolina gewinnen. Die Footballabteilung hingegen: kein Titel in 136 Jahren, sechs Siege und sechs Niederlagen in dieser Saison, Mittelmaß. Belichicks Entscheidung, dort Trainer zu werden, ist so, als würde Jürgen Klopp die Fußballabteilung des Basketballvereins Alba Berlin übernehmen – wenn es die tatsächlich gäbe.

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Es gibt dennoch für beide Seiten gute Gründe, diese Beziehung einzugehen, der offensichtlichste für den Coach: Es gab kein NFL-Team, das Belichick die Alleinherrschaft übers Sportliche erteilen wollte. Er hatte sich Ende vergangener Saison mit den Atlanta Falcons getroffen, war am Ende aber nicht mal in der engeren Wahl für den Posten als Headcoach gelandet. Während der laufenden Saison fungierte er als Damokles-Spekulations-Schwert für die Trainer enttäuschender Teams: Hey, die holen bestimmt bald Belichick. Der aber sah schnell ein, dass er bloß dies war: eine Drohgebärde.

Das habe ihn doch sehr gekränkt, ist aus gut informierten NFL-Kreisen zu hören, und Belichick habe deshalb beschlossen, dass der Wechsel an die Universität eine gute Idee ist: Er erhält dort 55 Millionen Dollar für fünf Jahre, dazu 20 Millionen für seine Persönlichkeitsrechte und die Garantie, dass er ein 400-Seiten-Buch mit Ideen für Veränderungen ungestört umsetzen darf, und zwar mit der Aussicht auf sofortigen Erfolg.

Der Name Belichick zieht und generiert zusätzliche Einnahmequellen

Das ist der gewaltige Unterschied zwischen Universität und Profis: Akteure spielen maximal vier Spielzeiten am College; die Regeländerungen zu Transfers zwischen Unis tragen dazu bei, dass sich Veränderungen viel schneller umsetzen lassen. Weniger als eine Woche nach seiner Unterschrift holte er die Offensive-Line-Naturgewalt Christo Kelly und sorgte dafür, dass Quarterback Bryce Baker – der zu den besten zehn Spielmachern seines Jahrgangs zählt und die Chance auf eine NFL-Karriere hat – nicht zu Penn State wechselt. „Wir versuchen, Spielern unsere Vorstellung zu vermitteln“, sagte Belichick: „Aber ganz ehrlich: Zahlreiche Akteure und deren Berater kommen gerade zu uns und fragen, ob wir einen Platz für sie haben.“

Der Name Belichick zieht, und es hilft, dass College-Akteure mittlerweile für ihre Persönlichkeitsrechte bezahlt werden dürfen: also für Reklame, ihr Foto auf Videospielen oder Instagram-Kanälen. Das sind Einnahmequellen, die auf Aufmerksamkeit basieren; der einstige Football- und Baseballprofi Deion Sanders hat in den vergangenen zwei Jahren als Trainer der University of Colorado gezeigt, wie man dieses neue System ausgebufft für sich nutzen kann. Er orchestriert die öffentliche Wahrnehmung geradezu, formte aus einem 1:11-Team vor zwei Jahren eine Mannschaft, die heuer eine 9:3-Bilanz schaffte und aus der sein Sohn Shedeur und Passempfänger Travis Hunter zu den ersten fünf Spielern gehören dürften, die Ende April von einer NFL-Franchise gewählt werden. Eine Studie ergab, dass all das Gedöns um Sanders (der stets ein Amazon-Kamerateam für eine Dokuserie dabei hat) fürs College und die Stadt Boulder zusätzliche Einnahmen in Höhe von 113,2 Millionen Dollar generiert hat.

Damit ist auch klar, warum North Carolina Belichick nicht nur verpflichtet, sondern ihm den Generalschlüssel zur Football-Fakultät überlassen hat. Sein langjähriger Wegbegleiter Michael Lombardi ist bereits Manager, Sohn Steve (derzeit Co-Trainer der University of Washington) könnte bald folgen. College-Football ist aufgrund dieser neuen Regeln zum Wilden Westen geworden mit zahlreichen Graubereichen. Man möge nur die Begriffe „Deflategate“ und „Spygate“ googeln (oder diesen Link klicken), um zu verstehen: In der Geschichte des Sports gibt es wohl keinen, der das Regelbuch so genau studiert – und dann Grauzonen und noch dunklere Bereiche bedient, um maximalen Erfolg zu haben.

Die Allianz zwischen North Carolina und Belichick birgt auch Risiken

North Carolina und Belichick hoffen also auf eine Beziehung, die für beide Seiten lohnend sein wird. Doch natürlich gibt es Risiken: Belichick war als NFL-Coach berüchtigt dafür, gerade junge Akteure herunterzuputzen und dem Erfolg fürs Team alles, wirklich alles unterzuordnen. Nun hat er Verantwortung für 105 junge Leute, von denen manche (etwa Spielmacher Baker) North Carolina lediglich als Schaufenster für NFL-Talentspäher sehen und Erfolg deshalb auf andere Art interpretieren als der Trainer, der gewinnen muss. Es heißt, dass die Frage nicht laute, ob es krachen werde. Sondern nur, wann.

Es gibt noch einen gewaltigen Unterschied zwischen College und der NFL: Rivalitäten sind bedeutsamer, für viele Fans sind sie wichtiger als die Bilanz am Saisonende. North Carolina muss Duke besiegen, wie und wo auch immer. Auf dem Spielfeld verloren sie in diesem Jahr 20:21. Allerdings: Am selben Tag, als Duke verkündete, den besten Quarterback im Transferfenster verpflichtet zu haben, gab North Carolina die Verpflichtung seines neuen, sehr prominenten Footballtrainers bekannt. Von da an interessierte sich niemand mehr für Darian Mensah, alle redeten über Belichick. Das freilich ist ganz im Sinne des Humors von Bill Belichick.

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