Süddeutsche Zeitung

Bildband über Fußball-Stadien:Wo der gute Kick wohnt

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Stadien sind mehr als das Labyrinth ihrer Treppenaufgänge, Ränge und die Armada von Sitzschalen. Sie sind institutionalisierte Orte der Nervosität und Ekstase. Ein fulminanter Bildband erschließt die Magie jener Orte, an denen Fußball gespielt wird. Auch vier Stadien in Deutschland werden in dem Werk gewürdigt.

Von Bernd Graff

Außer Kontrolle - Randale, Bengalo-Feuer, gesinnungsbedenkliche Hooligans und alkoholisierte Ultra-Chaoten. Wenn man in diesen Tagen von Fußballstadien hört, dann muss man den Eindruck gewinnen, dass der öffentliche Diskurs in ihnen nur noch Orte der Gefahr und Gefährdung Unbeteiligter sehen kann. So begrüßenswert es ist, dass die deutschen Profi-Fußballklubs sich gerade selbst dazu verpflichtet haben, entschlossener gegen randalierende Fans in ihren Freiluftarealen vorzugehen, so wird man dennoch festhalten müssen, dass diese modernen Amphitheater des Ballsports den Kampf vorrangig nur nach den Regeln des Fairplays und auch weiterhin nur auf dem Rasen kennen. Dort also, wo er hingehört.

Stadien sind keine Freistätten der Anarchie oder Orte der Gesetzlosigkeit. Sie sind auch nicht bloße Architektur, keine reinen Zweckbauten oder bautechnisch umgesetzte Gefäße für immer dieselbe Funktion: das Ballspiel für viele sichtbar zu machen. Sie sind mehr als das Labyrinth ihrer Treppenaufgänge, Rampen, Ränge und die Armada von Sitzschalen auf großer Fläche. Stadien sind Wahrzeichen und Aushängeschilder ihrer Städte. Doch eigentlich sind sie institutionalisierte Orte der Nervosität und Ekstase, wenn man unter Ekstase das Heraustreten aus der Normalität sonstiger Öffentlichkeit meint.

Es ist also etwas völlig anderes, ein Spiel im Stadion mitzuerleben, als es am Fernsehschirm zu verfolgen. Und es ist klar ersichtlich, dass die Faszination, die der Fußball ausübt, unmittelbar von dem Ort herrührt, an dem er stattfindet. Dass folglich die Arenen und Stadien jenen Kick auslösen, der ein Spiel zu dem herausragenden Erlebnis macht, das unabhängig ist von den jeweiligen Ergebnissen, die Sportler dort erzielen.

Die drei Autoren des wunderschönen Bildbandes "Fußball Wunder Bauten. Die schönsten Stadien und ihre Geschichten" - Andreas Bock, Benjamin Kuhlhoff und Alexander Gutzmer (Callwey Verlag, München 2012. 192 Seiten, 175 Fotos und Pläne, 39,95 Euro) - gehen selbstverständlich davon aus, dass Fußball Spiel und Bauwerk ist. Alexander Gutzmer, ein Architektur-Journalist, spricht im Vorwort vom "Kraftfeld Stadion", er nennt dessen Besucher mit Peter Sloterdijk "Erregungsgemeinschaften", deren Zusammenhalt von dem "Akteur Stadion" gestiftet werde. Auch wenn man den "Akteur" nicht auf Anhieb in Stein, Stahl, Beton und Glas, in Kabinen, Rängen, Gängen und auf dem Rasen erkennen mag, so ist doch selbstverständlich, dass man die Orte der Erregung weltweit analysieren muss, wenn man die universelle Fußballbegeisterung eben nicht als TV-generiertes Übertragungsphänomen verstehen will.

Fußball ist die geteilte Gleichzeitigkeit von Menschen und einem Ball auf dem Rasen und Zigtausenden, die zur selben Zeit aus dem Besuchertrichter dabei zuschauen. Fußball also hat mit erlebtem Moment zu tun und mit der Konzentration auf nur ein Geschehen. Damit sind Fußballstadien Ermöglichungsräume für eine auf den Punkt (den Ball) gebrachte Gegenwart. Und darum ist dieses Bilderbuch von Gutzmer und den beiden Fußballjournalisten Andreas Bock und Benjamin Kuhlhoff ein Geschenk, auf das die ballbegeisterte Welt lange gewartet hat.

19 Stadien rund um den Globus hat das Autoren-Trio für legendär genug befunden, ausführlich beschrieben zu werden. Dabei findet nicht nur Architektur-Kritik statt, sondern es wird auch über die Fußballhistorie berichtet, für die diese Orte jeweils stehen. Das geschieht nicht durchgängig in Form des Berichts, sondern läuft mal über Interviews - Günter Netzer spricht über das Bernabéu-Stadion in Madrid, Campino über die Arena in der Anfield Road in Liverpool - oder über Spieler-Anekdoten: Für den mit 230 Toren besten Boca-Spieler aller Zeiten, Martin 'Der Verrückte' Palermo, entwurzelte man im Anschluss an dessen Abschiedsspiel eines der Tore des La Bombonera-Stadions in Buenos Aires, um es ihm offiziell zu schenken. Man erfährt viel über die Sicht eines Sportlers, der auch wegen der Schönheit eines Stadionbaus den Verein wechselte: Hansi Müller tat dies 1982. Er ging zu Inter Mailand ins Stadion San Siro.

Architekturkritisch wird auch das "singuläre bauliche Objekt" gewürdigt, das Herzog/de Meuron den Münchnern 2005 als Allianz-Arena in den Norden der Stadt gestellt haben. Dazu gibt es Bilder, Bilder, Bilder. Von aufwallenden Fan-Massen, die frenetisch jubeln, von denen, die gerade mit ihrer Mannschaft untergegangen sind. Man sieht Details der leeren Stadien, die bei Vollbesetzung nicht auffallen, erhält die Baupläne der Arenen und reist bestens unterhalten rund um den Fußball-Globus. Von Dortmund (Signal Iduna Park) über Rio de Janeiro (Maracana) nach Old Trafford in Manchester und dann über das Craven Cottage (London) in die Veltins-Arena nach Gelsenkirchen, um schließlich bei einem Exoten wie dem Azadi-Stadion in Teheran zu landen.

Den schönsten Satz des ganzen Buches sagt der ehemalige Nationaltorwart Toni Schumacher über das Aztekenstadion in Mexiko-Stadt: "Du atmest und atmest und atmest, doch da ist kein Sauerstoff." Vielleicht deshalb, aber nur vielleicht, hat die deutsche Mannschaft dort 1986 das WM-Finale gegen Argentinien verloren.

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Quelle:
SZ vom 15.12.2012
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