Süddeutsche Zeitung

Bilanz:Alles außer Gold

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Viermal Silber, einmal Bronze: Die deutschen Biathleten ziehen eine passable WM-Bilanz, müssen aber anerkennen, dass Siege derzeit nicht erreichbar sind.

Von Saskia Aleythe, Antholz

Als diese Biathlon-WM auf die Zielgerade einbog, stemmte sich Dorothea Wierer mit letzter Kraft auf ihre Stöcke. Die über 10 000 Zuschauer fassende Tribüne jubelte ihr noch einmal zu; die Doromania hatte sich rasant verbreitet, also wurde sie auch noch einmal gefeiert, auch wenn eine andere schon im Ziel war und Geschichte geschrieben hatte: Norwegens Marte Olsbu Roeiseland sammelte mit Gold im Massenstart ihre siebte Medaille in Antholz ein, mehr war keiner anderen zuvor bei einer Weltmeisterschaft gelungen. Sie knackte damit den Rekord von Laura Dahlmeier aus Hochfilzen 2017, als die Single-Mixed-Staffel allerdings noch nicht zum WM-Programm gehörte.

Roeiseland ist die erfolgreichste Athletin, trotzdem sagte sie nach ihrer fünften Goldmedaille in Antholz: "Doro ist die Königin des Biathlons." Im Gesamtweltcup steht Wierer auch ganz oben. Ihre Heim-WM ist mit vier Medaillen, darunter zwei goldene im Einzel und in der Verfolgung, nicht gerade schlecht verlaufen.

Und die Deutschen? "Die Medaillenbilanz ist gut", fand Karin Orgeldinger, Sportdirektorin der Sparte Nordisch/Biathlon im Deutschen Skiverband (DSV); fünf Podiumsbesuche waren in Südtirol gelungen. Verfolgungs-Silber für Denise Herrmann, Einzel-Silber für Vanessa Hinz, dazu je Silber in Single-Mixed- und Frauen-Staffel, die Männer-Staffel mit Bronze. "Ich habe zwei Medaillen, bin bei den letzten Höhepunkten immer leer nach Hause gefahren, von daher bin ich schon zufrieden", sagte Preuß am Sonntag. Vanessa Hinz wollte indes schnell nach Hause zu Oma und Tante, "die haben den Sekt schon kaltgestellt". Im Gegensatz zu den Männern, die erstmals seit 2016 ohne Einzelmedaille blieben, hat sich die WM für die deutschen Frauen zu einem unter der Saison noch kaum zu erwarteten Erfolg entwickelt. Nur golden glänzten die Medaillen in Hochfilzen nicht. Das ist die neue deutsche Realität ohne eine Ausnahmekönnerin wie Laura Dahlmeier.

Sieben Medaillen, fünfmal Gold: Marte Roeiseland überbietet den Rekord von Laura Dahlmeier

Die Lücke, die sie mit ihrem Rücktritt hinterlassen hat, schien noch zu Saisonbeginn riesig zu sein. In Hochfilzen Mitte Dezember war Herrmann mit Rang 41 beste Deutsche, die Staffel belegte Rang zwölf, das war ein historisch doppelt schlechtes Abschneiden. Der Aufstieg bei den deutschen Frauen verlief nun sportlich wie in Höhenmetern, Antholz liegt so hoch wie kein anderer Standort. Sie sind dann doch wieder in einen erwünschten "Flow" gekommen; ein Silberfluss mit leichten Anlaufschwierigkeiten. Eine Strafrunde von Herrmann kostete die Mixed-Staffel am ersten Tag eine Medaille, doch der folgende Sprint war ein Stimmungsaufheller. Rang 5, 8, 14 für Herrmann, Preuß und Hinz: Da haben sie gemerkt, sie müssen nicht "über sich hinauswachsen", sagte Preuß. Hermanns Verfolgungs-Silber und die nächsten Topleistungen der Kolleginnen führten dann zu einem Erweckungsmoment. "Da legt es einen Schalter im Kopf um, und dann hat man einfach Spaß", sagte Preuß, "man weiß, man muss nicht zaubern." Biathlon ist keine Hexerei, zur WM eine gute Erkenntnis.

Wer den Berg hochkommen will, muss oft einfach einen Gang runterschalten, für die Biathleten gilt das vor allem im Mentalen: Wer verkrampft auf die Matte am Schießstand tritt, bringt die Fehler schon mit. Herrmann hat sich damit um noch mehr Medaillen gebracht, dafür triumphierte in Vanessa Hinz eine, die zuvor außerhalb der Staffeln noch keinen WM-Podiumsplatz erobert hatte. "Ich muss aus jedem schlechten Rennen etwas Gutes herausziehen, weil das Rennen sonst umsonst war", sagte Hinz vor ihrem Start im Einzel; mit neuer Lockerheit klappte es prompt mit Silber. Zur Matchwinnerin der zweiten Woche avancierte aber Preuß: Die 25-Jährige schoss sich erst in der Single-Mixed-Staffel mit Erik Lesser in einen Rausch und gewann Silber; in der Frauen-Staffel brachte sie das Team mit einer fehlerfreien Schnellfeuer-Einlage im Stehendanschlag wieder in Podiumsnähe. Fünf Scheiben in 18 Sekunden zu versenken, das hatte nicht mal La Wierer geschafft.

Für die Männer ging es hingegen in der Staffel mit Schlussläufer Benedikt Doll in die andere Richtung, er vergab die bis dahin bestehende Führung - nach einer Strafrunde und sechs Nachladern rutschte der 29-Jährige immerhin noch als Dritter ins Ziel. Sein Selbstbewusstsein am Schießstand sei bei "minus zehn", berichtet er danach. Ihm hatte man neben Herrmann die besten Prognosen gewidmet, doch wer 17 Fehler in vier Rennen fabriziert, kann keine Medaille mitnehmen. "Ein bisschen mehr hatte ich mir schon vorgenommen", sagte Doll nach dem Massenstart, den Johannes Kühn beim Sieg von Johannes Thingnes Bö aus Norwegen auf Rang zehn als bester Deutscher beendete. Bei den Frauen wurde Preuß noch einmal Achte. Der Sonntag war also einer, der zur ganzen WM passte: Von Konstanz ist man vor allem mit der Waffe im deutschen Team weit entfernt. 36 Fehler unterliefen den deutschen Athleten und Athletinnen im Massenstart zusammen - 17 mehr als Norwegen mit einer Starterin weniger.

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SZ vom 24.02.2020
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