Biedermann gegen Agnel bei der Schwimm-EM:"Als hätte er seinen kleinen Bruder geschickt"

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Großes Duell: Yannick Agnel (links) gegen Paul Biedermann.

(Foto: AFP)

Das Duell zwischen Paul Biedermann und Yannick Agnel über 200 Meter Freistil soll der Höhepunkt der Schwimm-EM in Berlin werden. Doch Agnel schwächelt und schwächelt, die Konkurrenz staunt. Ist das alles Taktik?

Von Saskia Aleythe, Berlin

Von der Brust tropft es noch, gerade erst hat Yannick Agnel die Badekappe vom Kopf geschoben, ist sich mit der Hand über das kurze blonde Haar gefahren. Agnel überragt mit seinen 2,02 Metern alle bei der Schwimm-EM in Berlin und wenn er spricht, hört ihm die Schar französischer Reporter besonders aufmerksam zu. Ihre Blicke sind sorgenvoll, denn der Ausnahmeschwimmer konnte bei der EM bisher nicht überzeugen.

So wie in Deutschland die Augen auf Paul Biedermann ruhen, blicken die Franzosen auf Yannick Agnel. In ihm hat Frankreich einen Schwimmer gefunden, nach dem es sich lange gesehnt hat. Schließlich ist er der Mann, der Ryan Lochte düpierte - in London 2012 übertrumpfte Agnel die US-Schwimmer und krönte sich zum zweifachen Olympiasieger. Mit gerade mal 20 Jahren. Auch bei der WM in Barcelona konnte ihn niemand stoppen, kein Biedermann, kein Michael Phelps.

Die Szene freut sich auf das Duell Agnel vs. Biedermann in Berlin, es soll der Höhepunkt der Wettbewerbe werden. Die Erwartungen der Franzosen sind vielleicht noch ein bisschen größer als im deutschen Lager: Das Land hofft auf EM-Gold über 200 Meter Freistil durch Agnel. Doch seine bisherigen Auftritte geben Rätsel auf.

Über 400 Meter Freistil ereilte Agnel das gleiche Schicksal wie Paul Biedermann: Er schied überraschend im Vorlauf aus. Für Biedermann war sein eigenes Ausscheiden eine Art Weckruf , "eine Erfahrung mehr, man lernt nie aus". Den Vorlauf über 200 Meter meisterte der Hallenser souverän mit der besten Zeit, gleiches Szenario im Halbfinale. "Ich muss hier schnell sein, damit ich weiterkomme", sagte Biedermann, "mit Taktik kann ich hier wenig anfangen." Beim Debakel zum Start hatte er sich selbst verzockt.

Bei Agnel blieb eine Leistungssteigerung indes aus. Das Halbfinale schloss er als Neunter ab, das Finale erreichte er als siebter von acht Startern, mit mehr als einer Sekunde Rückstand auf Biedermann. 0,18 Sekunden langsamer und Agnel hätte den Endlauf verpasst. Das hätte schief gehen können.

Die Konkurrenz staunt

Die Konkurrenz ist über Agnels Straucheln erstaunt. "Er wirkt bisher, als hätte er seinen kleinen Bruder geschickt", meint Biedermanns Trainer Frank Embacher. Möglich ist, dass die verhaltenen Zeiten des Franzosen Teil einer Strategie sind. Den Gegner in Sicherheit wiegen, um dann im Finale richtig aufzutrumpfen - ausgeschlossen ist das nicht.

Falls Agnel wirklich so tickt, gibt er sich gerade verdammt viel Mühe, diese Taktik zu verschleiern. "Man sieht mir an, dass ich müde bin", erklärt Agnel, "das war ein Jahr der Veränderungen, das ist nicht leicht. Aber ich gebe mein Bestes und beiße auf die Zähne."

Für Yannick Agnel ist die Welt im vergangenen Jahr ein Stück größer geworden, was vor allem mit seinem Hunger nach Erfolg zu tun hat. Der Olympiasieg in London machte ihn nicht satt, im Gegenteil, Agnel war auf den Geschmack gekommen. Neues Ziel: Rio 2016. Agnel zog weg aus Frankreich, tauschte die Côte D'Azur gegen Baltimore - und schloss sich der Trainingsgruppe um Bob Bowman an, dem einstigen Coach von Michael Phelps.

Der Abschied aus seiner Heimat hatte den Franzosen ein bisschen das Herz gebrochen, für Agnel selbst war es eine Umstellung auch in Sachen Trainingspensum. Nach absolviertem Abitur konnte er sich ganz dem Schwimmen widmen und zwar so, wie es ihm beliebt: Mit einer gewissen Portion Spaß. Das hatte großen Anteil an Agnels Entschluss, nach Amerika zu wechseln. Das Training mit seinem französischen Coach Fabrice Pellerin war ihm zu ernst und verkrampft geworden.

Fraglich ist nun, ob sich die neue Lockerheit auch im Becken von Berlin bemerkbar macht. Für Paul Biedermann ist Agnel trotz dessen bisher verhaltener Leistung keine Spur ungefährlicher. "Wer wäre ich, wenn ich den Weltmeister und Olympiasieger nicht auf der Rechnung hätte?", sagt er. Im Mai schwamm Biedermann die zweitschnellste Zeit eines Europäers im Jahr 2014. Vor ihm allerdings: Yannick Agnel.

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