Biedermann bei der Schwimm-EM:Nur Silber? Silber!

Schwimm-EM 2014

Lachen oder ärgern? Paul Biedermann nach dem Rennen über 200 Meter Freistil

(Foto: dpa)

Paul Bierdermann schwimmt bei der EM in Berlin ein erstaunliches Freistil-Rennen - es fehlen nur zwei Hundertstel zu Gold. Zunächst ärgert sich der deutsche Schwimmer fürchterlich über das Ergebnis, doch wenig später sieht er es ganz anders.

Von Claudio Catuogno, Berlin

An neue Nachbarn muss man sich erst gewöhnen. Sie tun manchmal Dinge, die man nicht für möglich gehalten hätte. Paul Biedermann, 28, zum Beispiel ist in seiner Karriere als Weltmeister und Weltrekordler schon neben all den Großen seines Fachs geschwommen, neben Michael Phelps, Ryan Lochte, Park Tae-hwan, Sun Yang, Yannick Agnel. Manchmal hat er sie alle in Schach gehalten, der Deutsche aus Halle (Saale), aber in letzter Zeit ist das nicht mehr so oft vorgekommen. Immerhin: Man kannte sich.

Doch im Finale über 200 Meter Freistil am Mittwoch bei der EM, schwamm da auf Bahn fünf dieser 21 Jahre junge Serbe: Velimir Stjepanovic. Yannick Agnel, der Olympiasieger und Weltmeister aus Frankreich, Biedermanns größter Rivale? War ein paar Meter weiter Richtung Beckenrand gezogen; auf Bahn Nummer eins. "Ende der Herrschaft in Sicht", hatte die Sportzeitung L'Équipe unmittelbar vor dem Rennen auf ihrer Internetseite getitelt. Auch das war am Ende etwas voreilig. Wie so vieles an diesem erstaunlichen Finalabend. Paul Biedermann jedenfalls schwamm auf Bahn vier. Der Bahn des Vorlauf-Schnellsten, der Bahn des Favoriten. Und das war er, der Europameister der Jahre 2008, 2010 und 2012, ja tatsächlich wieder geworden im Laufe der beiden vergangenen Tage, an denen er sich mit ordentlich Wut im Bauch durch Vorlauf und Halbfinale gearbeitet hatte. Wut auf die Erkältung, die ihn sechs Wochen vor der Heim-EM für drei Wochen zum Pausieren gezwungen hatte. Aber auch Wut auf sich selbst, nachdem er sich am Montag im Vorlauf über 400 Meter verschätzt und um sieben Hundertstel das Halbfinale verpasst hatte. Sieben Hundertstel sind ein Wimpernschlag.

Aber es geht noch viel knapper. Die 200 Meter Freistil also, Biedermann hielt sich zunächst im Hintergrund, ohne den Anschluss zu verlieren, und auf den letzten Metern war er dann vorne. Dachte man. Auf der Anzeigetafel stand: 1:45,80 Minuten. Und dahinter: die Nummer zwei. Irgendwie hatte Stjepanovic beim Anschlag noch zwei (!) Hundertstel Vorsprung herausgeholt: 1:45,78. Der Serbe ist jetzt zweifacher Europameister von Berlin, nachdem er auch schon die 400 Meter Freistil gewonnen hatte. Bronze ging mit etwas Abstand an den schon abgeschriebenen Agnel (1:46,65). Und um den Hals von Paul Biedermann hing bald jene Silbermedaille, die man aus verschiedenen Perspektiven betrachten und bewerten konnte.

"Die Treppe hier runter ist schrecklich"

Und die nicht die einzige bleiben sollte für den Deutschen Schwimm-Verband: Eine halbe Stunde später gewann auch Philip Heintz Silber - in einem ebenfalls außergewöhnlich nervenaufreibenden Endlauf über 200 Meter Lagen. Biedermann stand da bereits in den Katakomben des Velodroms, er sagte: "Die Treppe hier runter ist schrecklich, die tut immer tierisch weh."

Kurz nach dem Rennen, bei den TV-Kameras, hatte er noch geklagt, er könne sich "erst mal gar nicht freuen" über diesen zweiten Rang. Kurz darauf, bei der Siegerehrung, lächelte er einigermaßen gequält. Aber nun, mit etwas Abstand, schien sich die Stimmung ins Positive zu drehen. Er dachte an die Krankheit kürzlich, daran, dass es jetzt auch schon wieder zwei Jahre her ist, dass er seine letzte internationale Medaille auf der 50- Meter-Bahn gewonnen hat. Und ihm wurde mehr und mehr bewusst, dass ihm da eine herausragende Zeit gelungen war angesichts all der Schwierigkeiten - seine mit Abstand beste in diesem Jahr. Er sagte: "Je länger das Rennen weg ist, umso mehr freue ich mich über Silber."

Ein paar Meter weiter stand Biedermanns Freundin Britta Steffen, die inzwischen zurückgetretene Doppel-Olympiasiegerin von 2008, und sagte auch noch ein paar sehr nette Worte: "Ich bewundere Paul dafür, dass er unter Druck nicht bricht, sondern noch stärker wird."

Im Fall von Philip Heintz, 23, schrieb der Abend - trotz gleicher Medaillenfarbe - eine etwas andere Geschichte: Heintz kam aus dem Strahlen gar nicht mehr heraus nach dem Lagen-Finale, in dem sein Teamkollege Markus Deibler zwischendurch geführt hatte und am Ende unglücklicher Vierter wurde. Und er, Heintz, Zweiter hinter dem Ungarn Laszlo Cseh, der seit zehn Jahren in Europa ungeschlagen ist. Es habe "ziemlich Spaß gemacht, gegen Laszlo so ein Rennen zu haben", sagte Heintz, der in Heidelberg bei Michael Spikermann trainiert. Aber dann musste natürlich auch Heintz auf die Winzigkeit von sieben Hundertsteln zu sprechen kommen. Mit nur sieben Hundertsteln Rückstand auf Cseh hat Heintz den EM-Titel verpasst. Klar, "ärgerlich". Aber schon auch okay. Es war halt der Abend der Wimpernschlag- Silbermedaillen am Mittwoch in Berlin.

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