Ein bisschen ernüchternd ist es schon. Da bemühen sich die Vermarktungsexperten seit Jahren, diese seltsame Kombination aus Ski und Schießeisen auch dem Süden Italiens als spannenden Sport nahezubringen. Aber nein: Obwohl die Biathleten des italienischen Verbandes (Fisi) längst Medaillen nach Hause bringen, blieb die Resonanz jenseits von Antholz bescheiden.
Bis vor zwei Tagen war das so, dann öffnete bei der WM in Antholz das Pressezentrum und bietet seitdem ein erstaunliches Bild. Ein Großaufgebot von Medien umlagert Italiens Skijäger, dringt in die Geheimnisse und Gefühle seiner neuen Helden vor, und immer deutlicher wird, dass alle Öffentlichkeitsarbeit schön und gut ist - aber nichts gegen einen handfesten Streit.
Italiens Mixed-Staffel hat tatsächlich gewonnen zur Eröffnung dieser WM. Gut, Norwegens Quartett war einen Tick besser und bekam am Abend Gold um den Hals, aber das war eher Nebensache; die Norweger sind eben überragend. Lisa Vittozzi, Dorothea Wierer, Lukas Hofer und Dominik Windisch dagegen errangen für sich mit Silber einen großen Sieg. Sie alle hatten am Ende ihre Nerven im Griff behalten und zum Auftakt großes Drama geboten, eine Seifenoper mit Happy End.
Wierer und Vittozzi sind zerstritten
"Aus Feinden werden Komplizen", titelte Tuttosport am Freitag. Und mit den Feinden konnten nur die zerstrittenen Wierer und Vittozzi gemeint sein. Die beiden Männer waren vom Epizentrum des Problems ein wenig entfernt, sie hatten die Aufgabe auszugleichen, weshalb die Gazzetta dello Sport Hofer und Windisch die Rolle der Kavaliere verpasste. Und die Mixed-Staffel am Donnerstag, die war das Set.
Wobei man sagen muss, dass Startläuferin Vittozzi den undankbarsten Part hatte. Sie hatte schon vor einem Jahr ihrer Kollegin Wierer Egoismus vorgeworfen, was dann von den Trainern und der Fisi halbwegs wegmoderiert werden konnte. Doch in Vittozzi brodelte es offenbar weiter. Jedenfalls wärmte sie ihren Vorwurf eine Woche vor dieser WM gegenüber der Lokalpresse nochmals auf: Wierer habe 2019 in Schweden die Staffel ausgelassen, um sich zu schonen. Die Staffel verlor, erinnerte Vittozzi; Wierer dagegen habe tags darauf Gold im Massenstart gewonnen. Die Sätze liefen dann recht schnell überregional.
Und nun musste Vittozzi also die WM eröffnen und war, wie sie später zugab, "ziemlich nervös". In der Loipe hielt sie sich beachtlich, aber schon beim ersten Schießen drohte sie die Party gleich wieder herunterzubremsen. Auf einmal hatte sie nur noch einen Nachlader zur Verfügung, die Strafrunde drohte, und in ihrem Kopf machte sich wohl auch ein bisschen jener Gedanke breit, den sie später äußerte: "Wenn ich versagt hätte, wär's ein Drama für mich geworden. Ich hätte die ganze Arbeit der anderen zunichtegemacht."
Aber es ging gut. Vittozzi übergab als Zweite an Wierer; ein Moment, bei dem sich die Biathleten ja gut erkennbar abklatschen müssen. Doch alles verlief nun professionell, und so berührte auch Vittozzi Wierer ganz moderat wie immer, auch wenn diese die Tage zuvor natürlich zurückgekeilt hatte. Lisa habe nur olle Kamellen aufgewärmt, hatte Wierer erklärt, außerdem sei sie doch nur "eifersüchtig", und, uiuiui, großer Soap-Faktor: "Ich dachte, wir wären Freundinnen." All dies stand immer noch im Raum, als sie als zweite Läuferin flugs ums Eck verschwand und versuchte, den Medaillenplatz zu halten.
Auch Wierer hatte kleinere Krisen während des Auftritts, es blieb höllisch spannend, und dann kamen ja noch die Kavaliere an die Reihe. Der Auftritt von Hofer und Windisch wirkte im Nachhinein wie ein Appell, dass sich alle mal zusammenreißen sollen. Hofer überstand sein Duell dank sicheren Schießens, dann folgten die beiden Schlussläufer, und der letzte Italiener bekam es mit Johannes Thingnes Bö zu tun, dem besten Biathleten dieser Jahre.
Und dann: ganz große Versöhnung
Windisch gegen Bö, darauf lief es schnell hinaus, weil die am Ende drittplatzierten Tschechen nicht mehr mithalten konnten. Für einen kurzen Moment öffnete sich für den Südtiroler sogar die Tür zum echten Sieg, weil sein Gegner überraschend Nerven zeigte und zweimal danebenschoss. Windisch aber machte es ihm nach, die Tür knallte wieder zu, und auf den letzten Metern hatte Bö dann keine Mühe mehr, seinen Gegner abzuhängen.
Windisch kam wenig später auch ins Ziel - und dann: ganz große Versöhnung. So hilfreich Zickenstreit für die Quoten ist, so heilsam ist ein gemeinsam errungener Sieg für die Mannschaftspsyche. Und förderlich war sicherlich auch der restliche Parcours des Tages. Die Medaillenzeremonie am Abend, bei der diesmal keiner zu kurz kam. Die gemeinsame Pressekonferenz, in der sich um den Platz der Italiener so viele Reporter wie noch nie versammelten und versuchten, alle Stimmen einzufangen, wobei die Gefragten teils gleichzeitig redeten. Wierer erklärte: "Wir hatten einen Haufen Druck, aber wir sind eine starke Mannschaft." Und Vittozzi: "Ich bin stolz, ein Teil dieser Mannschaft zu sein."
Bleibt nur noch die Freundin-Frage. Sind sie denn wieder welche?
Erfahrene Beobachter des italienischen Biathlons äußern leise Zweifel. Zu unterschiedlich seien die Temperamente. Wierer ist extrovertiert, hat immer einen Spruch auf den Lippen und macht kein Geheimnis um sich. Zum Beispiel um den Hungerast, der sie kurz vor der Pressekonferenz befiel ("Bitte etwas zu essen ans Podium!"), weil sie den ganzen Tag vor Nervosität nichts herunterbekommen hatte. Vittozzi würde so etwas nicht sagen, sie hält sich zurück, bleibt bescheiden und verfolgt ihre Ziele für sich. Aber wer weiß? Gegensätze ziehen sich ja auch an.
Mehr davon in der nächsten Folge.