Biathlon-WM:Schempp besiegt seinen eigenen Fluch

Biathlon Weltmeisterschaft Hochfilzen

Simon Schempp am Schießstand - das klappte diesmal hervorragend.

(Foto: dpa)

Von Saskia Aleythe, Hochfilzen

Wären die Skier in seinen Händen nicht gewesen, hätte Simon Schempp den ganzen Nachmittag lang die Fäuste geballt. Immer wieder schossen die Glücksgefühle durch seinen Körper, er stampfte die Skier auf den Schnee, spannte die Arme an, stieß kleine Schreie aus. Benedikt Doll und Arnd Peiffer hievten ihn auf die Schultern, Schempp stemmte die Skier in die Luft. Und dann, als die Medaillengewinner bei diesem WM-Massenstart zum Siegerfoto zusammenkommen sollten, umarmte ihn Johannes Thingnes Bö, der Silbergewinner. Der Norweger flüsterte dem Sieger Schempp ins Ohr: "Ich habe immer an dich geglaubt."

Simon Schempp ist ein Mensch, der seine Gefühle selten nach außen trägt, an diesem Sonntag ging es aber nicht anders. Als er nach diesem Weltmeistertitel zum Fernseh-Interview kam, stützte er den Kopf ungläubig auf die Absperrung. Es klebte ja ein Ruf an dem 28-Jährigen, es in einem Einzelwettbewerb bei einer WM oder Olympia nie zu einer Medaille zu schaffen - obwohl er der beste deutsche Biathlet im Team ist.

Diesen Ruf hat er nun, bei seiner letzten Chance in Hochfilzen, imposant ausgelöscht: Im Massenstart traf er 20 von 20 Scheiben und lief zu Gold. "Auf den Tag habe ich schon so lang gewartet", sagte Schempp, halb erschöpft, halb erleichtert, "das war ein super Rennen und eine ganz große Erlösung".

Das Thema Einzelmedaille kreiste um den Deutschen bei dieser WM, es war ja auch so offensichtlich: Seit Jahren ist Schempp der beste Biathlet der Nation, er hat Martin Fourcade schon in Zielsprints bezwungen, insgesamt elf Weltcup-Siege sammeln können. Doch die Medaillen für Solo-Leistungen heimsten bisher immer andere ein, bis Sonntag war er im deutschen Team der einzige ohne WM-Titel gewesen. Arnd Peiffer wurde 2011 Sprint-Weltmeister, Erik Lesser 2015 Verfolgungs-Weltmeister und erst am vorletzten Samstag hatte auch Benedikt Doll die Goldmedaille im Sprint errungen. "Alle haben immer nach dieser Medaille gefragt", sagte Schempp, "das war keine leichte Situation".

Die WM hatte für ihn mit einer Gold-Medaille begonnen - natürlich in der Staffel. Im Mixed-Wettbewerb konnte er zusammen mit Arnd Peiffer, Vanessa Hinz und Laura Dahlmeier den Titel feiern und vom Weltmeisterbrettl Tiroler Käse- und Wurst-Spezialitäten schnabulieren. Doch danach hatte es nur zu einem neunten, zehnten und einem 13. Platz gereicht, im Sprint war er sich kurz vorm Zieleinlauf selber auf den Stock getreten.

"Es waren keine riesigen Enttäuschungen, es waren gute Rennen", versicherte Schempp. Aber er selber machte sich natürlich auch Gedanken um diesen Fluch mit der Einzelmedaille. Wer ihn bei diesen Wettbewerben beobachtete, erlebte einen nachdenklichen Athleten. Ob er an sich gezweifelt hat, wurde er nun nach seinem erlösenden Titel gefragt. Es verstrichen Sekunden, dann sagte er: "Eigentlich nicht. Ich habe gewusst, irgendwann muss es aufgehen."

Die Arbeit mit einem Mentaltrainer hilft ihm

Schon seit einiger Zeit arbeitet Schempp mit einem Mentaltrainer zusammen, weil er sich manchmal auch zu viel Gedanken um seinen Sport macht. Dem Coach galt dann auch einer seiner ersten Dankesgrüße. "Er hat mir vor dem Rennen eine SMS geschrieben", sagte der Weltmeister", jedes Mal, wenn ich sie mir durchgelesen habe, habe ich ein Lächeln zurückbekommen".

All die Anspannung, die sich so lange aufgestaut hatte, löste sich am Sonntagnachmittag in der Biathlon-Arena von Hochfilzen auf, 20 Meter vor der Ziellinie. Schempp schaute nach hinten, doch da folgte ihm niemand mehr, die Goldmedaille war sicher. Noch vor dem Zieleinlauf schickte er Luftküsse ans Publikum, er hatte es ja gehört beim letzten Anstieg: Da war er am Österreicher Simon Eder vorbeigestapft. Das war ein kleines Deja-Vu, denn schon am Samstag im Staffelrennen hatte Schempp um eine Medaille gekämpft gegen einen Österreicher.

Da musste sich der Deutsche gegen den starken Schlussläufer Dominik Landertinger geschlagen geben, die Bronze-Medaille war futsch. Doch gegen Eder hatte er weniger Probleme, auch weil Schempp sich das Rennen gut eingeteilt hatte. In den ersten Runden hatte er den Windschatten für sich genutzt. "Ich habe am Hang die 30, 40 Meter alles, was noch ging, in meine Beine reingepackt", erklärte Schempp die Schlussrunde, "dann habe ich noch alles bis zum höchsten Punkt gegeben, dass auch keiner mehr näher kommt. Dann war die Abfahrt umso schöner."

Besondere Partypläne hatte Schempp nach seinem Triumph noch nicht, "ich versuche, jetzt alles aufzusaugen, was geht". Ein paar Stunden nach dem Rennen ging es wieder nach Hause. Wo die Medaille nun hinkommt? "Ich werde sie jetzt nicht in mein Wohnzimmer oder an die Haustür hängen", sagte Schempp, "die kommt da hin, wo die anderen auch schon sind". Eine von vielen also. Aber doch eine besondere.

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