Das letzte bisschen Pech streifte Franziska Preuß auf der Ziellinie von sich. 0,2 Sekunden Vorsprung vor der Zweitplatzierten Suvi Minkkinen leuchteten auf der Anzeige auf, als sich die deutsche Biathletin am Freitagnachmittag mit dem Ski ins Ziel geschoben hatte bei der Weltmeisterschaft in Lenzerheide. Und als sie so auf und ab atmete im Schnee, völlig erschöpft, löste sich ein paar Meter weiter die Anspannung ihrer Trainer auf. Sverre Olsbu Røiseland strich sich mit beiden Händen vor Erleichterung durchs Gesicht, denn er wusste, welche Wege Preuß bis zu diesem Erfolg gehen musste.
Was schon wie Gold aussah, wurde am Ende allerdings noch Silber, so sind die Gesetze im Biathlon: Während sich Franziska Preuß in der Umkleidekabine umzog, preschte die Französin Justine Braisaz-Bouchet auf den Goldrang vor, am Ende fehlten der Deutschen 9,8 Sekunden für den WM-Titel. Aber Preuß hatte endlich diese zweite Einzelmedaille gewonnen, der sie nun schon zehn Jahre nachjagt. „Ich bin einfach nur erleichtert und froh, dass es geklappt hat“, sagte sie und drehte mit einem permanenten Lachen im Gesicht die Interview-Runden durchs Stadion.
Biathlon ist eine Gratwanderung, sagt Franziska Preuß, und das konnte man an diesem WM-Sprint in der Schweiz an ihrem Rennen sehr gut ablesen. Die Windfahnen hatten es bei wechselhaften Bedingungen gut mit ihr gemeint, doch da war eben auch der eine Fehler im Stehendschießen, der knapp das Ziel verfehlte. „Ich habe schon versucht, riskant zu schießen oder kontrolliertes Risiko zu gehen, das war dann aber vielleicht ein Ticken zu schnell“, sagte Preuß: „Es war nicht weit weg, aber Fehler ist Fehler. Das hat mich dann schon sehr geärgert.“ Kontrolliertes Risiko bedeutete in ihrem Fall, dass sie schnell war am Abzugfinger, weil in so einem Sprint eben schon mal 0,2 Sekunden über die Medaillen entscheiden können.
„Ich bin auch echt durch viele harte Tage gegangen wegen Biathlon“, sagte Preuß, als sie nach der Siegerehrung im Presseraum saß, da war ihr die Last von vielen Jahren von den Schultern gefallen. 2015 hatte sie im Massenstart in Kontiolahti Silber gewonnen, da war sie gerade 21 Jahre geworden – dann patzte sie entweder oder die Gesundheit machte ihr Probleme. „Ich war so oft in den letzten Jahren zwischen den Plätzen vier und zehn, aber für den Step auf das Podium war es halt immer ein Fehler zu viel oder zehn Sekunden zu langsam“, sagte Preuß.
Lange warfen ständige Infekte Franziska Preuß zurück
Vor allem der Kampf mit der eigenen Gesundheit ließ auch ihr Umfeld mitfühlen. Als Denise Herrmann-Wick 2023 bei der Heim-WM in Oberhof Sprint-Weltmeisterin wurde, hatte Preuß wegen immer wiederkehrender Infekte ihre Saison bereits beendet. Als Laura Dahlmeier 2017 in Hochfilzen fünf Goldmedaillen abräumte, lag Preuß mit Grippe im Bett. Immer wieder war Preuß an Punkten in ihrem Leben, an dem die Fragen in ihrem Körper und auch im Kopf lauter wurden, ob das mit dem Biathlon überhaupt noch Sinn hat.
Nach einer Operation an den Nasennebenhöhlen 2017 war sie lange so geschwächt, dass sie nur noch eine halbe Stunde joggen konnte. „Da wusste ich nicht, wie ich jemals wieder eine Minute länger laufen kann“, hat sie mal erzählt. Ein weiterer Eingriff an den Nebenhöhlen im vergangenen Frühjahr brachte schließlich die Wende, Preuß kam endlich einmal gesund durch die Saison. Entsprechend emotional war sie nun bei ihrem Erfolg. „Wenn es einer zu schätzen weiß, dann ich, weil ich einfach auch die Kehrseite kenne“, sagte Preuß.
Dass der Sieg noch an die Französin Braisaz-Bouchet geht, verkraftet Preuß schnell
Der Weg ins Rampenlicht des Biathlons begann für Franziska Preuß mit einer Erfahrung zum Abgewöhnen: Bei den Olympischen Spielen 2014 in Sotschi schoss sie im Einzel schon bis zur Hälfte des Rennens fünf Fehler, sie war darüber so verzweifelt, dass sie aus dem Rennen genommen wurde. Bei der anschließenden Frauenstaffel kam es noch schlimmer: Sie stürzte als Startläuferin, verlor einen Stock und musste am Schießstand Schnee aus dem Diopter pusten. Damals war sie gerade 20 Jahre alt, aber die Erfahrungen haben ihr den Weg geebnet: Preuß war gezwungen, wieder aufzustehen. Ein Jahr später klappte es mit der Einzelmedaille in Kontiolahti.
In der aktuellen Saison konnte sie nun ungebremst durch etwaige Erkältungen an die Spitze stürmen – eine Situation, der man bei einer Weltmeisterschaft erst einmal gerecht werden muss. „Franzi ist gerade der Schirm, der über der Damenmannschaft gespannt ist“, sagte Sportdirektor Felix Bitterling, „sie macht es toll, sie ist unglaublich entspannt, ruht in sich, vertraut sich einfach selbst. Das zahlt sich aus.“ Druck verspürte sie natürlich trotzdem vor diesem Rennen, aber ihre Herangehensweise war eine positive: „Als der Countdown beim Start runtergangen ist, habe ich eigentlich nur drüber nachgedacht, dass es cool ist, dass ich dabei bin, dass ich heute starten kann. Das hat mir eine gewisse Gelassenheit mitgegeben“, sagte Preuß.
Dass ihr die Französin Braisaz-Bouchet den Titel wegschnappte, verkraftete die Deutsche dann auch recht schnell. Sie genieße es vielmehr, sagte Preuß, dass sie wieder auf der „richtigen Seite des Grats“ sei bei dieser Wanderung. Dann verschwand sie in den Abend, mit dieser Medaille und einem Lachen im Gesicht.