Süddeutsche Zeitung

Biathlon-WM:"Vielleicht läuft ein bisschen Partymusik bei uns"

Lesezeit: 3 min

Von Saskia Aleythe, Östersund

Die Fummelei mit der Fahne konnte Benedikt Doll nichts mehr anhaben. Auf der letzten Abfahrt hatte er sich schon die Fahne geschnappt, sie war dann nur mühsam zu entrollen, aber egal: Mit lockerem Schritt und Lächeln im Gesicht rutschte Doll über die Ziellinie, zum ersten Mal als Schlussläufer im Kampf um Medaillen. Ausgerechnet er, der lange so große Probleme am Schießstand hatte, fuhr der deutschen Staffel nun WM-Silber ein. Und sagte dann: "Ich habe es richtig genossen."

Genießen, das ist dann schon eine Ansage: Mit Martin Fourcade ging Doll im Kampf um Silber in sein Rennen, vorne lief Johannes Thingnes Bö sein eigenes Rennen. Am Schießstand hatte Doll dann das bessere Händchen, brauchte insgesamt nur zwei Nachlader - während Fourcade Frankreich mit zwei Strafrunden am Ende vom Podest auf Rang sechs schoss. "Das war ein verrückter Moment", sagte Doll, "ich hätte nie gedacht, dass er so viele Scheiben stehen lässt". Norwegen (sechs Nachlader) sicherte sich schließlich Gold vor den Deutschen (acht Nachlader) und Russland (sieben Nachlader). "Das war von allen Vieren eine solide Leistung", sagte Bundestrainer Mark Kirchner, der vor dieser WM noch ein Rätsel zu lösen hatte: Mit Simon Schempp war der standesgemäße Schlussläufer wegen Formschwäche ausgefallen.

Startläufer Erik Lesser präsentierte sich stark wie schon in den Rennen zuvor (zwei Nachlader), mit Mini-Rückstand übergab er auf Roman Rees, der für Schempp in die Staffel gerutscht war. Der 26-Jährige absolviert gerade seine erste WM überhaupt, hatte im Einzel mit einem 20. Platz schon überzeugt und meisterte nun auch die Staffel gut. Nervös war er ins Rennen gegangen, hatte mit drei Nachladern aber keinen großen Aussetzer. "Es ist ein Traum, der in Erfüllung geht, relativ schnell und auch ein bisschen unverhofft", sagte er später zu der Medaille, "das ist einfach sensationell".

Möglich gemacht hatte sie auch Arnd Peiffer, der schon im Einzel am Mittwoch Weltmeister geworden war. Er war mit einem Nachlader der sicherste Schütze der Deutschen. "Wenn man mit den Jungs etwas erreicht, ist das gesamte Team euphorisch. Wir haben uns das hart erkämpft", sagte er. Und konnte dann zuschauen, wie Doll erstaunlich routiniert die Silber-Medaille eroberte. "Wir können heute Abend ganz kleine Bierchen aufmachen", sagte Lesser, "vielleicht läuft ein bisschen Partymusik bei uns." Allzu lange gehen wird die Feier wohl nicht: Am Sonntag steht ja noch der Massenstart an.

0,5 Sekunden fehlen dem Frauen-Team zur Medaille

Ausgelassene Stimmung wird bei den deutschen Frauen eher nicht herrschen, auch wenn es am Ende beinahe noch mit einer Medaille geklappt hätte. Als Laura Dahlmeier als Schlussläuferin Richtung Ziellinie spurtete, im klassischen Stil die Stöcke in den Schnee rammte, wäre ihr fast noch der Sprung auf Platz drei gelungen. Die Ukrainerin Valj Semerenko hatte mit Dahlmeier schon gar nicht mehr gerechnet und riss die Arme jubelnd nach oben, am Ende rutschte sie nur 0,5 Sekunden vor der Deutschen über die Linie. "Ich hatte brutal guten Speed auf der Zielgeraden", sagte Dahlmeier, "vielleicht hätten auch schon drei Meter gereicht." Nach Rang acht bei Olympia ist der vierte Platz immerhin eine Steigerung, aber kein Vergleich zu der Erfolgsserie vor Pyeongchang: Da war man in acht Rennen saisonübergreifend sieben Mal aufs Podest gerannt.

Eine Medaille in Östersund wäre allerdings eine merkwürdige Belohnung gewesen, am Schießstand war die Mannschaft erstaunlich schwach. Die Schwedin Hanna Öberg erlebte beim letzten Schießen ein Drama mit drei Nachladern und gab somit die Goldmedaille für ihr Team (sechs Nachlader) aus der Hand an Norwegen (eine Strafrunde, acht Nachlader). Die Ukraine auf dem Bronzerang hatte mit fünf Nachladern deutlich weniger als die deutschen Frauen mit einer Strafrunde und 14 Nachladern.

Startläuferin Vanessa Hinz musste im Stehendschießen in die Strafrunde, auch Franziska Hildebrand und Verfolgungs-Weltmeisterin Denise Herrmann brauchten vier Nachlader, um ihre Scheiben zu versenken. Der Rückstand war da mit 1:38 Minuten schon erstaunlich groß, Herrmann übernahm als dritte Läuferin von Hildebrand und konnte auf der Strecke ihre läuferischen Qualitäten beweisen. "Vollgas war die Devise heute", sagte Herrmann, "ich habe von Anfang an versucht, Sekunden gutzumachen. Das ist natürlich dann fürs Schießen ein Risiko."

Mit 1:03 Minuten Rückstand auf Schweden übergab sie auf Dahlmeier, die im deutschen Team die wenigsten Patzer zeigte. Liegend blieben aber auch zwei Scheiben stehen. Doch auf der Schlussrunde nahm Dahlmeier schon mal Anlauf für den Massenstart am Sonntag. Mit einem Rückstand von 35,6 Sekunden auf die Siegerinnen aus Norwegen kam Dahlmeier ins Ziel. "Wir haben uns unter Wert verkauft", sagte Herrmann angesichts der vielen Fehler am Schießstand noch. Dahlmeier, die in Östersund schon Bronze in Sprint und Verfolgung gewonnen hatte, dachte da schon an Sonntag: "Morgen hat jeder nochmal die Chance, für sich selber ein gutes Rennen zu machen."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4370819
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
Sz.de
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.