Biathlon-WM:"Wir müssen das aufarbeiten"

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Zeit für seine Abschiedstour: Benedikt Doll tritt noch bei den Weltcups in Norwegen, USA und Kanada an, ehe er sein Gewehr womöglich an irgendeinen Nagel hängt. (Foto: Hendrik Schmidt/dpa)

Erstmals seit 1976 bleiben die deutschen Männer bei einer Biathlon-WM ohne Medaille. Die Analyse fällt kritisch aus, vor allem was die Laufleistung angeht. Der Verband kündigt erste Maßnahmen an.

Von Korbinian Eisenberger, Oberhof

Am Ende hatte dieser triste verregnete Sonntag von Oberhof doch noch sein komisches Element. Weil der Biathlet Johannes Thingnes Bø im Alleingang als erster Biathlet sieben Medaillen bei einer WM gewann, widmeten ihm die Organisatoren eine Überraschung. Sie überreichten dem Norweger nach dem letzten Wettkampf ein Ortsschild des WM-Gastgebers. Aufschrift: "Boeberhof".

Die Biathlon-Weltmeisterschaft von Oberhof hatte sonnig begonnen, am letzten Wochenende stellten Wind und Regen die Menschen in Thüringen auf die Probe. Jeweils 23 500 Zuseher bestanden den Wettertest an beiden Tagen, die Biathlon-Arena war ausverkauft. Und einen letzten deutschen Höhepunkt bekamen Tausende schwarz-rot-gold-kostümierte Fans an diesem Wochenende auch noch zu sehen.

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Doch in den beiden Massenstarts am Sonntag, für nicht wenige Biathlon-Liebhaber die attraktivste Disziplin, jubelten andere. Sebastian Samuelsson und Martin Ponsiluoma sicherten sich bei den Männern einen schwedischen Doppelsieg und ließen Johannes Thingnes Bø hinter sich, der sich dennoch über eine Bronzemedaille samt Weltrekord (die meisten Medaillen bei einer WM, sieben) und Wortwitz-Schild freute. Am späteren Nachmittag im Frauenrennen leistete sich Sprint-Weltmeisterin Denise Herrmann-Wick zu viele Fehler am Schießstand und kam auf Platz 24. Als beste Deutsche fuhr Hanna Kebinger aus Garmisch-Partenkirchen auf Rang zwölf ins Ziel. Für Vanessa Voigt blieb Platz 23, für Sophia Schneider Rang 27. Den Sieg erjagte sich die Schwedin Hanna Öberg vor Ingrid Landmark Tandrevold aus Norwegen und der Französin Julia Simon.

Deutlich besser dürften die durchnässten Fans den Samstagnachmittag in Erinnerung behalten. Auf die deutsche Frauenstaffel war einmal mehr Verlass. Auf die italienische allerdings auch - und so entwickelte sich ein packender Zweikampf um die Goldmedaille. Herrmann-Wick und die Italienerin Lisa Vittozzi gingen gemeinsam in die letzten drei Runden, räumten beide liegend sämtliche Scheiben ab, ehe es vor der letzten Runde im Stehendschießen zur Entscheidung kommen sollte. Wie von einem Faden gezogen, nahmen sie gleichzeitig ihre Sportgewehre von den Schultern. Stille in der ausverkauften Arena. Allen war klar: Es geht nun um WM-Gold.

"Wir haben es am Ende nicht hingekriegt."

Sekunden später war die Entscheidung gefallen. Die Italienerin blieb fehlerlos, Herrmann-Wick brauchte Nachlader, und so reichte es am Ende - vor 23 500 Zusehern und einer Überzahl an deutschen Flaggen - nicht für die zweite deutsche Goldmedaille. Silber in der Staffel stand auf der Anzeigetafel, die dritte Medaille für das deutsche Biathlon-Team bei dieser WM. Die dritte für die Frauen.

Biathlon hat Glück, über lukrative Fernsehverträge zu verfügen: Team Deutschland freut sich bei der WM in Oberhof über Silber (von links: Denise Herrmann-Wick, Sophia Schneider, Hanna Kebinger, Vanessa Voigt). (Foto: Steffen Proessdorf/foto2press/Imago)

Der Regen passte in jenes triste Bild, das die Männerabteilung der DSV-Athleten am Abschlusswochenende vollendeten. In der Staffel am Samstag waren sie als Medaillenanwärter an den Start gegangen. Schließlich hatten sie zuvor in allen vier Weltcup-Staffeln zu den besten drei Teams gehört. In der windverblasenen WM-Staffel von Oberhof kamen dann Justus Strelow, Johannes Kühn, Roman Rees und Benedikt Doll wegen fünf Strafrunden auf Rang fünf ins Ziel. Im sonntäglichen Massenstart erreichte abschließend Strelow als bester Deutscher Rang 13. So war die letzte Chance vertan, eine historische Marke zu umgehen, welche die Statistiker der Agentur dpa alsbald zur Hand hatten: Erstmals seit 1976 blieben die deutschen Männer bei einer Biathlon-WM ohne Medaille. Der frühere Weltmeister Benedikt Doll kam zum Fazit: "Wir haben es am Ende nicht hingekriegt."

Die Rennleitung hatte Samstagfrüh noch eine Absage der Staffelwettbewerbe erwogen, blieb aber dann beim Plan. Und so ereignete sich von 11.45 Uhr an ein denkwürdiges Biathlon-Rennen, wenn auch nicht aus sportlicher Sicht. Denkwürdig war es eher, weil sich der Staffellauf zu einer Windlotterie entwickelte. Beim vierten Schießen handelten sich die Staffelschützen stolze 25 Strafrunden ein - und es wird noch zu klären sein, ob es so etwas überhaupt schon einmal gab. Und einer der Pechvögel, der mitten im Sturm abdrücken musste, trug natürlich einen DSV-Anzug. "Es gab 40 Sekunden lang keinen einzigen Treffer am Stand", erklärte Johannes Kühn später im Fernsehen. "Da hat man einfach gar nicht schießen können, es hat so gewindet." Es tue ihm "wahnsinnig leid", sagte Kühn, aber er habe keine Chance gehabt. Ergebnis: Er benötigte im Stehen acht Schuss für zwei Treffer und musste dreimal in die Strafrunde. Die vom DSV-Quartett erhoffte Medaille war schon zur Staffelhalbzeit vom Winde verweht. Die Franzosen gewannen vor Norwegen und Schweden.

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Am Sonntag blies wieder Wind und peitschte Regen durchs Stadion. Allerdings weniger wechselhaft, wodurch im Massenstart der Männer gleichschlechte Bedingungen für alle vorzufinden waren. Lediglich der 26 Jahre alte Sachse Justus Strelow überzeugte am Schießstand, er leistete sich eine Strafrunde. Roman Rees (zwei Strafrunden) kam als Achtzehnter ins Ziel, Johannes Kühn (fünf Strafrunden) belegte Platz 21, Benedikt Doll wurde nach sechs Strafrunden 26. von 30 Startern.

"Die Damen sind unter anderem deswegen so gut, weil da halt Druck von der B-Mannschaft kommt"

Historisch war diese WM von Oberhof. Und so muss an die Biathlon-WM vor 47 Jahren erinnert werden, seinerzeit in Antholz. Die Weltmeisterschaft bestand damals aus einem einzigen Sprint der Männer: Die Sowjetunion holte einen Dreifachsieg, bester Deutscher damals war ein Mann namens Klaus Gehrke auf Rang acht. Seither sicherten die DSV-Männer stets Ergebnisse unter den besten drei. Und über diese historische Dimension war natürlich auch DSV-Sportdirektor Felix Bitterling in Kenntnis. "Es ist für uns enttäuschend, wir müssen das aufarbeiten", erklärte er am Sonntag im Stadion. "Wir sind aber nicht so schlecht, wie jetzt null Medaillen aussehen."

Die Darbietungen von Strelow und Nawrath sehe er positiv, "bei den anderen müssen wir sagen, die können deutlich mehr, das müssen wir jetzt analysieren. Und damit begann Bitterling sogleich. "Die meisten sind läuferisch zu weit weg", sagte er. "Wenn ich auf jeder Runde eine halbe Minute kriege, dann hab ich Dauerdruck am Schießstand." Hintergrund seien "Defizite" bei den nachkommenden Athleten im DSV, die sich in der Vorstufe zum Weltcup befinden. "Die Damen sind unter anderem deswegen so gut, weil da halt Druck von der B-Mannschaft kommt", sagte Bitterling, ehe er Einblicke in die künftige Arbeitsweise im Nachwuchsbereich gab. "Wir haben eine Trainer-Taskforce gegründet mit Lauf- und Schießtrainer, die in die Stützpunkte gehen."

Das Gute im Biathlon, wenn es mal nicht so läuft bei einer Weltmeisterschaft: Im kommenden Jahr eröffnen sich neue Chancen. 2024 findet die WM im tschechischen Nové Město statt.

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