Biathlon-WM in Oberhof:"Skiroller sind Schwarzmalerei"

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Denise Herrmann-Wick bereitet sich beim Biathlon-Weltcup in Antholz auf das Schießen vor. (Foto: Manzoni/dpa)

Denise Herrmann-Wick startet als aussichtsreichste deutsche Medaillen-Kandidatin bei der Biathlon-WM in Oberhof. Vor dem Auftakt spricht sie über ihren trügerischen Heimvorteil.

Von Korbinian Eisenberger, Oberhof

Über die Verbindungen der Biathletin Denise Herrmann-Wick zur Branche der Zuckerkugel-Heilkunde Homöopathie ist nicht allzu viel bekannt. Mit Kugeln allerdings weiß die 34-Jährige durchaus vernünftig umzugehen, etwa wenn sie im Lauf ihres Gewehrs stecken und in runde Scheiben fliegen. Dieser Kugelsport ist indes von einem Phänomen in Flockenform abhängig. Es wird Schnee genannt und fiel bei Denise Herrmann-Wick daheim zuletzt in, nun ja, sagt sie, "homöopathischen Dosen".

Anders gesagt: Für ein wirkungsvolles Training von Profi-Biathletinnen war der Naturschnee in Ruhpolding in dieser Saison eher selten geeignet. Und so wich Denise Herrmann-Wick vor der anstehenden Weltmeisterschaft in Oberhof wie so oft in den vergangenen Jahren auf Hochgebiete aus. Auf ihrem Instagram-Profil zeigte sie sich beim Training im Dolomiten-Gebiet Seiser Alm mit sonnigen Bildern: Ein weißes Paradies in etwa 2000 Metern Höhe. Erst eine Woche vor WM-Start kehrte sie zurück nach Ruhpolding, wo sie die letzten Trainingseinheiten auf homöopathischer Schneemenge absolvierte. Seit Sonntag ist Herrmann-Wick nun im Teamhotel angekommen. Und durfte feststellen: Oberhof hat eine erhebliche Dosis Weiß abbekommen.

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Der Ort in Thüringen fühlt sich nach Winter an, die warmen Stiefel knirschen im Schnee, in den Straßen bewegen an diesem Montag Menschen ihre dicken Jacken zwischen Zelten und Buden, erste Betreiber haben die Heißgetränke vorbereitet, an manchen Ständen fehlen nur noch die Preisschilder. Fast alles ist angerichtet für ein zweiwöchiges Fest, über das vor dem Auftakt mit der Mixed-Staffel nicht nur von winterlicher Romantik zu lesen war. Der Spiegel berichtete unlängst von großen finanziellen Aufwendungen. Für die Weltmeisterschaften im Rodeln und Biathlon in Oberhof hätten Thüringen und der Bund etwa 100 Millionen Euro in Sportanlagen investiert. In Oberhof seien "Steuergelder in Millionenhöhe verschwendet" worden, heißt es darin. Am Montag erklärte der zuständige Sportstättenchef Hartmut Schubert hierzu, dass es zwar Verfehlungen gab, allerdings zwischen 2013 und 2019 und demnach nicht im Zusammenhang mit der Erneuerung der Rodelbahn und der Biathlon-Arena.

Beim Deutschen Skiverband wird ob dieser Geschichte entnervt geseufzt. Seit Saisonbeginn waren der Schneemangel samt Klimawandel ein wiederkehrendes Ärgernis für die Biathlon-Szene. Vor Oberhof hatten sie sich alle "einfach nur darauf gefreut, bei guten Bedingungen Wettkämpfe auszutragen", wie Denise Herrmann-Wick Tage vor der Abreise im Gespräch erklärt. Dass es in Oberhof doch bitte wieder vermehrt um die einstige Kernfrage dieser Sportart gehen soll: also darum, wer warum am besten läuft und trifft.

Bei dieser Frage kommen sie in Ostdeutschland unmöglich an der besten deutschen Biathletin Herrmann-Wick vorbei, ihrer Sportlerin, die zwar inzwischen in Ruhpolding lebt, aber einen ähnlichen Dialekt wie den in Thüringen spricht. Die 33-Jährige ist in Sachsen aufgewachsen, ihre Eltern leben gut zweieinhalb Stunden von Oberhof entfernt im erzgebirgischen Bockau, viele Bekannte stammen aus der Region. "Da kommen schon einige", so Herrmann-Wick. "Die komplette Familie und Freunde." Erster Einsatz: Am Mittwoch bei der Mixed-Staffel mit Vanessa Voigt, Benedikt Doll und Roman Rees.

"Es wird für mich nicht nur eine sportliche Herausforderung", sagt Herrmann-Wick

19 Jahre sind vergangen seit der ersten und bis dato letzten Biathlon-WM in Oberhof. 150 000 Eintrittskarten sind bisher verkauft worden, wie OK-Chef Thomas Grellmann am Montag im Stadion erklärte. "Es sind aber noch Tickets zu haben." Die vom Spiegel erwähnten Millionen wurden unter anderem verwendet, um die Arena am Rennsteig zu erweitern. Auf dem Tribünen-Trakt haben nun 16 500 Platz statt bisher 12 000. Damit können nun 27 500 Fans die zweite WM von Oberhof gleichzeitig am Ort erleben.

Damals, im Februar 2004, hatte Oberhof schon einmal neue Maßstäbe gesetzt. 206 000 kamen seinerzeit ins Stadion (was nur Ruhpolding 2012 mit 220 000 toppte). Sportlich werden von der ersten Oberhof-WM eventuell die sieben Goldmedaillen der Eheleute Raphaël (Frankreich) und Liv Grete Poirée (Norwegen) in Erinnerung sein. Oder eben der Staffel-Sieg der deutschen Männer. Eine DSV-Medaille also - und hier kommt einmal mehr Herrmann-Wick ins Spiel.

Oberhof am Dienstagmorgen: Die Sonne fällt auf die schneebedeckte Thüringen Arena am Rennsteig. (Foto: Christian Heilwagen/Imago)

Zwei Weltcuprennen hat sie in dieser Saison gewonnen, diverse Staffel-Läufe beendete sie als Schlussläuferin unter den besten drei Teams. Die Hoffnungen der Fans dürften sich auf sie fokussieren. "Es wird für mich nicht nur eine sportliche Herausforderung, es wird extrem viel drum herum sein", so Herrmann-Wick. Die Kunst bestehe nunmehr darin, dass der Trubel nicht zum Energieräuber werde. "Ich muss mich auf die anstehenden Aufgaben konzentrieren."

Immerhin, diesmal müssen sie sogar Schnee von den Sitzschalen entfernen

Die Oberhofer Schneedecke jedenfalls könnte dazu beitragen, die Klimadebatte zu verdrängen, zumindest für zwei Wochen. All diese Prophezeiungen, dass Biathlon irgendwann auch im Winter auf Rollen stattfinden müsse oder gar auf Kunststoffmatten, wie unlängst beim Saisonauftakt des Winter-Weltcups im Skispringen. "Bis wir an so einem Punkt sind, muss schon viel passieren", sagt Herrmann-Wick. Es gebe ja noch die Schneedepots, um - wie unlängst in Ruhpolding - schmale weiße Kunstschnee-Schleier in braune Landschaften zu zeichnen.

Auch diesen Winter konnten sie sämtliche bisher geplanten Biathlon-Weltcups veranstalten, anders als etwa die Alpinen. "Skiroller sind Schwarzmalerei", sagt Herrmann-Wick. Also auf länglichen Rollschuhen zu fahren, statt auf Skiern. Bevor es so weit komme, sei eher noch ein Standortwechsel anzustreben. Etwa an einem später terminierten Weltcup-Ort noch ein zweites langes Wochenende auszutragen. Ruhpolding, in diesem Jahr auffällig frühlingshaft im Januar, hat sie da als Wahl-Ruhpoldingerin besonders im Blick. "Wenn das öfters so ist, muss man sich schon überlegen, ob der Zeitraum der richtige ist."

Oberhof hat es diesmal deutlich besser erwischt. Hier müssen sie nicht die letzten Schneereserven vom Vorjahr zusammen-, sondern den Schnee von den Sitzschalen im Stadion herunterkratzen. Sonnig soll es demnächst werden, Wind ist in Oberhof immer ein Thema. Nur nicht zu viel Sonne und auch nicht zu viel Wind, da dürften sich die 144 Biathletinnen und 164 Biathleten dieser WM einig sein. Sturm und Hitze bitte tatsächlich nur in homöopathischen Dosen.

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