WM-Bronze für deutsche Biathleten:Tränen wie bei der Hochzeit

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Schlussläufer Philipp Horn hatte noch Kraft zum Jubeln - und fiel dann erschöpft in den Schnee. (Foto: Alexander Hassenstein/Getty Images)

Die deutschen Biathleten nutzen die Schwächen der Konkurrenz und gewinnen überraschend WM-Bronze in der Staffel. Schlussläufer Philipp Horn kämpft sich ins Ziel und wird dort von seinen Emotionen überwältigt. Die Frauen landen auf Rang fünf.

Von Saskia Aleythe, Lenzerheide

Als die Beine am meisten schmerzten, dachte Philipp Horn an Marco Morgenstern. Morgenstern hatte einst in einem WM-Staffelrennen so sehr mit Kreislaufproblemen zu kämpfen, dass er die Anstiege kaum hochkam und in den Schnee fiel – und genau das wollte Horn an diesem Nachmittag bei der Biathlon-WM in Lenzerheide verhindern. Auf der Kuppe des letzten Hügels in seinem Staffelrennen in der Schweiz lag er noch zehn Sekunden vor dem kämpferischen Sebastian Samuelsson aus Schweden auf dem Bronzerang. „Da hat es einfach Peng gemacht und ich konnte mich fast nicht mehr bewegen“, sagte Horn, „ich dachte, ich mache gleich den Morgenstern.“ Aber: Er bewegte sich noch und sicherte den deutschen Männern ihre erste WM-Medaille in der Schweiz.

Ein Erfolg, mit dem zuvor kaum jemand mehr rechnen konnte: War doch diese Weltmeisterschaft in Lenzerheide für die deutschen Männer größtenteils enttäuschend verlaufen. Umso gelöster feierte das Team aus Philipp Nawrath, Danilo Riethmüller, Johannes Kühn und Horn an diesem Samstag vor 17 000 Zuschauern in der Roland-Arena. „Ich glaube, das letzte Mal war zu meiner Hochzeit, als mir die Tränen vor Glück in den Augen standen. Das war wirklich sehr, sehr emotional gerade“, sagte Horn, als der 30-Jährige mit der Medaille um den Hals vor den Mikrofonen stand. 2020 hatte es zuletzt mit Silber in Antholz geklappt.

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:Ihre Zeit ist da

Als Magdalena Neuner 2012 zurücktrat, hatten die Trainer schon ihren Namen im Kopf – doch Franziska Preuß musste lange darauf vertrauen, dass sie ihr Potenzial noch entfalten wird. Mit 30 ist sie die weltbeste Biathletin, die nichts mehr dem Zufall überlässt.

Von Saskia Aleythe

Startläufer Nawrath benötigte vier Nachlader, Riethmüller drei, dann brachte der fehlerfreie Johannes Kühn das Team wieder in Medaillennähe. Auch, weil die Konkurrenz patzte. Vorn liefen die siegreichen Norweger (insgesamt vier Nachlader) und Frankreich (sieben Nachlader) ihr eigenes Rennen, doch der Kampf um Bronze blieb fast bis zum Ziel spannend.

Schlussläufer Horn zeigte zunächst Nerven, als nach fünf Schuss drei Scheiben stehen geblieben waren. „Ich habe mir gesagt, jetzt reiß’ dich zusammen, es muss jetzt wirklich passen“, erklärte Horn danach. So verhinderte er die Strafrunde, präsentierte auf der Loipe seine gute Form und kam schließlich mit Samuelsson zum letzten Schießen. „Ich habe das Duell ehrlich gesagt gar nicht so mitbekommen. Ich war wirklich sehr bei mir und habe mich darauf besonnen, was ich kann“, sagte Horn. Während er alle Scheiben versenkte, musste der Schwede eine Zusatzpatrone benutzen und verlor wertvolle Zeit. Und diesen Horn, der sich bis ins Ziel verausgabte und dann erst mal völlig platt liegen blieb, konnte er nicht mehr abfangen. Am Ende standen zehn Nachlader für Deutschland in der Bilanz.

Im Ziel liefen dann einige Tränen, auch bei Johannes Kühn: Er schaffte nun in Lenzerheide mit 33 Jahren seinen ersten WM-Erfolg – und deutete sogleich sein Karriereende an: „Das ist meine letzte WM.“ Er plane noch bis Olympia im kommenden Jahr. „Pläne können sich ändern, aber Stand jetzt ist der Plan so.“ Bei den deutschen Männern hatten in der Schweiz in den Einzelrennen vorwiegend die vielen Schießfehler dazu geführt, dass sie von der Konkurrenz abgehängt wurden. In Sprint und Verfolgung war keiner in die Top 15 gelaufen. Der Staffel-Erfolg wurde deswegen dankbar angenommen. Für den Deutschen Skiverband (DSV) war es die fünfte Medaille in der Schweiz, aber die erste, an der nicht Franziska Preuß beteiligt war.

Frankreichs Frauen-Staffel gewinnt mit riesigem Vorsprung den Titel

Wenige Stunden vor den Männern hatte das Frauen-Team um Preuß nach einer Strafrunde durch Startläuferin Sophia Schneider die Staffel auf Rang fünf beendet. Die Französinnen waren in diesem Rennen konkurrenzlos zum Titel gelaufen: Julia Simon hatte auf der Schlussrunde so viel Vorsprung, dass sie mit den Zuschauern abklatschen konnte, für Kaffee und ein Stück Kuchen wäre auch noch Zeit geblieben. Die 28-Jährige kostete die Situation genüsslich aus: Nach ihrer zweiten fehlerfreien Schießeinlage drehte sie sich zum Publikum um und verneigte sich, es gab Szenenapplaus. Rund um sie herum war ja noch keine einzige Verfolgerin zu sehen. Erst über eineinhalb Minuten später trat die Norwegerin Maren Kirkeeide an den Schießstand und sicherte ihrem Team Silber (eine Strafrunde, acht Nachlader) vor den drittplatzierten Schwedinnen (1+8).

Franziska Preuß, in Lenzerheide schon mit vier Medaillen dekoriert, hätte die Aufholjagd der Deutschen noch mit Bronze belohnen können, ihre zwei Nachlader beim letzten Schießen waren allerdings zu viel. Startläuferin Sophia Schneider musste nach ihrem Patzer am Schießstand im Ziel getröstet werden. „Ich habe den Stress von der Strecke beim Schießen nicht wegbekommen. Ich bin sehr enttäuscht. Das ist nicht cool, wenn die Staffel so anfängt. Das tut mir leid für die Mädels“, sagte Schneider, die erstmals als Startläuferin unterwegs war, in der ARD. Sie übergab auf Position 16 auf Selina Grotian, die trotz dreier Zusatzpatronen immerhin drei Plätze gut machte.

Die Hoffnungen auf eine Medaille hielt dann aber Julia Tannheimer am Leben: Die 19-Jährige kam mit nur einem Nachlader durch und führte das Team vor bis auf Platz sechs. Schlussläuferin Preuß verließ am Ende das Glück am Schießstand. „Es wurde von Schuss zu Schuss ein bisschen unruhiger“, sagte Preuß, die auf der Strecke viel investiert hatte, um wieder in Reichweite eines Podiumsplatzes zu kommen. „Auch die Franzi ist nur ein Mensch“, sagte Sportdirektor Felix Bitterling.

Am Sonntag sind mit den Massenstarts die letzten Rennen in Lenzerheide geplant, doch für die Männer stand erst mal noch Genießen auf dem Plan. „Keiner wird in ein paar Jahren mehr an die ganzen schlechten Ergebnisse denken. Wir werden uns an den Tag erinnern, wie wir hier emotional im Ziel gefeiert und wie wir die Siegerehrung genossen haben“, sagte Horn noch. Fazit: „Heute ist einfach ein geiler Tag.“ Einer, der ihnen sehr gelegen kam.

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