Deutsche Männer bei der Biathlon-WM:Akuter Fachkräftemangel

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Gerade noch auf dem Sofa in Oberhof, jetzt für Deutschland im WM-Einzelrennen in Lenzerheide am Start: David Zobel. (Foto: Martin Schutt/dpa)

Die Trefferleistung indiskutabel, der Abstand zur Spitze enorm: Nach einem verpatzten Start in die Biathlon-WM ringen die deutschen Männer um Wiedergutmachung. Im Einzel-Wettbewerb muss sogar eine Nachnominierung helfen.

Von Saskia Aleythe, Lenzerheide

Jederzeit einen Satz frische Wäsche parat zu haben, kann im Leben nicht schaden. Eine Lektion, die David Zobel jetzt schon gelernt hat, denn in den vergangenen Tagen musste es für den deutschen Biathleten schnell gehen. Die ersten Rennen der Weltmeisterschaft in Lenzerheide hatte er in Oberhof vor dem Fernseher verfolgt; der 28-Jährige war für die Titelkämpfe nicht nominiert. Aber dann kam der Anruf von Männertrainer Jens Filbrich: Im Einzel sei noch ein Startplatz zu vergeben. „Ich habe nullkommanull damit gerechnet“, sagte Zobel am Dienstag, da saß er schon hoch motiviert im Pressezentrum neben der Roland-Arena in Lenzerheide. „Ich habe ganz schnell meine Sachen gepackt, bin ins Auto gestiegen und hier hergefahren.“

So schnell kann es derzeit gehen im deutschen Biathlon: Jede Kraft wird gebraucht. In den ersten beiden Einzelrennen in der Schweiz hatte es kein Deutscher in die Top 15 geschafft, aber vorzeitig abpfeifen lässt sich so eine WM auch nicht. Zumal es bei den Frauen für Franziska Preuß zu Beginn kaum besser laufen konnte. „Wir geben auf jeden Fall die zweite Woche nicht auf, bevor sie gestartet ist“, sagte Sportdirektor Felix Bitterling am Sonntag. Fast so, als müsste man das zur Sicherheit noch mal erwähnen.

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Vor allem die Leistung am Schießstand war bei den meisten Deutschen bisher ein Debakel: In Sprint und Verfolgung blieben fast alle weit unter ihren Möglichkeiten. „Von vorne bis hinten beschissen“, hatte Danilo Riethmüller, 25, sein Verfolgungsrennen mit acht Fehlern getauft – eine erstaunlich zielsichere Analyse. Das Gute am Biathlon: Es gibt immer wieder Chancen zur Wiedergutmachung, bei den Männern schon im Einzel am Mittwoch. Aber um überhaupt die vier Startplätze besetzen zu können, musste Zobel nachkommen.

Justus Strelow hat im Laufen zu große Defizite für ein Rennen über 20 Kilometer

Philipp Nawrath, 32, war nicht topfit nach Lenzerheide gereist und muss sich nach drei Wettbewerben ausruhen. Justus Strelow, 28, ist zwar fit, hat im Laufen aber zu große Defizite für ein Rennen über 20 Kilometer. Blieben also nur noch WM-Debütant Riethmüller, Philipp Horn und Johannes Kühn übrig. Mit Rang 17 in der Verfolgung war Horn in der Schweiz noch das beste Ergebnis der Deutschen gelungen. Durch den Rücktritt von Benedikt Doll im vergangenen Jahr hat die Mannschaft ihren letzten Weltmeister verloren – und auch eine Figur, die das Team anführt. Eine schwierige Konstellation.

Es ist also eine Truppe der Gebeutelten, zu der Zobel nun gestoßen ist, „vielleicht kann ich ein bisschen frischen Wind reinbringen“, sagte er. Die Stimmung sei durch die Erfolge von Preuß trotz allem positiv, verriet der Deutsche. Aber: Während Nationen wie Norwegen und Frankreich grübeln müssen, wie sie ihre vielen Talente überhaupt unterbringen, herrscht bei den deutschen Männern gerade ein akuter Fachkräftemangel.

Denn es ist nicht so, dass sich Zobel in diesem Winter mit starken Ergebnissen empfohlen hätte, im Gegenteil: Über einen 33. Platz kam er nicht hinaus. „Im Weltcup habe ich bisher keine gute Leistung gezeigt“, sagte Zobel selbst, aber immerhin: Ein Sieg im zweitklassigen IBU-Cup Anfang Februar war ein Lebenszeichen. Und das reicht dann schon für den Anruf des Trainers. Eigentlich war Zobel gerade dabei, einen Podcast aufzunehmen, „den wollte ich nicht unterbrechen“, die Botschaft holte er sich dann mit einem Rückruf ab.

Auch nicht so richtig zufrieden mit seiner Performance bei der Biathlon-WM: Danilo Riethmüller. (Foto: Alexander Hassenstein/Getty Images)

Erklärungen für die Schießprobleme der Kollegen fallen derzeit selbst den Trainern schwer. Ein „Problem zwischen den Ohren“ hatten sie schon die ganze Saison über ausgemacht, dabei ist es ja nicht so, dass die Erwartungen gerade besonders hoch wären. Nervosität und Anspannung drückten sich in Lenzerheide dann auch in allerlei Missgeschicken aus: Philipp Horn rutschte im Sprint beim Liegendschießen der Ellbogen weg („das ist mir noch nie passiert“), Justus Strelow fädelte mit seinem Stock in der Strafrunde in eine Bande ein („wusste gar nicht, dass das möglich ist“) und stürzte. Und Riethmüller legte sich in der Verfolgung auf die falsche Matte und fürchtete dann das ganze Rennen über eine Disqualifikation („da war das ganze System im Eimer“).

Einziger Lichtblick: Philipp Horn, 30, der an einem Wochenende die ganzen Extreme des Biathlons kennengelernt hatte. Nach seinen vier Fehlern im Sprint und Rang 44 hatte er „die Nase voll“, in der Verfolgung arbeitete er sich schließlich 27 Plätze nach vorn, nur einer von 20 Schüssen hatte das Ziel verfehlt. „Gestern habe ich schon dran gedacht, ich lasse es einfach. Und heute habe ich wieder so viel Spaß gehabt am Biathlon. Ach, unbeschreiblich einfach“, sagte Horn danach und seufzte.

Sich selbst aus dem Tief zu ziehen, ist derzeit wohl die größte Aufgabe im deutschen Team. Horn hatte dabei ein Telefonat mit seiner Frau geholfen, die ihn daran erinnerte, was er schon „Cooles“ mit dem Biathlon erleben durfte, Reisen wie diese WM in die Schweiz zum Beispiel. Die Erkenntnis: „Nur mit Spaß kann man erfolgreich sein“, sagte Horn. Sein Motto steht.

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