Wer oft in den Bergen ist, bekommt ein Gespür für die Ästhetik von Landschaften. Franziska Preuß ist in ihrer Biathlonkarriere schon gut herumgekommen in hügeligen Gebieten, also spricht aus ihr eine Expertin. Lenzerheide, wo an diesem Mittwoch mit der Mixed Staffel die Biathlon-WM startet, „strahlt eine unglaublich positive Energie aus“, findet die Deutsche, das Panorama sei „atemberaubend“. Und da treffen nun zwei glückliche Umstände aufeinander: Preuß, in der Form ihres Lebens, ist auch noch bester Laune.
Besser könnten die Zeichen also gar nicht stehen für diese Weltmeisterschaft. Als Führende in der Gesamtwertung hätte Preuß jedes Recht, sich selbst als Titelfavoritin zu bezeichnen – aber das tut sie nicht. Wozu die Erwartungen noch mehr in die Höhe schrauben? „Wenn man es im Weltcup aufs Podium schafft, dann ist das auch bei einer WM ein realistisches Ziel“, sagt sie stattdessen, da kann ihr niemand widersprechen. Ein Medaillenziel möchte auch der Deutsche Ski-Verband (DSV) nicht ausrufen. Ist das jetzt ein Zeichen von geschrumpften Ansprüchen – oder von Taktik?

Biathlon in Ruhpolding:Festspiele für Preuß
Nach Rang zwei im Einzel und dem Sieg in der Staffel gelingt Franziska Preuß bei ihrem Heimrennen in Ruhpolding im Finale ein zweiter Platz im Massenstart. Die 31-Jährige baut ihren Vorsprung im Wettkampf ums gelbe Leibchen aus.
Am Fuße der Bündner Alpen hier im Osten der Schweiz kann man es als Biathlet durchaus aushalten – Nadelbäume umringen im Sonnenschein die Arena, gleich neben einem großen Bergmassiv. Erstmals seit einer Frauen-WM 1985 in Egg am Etzel darf die Schweiz nun eine Meisterschaft für beide Geschlechter austragen, und so ein Ortswechsel kann durchaus die Gemüter beleben. „Wir sind guten Mutes“, sagte Sportdirektor Felix Bitterling am Dienstag. Und klar ist auch: Vor allem auf Franziska Preuß ruhen im DSV die Hoffnungen.
Die Französin Lou Jeanmonnot wählt das Wort „unantastbar“ für Preuß
In ihrem Falle ist die defensive Kommunikation wohl vor allem eine Art Schonhaltung. Es ist nicht ausgeschlossen, dass diese WM vor dem Höhepunkt im kommenden Jahr, den Olympischen Winterspielen, ihre letzte sein könnte – die eine oder andere Andeutung dazu ist zuletzt schon gefallen. Die ganze Saison über ist Preuß gesund von einer Weltcup-Station zur nächsten gereist und entfaltete so ihr Können mit zehn Podestplätzen in 14 Einzelrennen – sie ist so gut wie nie zuvor. Deswegen sollen nun keine falschen Gedanken in die Quere kommen. Gedanken an Siegerjubel etwa. Was den einen anspornt, setzt dem anderen einen Rucksack an Erwartungen auf, mit dem sich jeder Schritt auf der Loipe plötzlich schwerer anfühlt und die Scheiben am Schießstand noch kleiner. „Wichtig ist für mich, mit einer gewissen Lockerheit an die Rennen heranzugehen“, sagt Preuß.
WM-Medaillen mit der Staffel hat Preuß schon einige gesammelt, Erfolge wie Silber im Massenstart von 2015, als sie gerade 20 Jahre alt war, konnte sie seitdem in den Einzelrennen nicht mehr feiern. Im Schatten von Laura Dahlmeier und später von Denise Herrmann-Wick musste sie allzu oft Krankheiten auskurieren, war immer wieder von Infekten geplagt. Eine Operation an den Nasennebenhöhlen im vergangenen Frühjahr brachte dauerhafte Besserung. Nun ist Preuß diejenige, die auch den Gegnern Respekt abverlangt. „Ich ziehe den Hut vor ihr“, sagt die Französin Justine Braisaz-Bouchet, „sie scheint völlig in sich zu ruhen.“ Ihre Kollegin Lou Jeanmonnot benutzt sogar die Vokabel „unantastbar“ für Preuß. Dabei ist die Französin die gefürchtetste Gegnerin der Deutschen. Vier Siege in den letzten fünf Rennen vor der WM machen die 26-Jährige zur Athletin der Stunde.
Drei WM-Medaillen brachten die Deutschen im vergangenen Jahr aus Nove Mesto in Tschechien mit. Benedikt Doll, einer der damals Dekorierten, ist zurückgetreten, und Janina Hettich-Walz aufgrund von Schwangerschaft in der Schweiz nicht am Start. Und abseits von Preuß überzeugte das deutsche Team in diesem Winter bislang nur punktuell. Selina Grotian zeigte mit einem Sieg und einem zweiten Platz, dass sie eine für ganz vorn sein kann – und sie ist auch erst 20 Jahre alt. Julia Tannheimer, 19 Jahre alt, komplettiert ein Duo, das Hoffnungen für die Zukunft macht.
Bei den Männern muss man für Mutmacher schon etwas tiefer graben, nach dem Rücktritt von Doll ist ihnen ein klarer Anführer abhandengekommen. Philipp Nawrath ist mit Rang elf in der Gesamtwertung bester Deutscher, aber nach einer leichten Erkältung zuletzt noch angeschlagen. Vielleicht helfen ihm Erinnerungen an den Weltcup-Sprint in Lenzerheide in der vergangenen Saison, um gänzlich fit zu werden, schließlich klappte es damals mit einem dritten Platz. „Die Strecken liegen mir, vor allem die technisch anspruchsvollen Anstiege“, sagt Nawrath. Im Wohlfühlen sind die Deutschen zumindest schon mal vorn dabei.