Biathlon-WM:Laufen für Xenia

Sie hat vor einem halben Jahr entbunden, er ist 43 - und trotzdem holen sie in Hochfilzen Medaillen. Das weißrussisch-norwegische Paar Darja Domratschewa und Ole Einar Björndalen beweist Präzision und Willenskraft.

Von Joachim Mölter, Hochfilzen

Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit des Biathlons trafen sich am Sonntag bei der WM-Siegerehrung in Hochfilzen, in Person von Johannes Thingnes Bö, Martin Fourcade und Ole Einar Björndalen. Diese Drei hatten die Medaillen gewonnen im Verfolgungsrennen; in der großen Biathlon-Familie repräsentieren sie quasi drei Generationen. Der Silbergewinner Bö, 23, ist der Mann für die Zukunft, der Weltmeister Fourcade, 28, der für die Gegenwart, und der drittplatzierte Björndalen, 43, steht schon seit Jahren für eine große Vergangenheit - und seit kurzem für eine neue, freilich noch sehr ferne Zukunft. Die schlummerte am Sonntag in seinem Hotelzimmer, hört auf den Namen Xenia, ist vier Monate alt und vermutlich mit reichlich Talent für den Biathlonsport gesegnet. Denn ihre Eltern sind Ole Einar Björndalen und Darja Domratschewa, er siebenmaliger Olympiasieger, sie dreimalige Olympiasiegerin.

Der Norweger und die Weißrussin sind seit längerem ein Paar, im vorigen Sommer haben sie geheiratet, in Domratschewas Heimatstadt Minsk. Kurz danach hat die 30-Jährige entbunden, im Januar kehrte sie in Oberhof ins Weltcup-Geschehen zurück, am Sonntag gewann sie Silber im Verfolgungsrennen der Frauen. "Das ist ein Traum", sagte sie, nachdem sie ihre insgesamt siebte WM-Medaille um den Hals hängen hatte. "Das ist ein wirklich toller Tag", sagte Björndalen, nachdem er etwas später seine 45. WM-Plakette in Händen hatte. "Das ist ein glücklicher Tag für unsere Familie", fasste Domratschewa zusammen.

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Zurück in der alten Form: Darja Domratschewa (rechts) bleibt am Schießstand fehlerfrei und läuft im Verfolgungsrennen auf den zweiten Platz hinter Laura Dahlmeier.

(Foto: Eberhard Thonfeld/Camera 4)

So rührend die zwei Medaillengewinne an einem Tag für die jungen Eltern auch waren - einzigartig war das nicht. Bei der WM 2004 in Oberhof feierte das Ehepaar Raphael und Liv Grete Poirée - er Franzose, sie Norwegerin - sogar zweimal Gold am gleichen Tag, im Massenstart. Damals holten die Poirées sieben von zehn möglichen Weltmeistertiteln, was die Björndalens in Hochfilzen nicht mehr schaffen werden. Und die Poirées hatten ebenfalls eine kleine Tochter dabei, Emma hieß das Mädchen, auf das damals eine Tante aufpasste. Auf Xenias Wohlbefinden achtete am Sonntag eine eigens engagierte Babysitterin, am Montag übernahm dann Domratschewas Mutter die Betreuung. Die Kleine sei pflegeleicht, versichert Darja Domratschewa: "Sie schläft gut und weckt uns nur, wenn sie Hunger hat." Ihr Ehemann bestätigt das: "Ich schlafe immer noch gut, aber halt etwas weniger."

Auch wenn die Leistung der Familie Björndalen-Domratschewa nicht einzigartig ist, so bleibt sie doch bemerkenswert. Dass die Weißrussin nur vier Monate nach der Entbindung eine WM-Medaille gewinnt, ist für sich genommen schon außergewöhnlich, und noch beeindruckender angesichts der Ausgangslage. Als 27. des Sprints nahm sie die Verfolgung mit anderthalb Minuten Rückstand auf, und nur weil sie als eine von nur fünf Starterinnen des 60er-Feldes bei allen vier Stationen fehlerfrei schoss, konnte sie das Feld von hinten aufrollen. "Es ist unglaublich, was sie geleistet hat", sagte Björndalen, der das Rennen seiner Frau im Hotel am Fernseher verfolgt hatte: "Ich hätte nicht gedacht, dass sie eine Medaille gewinnen könnte. Aber das hat mich sehr motiviert." Und zwar so sehr, dass auch er "eine Medaille für meine Familie gewinnen" wollte, wie er hernach erzählte.

Biathlon - IBU World Championships Hochfilzen - Pursuit

Medaillen sind gut für die Liebe: Darja Domratschewa und Ole Einar Björndalen in Hochfilzen.

(Foto: Leonhard Foeger/Reuters)

Das schaffte er tatsächlich, er arbeitete sich vom achten Rang nach dem Sprint noch auf den dritten in der Verfolgung vor, ebenfalls dank eines erstklassigen Schießens mit nur einem Fehler (bei den Männern kam keiner ohne Strafrunde durch die 12,5-Kilometer-Distanz). Einem nach Maßstäben des Hochleistungssports alten Mann wie Björndalen gebührt dafür durchaus Hochachtung. "Für mich ist das wie ein Sieg", sagt er und erklärt: "Das Niveau ist definitiv höher, die Jungs sind extrem stark, und es ist schwieriger, ein Rennen zu gewinnen als früher."

Früher, damit meint er speziell auch Hochfilzen. Hier hat er vor zwölf Jahren, bei der WM 2005, viermal Gold gewonnen, nur im Einzelrennen über 20 Kilometer nicht. Eine ähnliche Serie hat nur er selbst noch mal hingelegt, 2009 in Pyeongchang, als er wieder vier Titel gewann, außerdem Martin Fourcade voriges Jahr in Oslo mit ebenfalls vier Titeln. Einige von Björndalens WM-Rivalen von 2005 sind heute auch noch dabei, der Ruhpoldinger Ricco Groß zum Beispiel als Trainer im russischen Team, der Nesselwanger Michael Greis als Fernsehexperte. In der Loipe hat es Björndalen dagegen mit einer neuen Generation zu tun.

Er wollte schon aufhören, nach der WM 2016 in Oslo, seiner Heimat. Aber nachdem es vor einem Jahr immer noch so gut für ihn lief mit einer Gold-, zwei Silber- und einer Bronzemedaille, beschloss er, doch noch etwas dranzuhängen. Bis zu den Olympischen Winterspielen 2018 in Pyeongchang reicht jetzt die Planung, hat er in Hochfilzen bekräftigt. "Aber ich denke nicht ans Gewinnen", versichert er. Wenn ihn nicht noch weitere Medaillen zum Weitermachen animieren, wird er dann in seiner eigenen kleinen Biathlon-Familie den Dreiklang Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft etablieren. Er wird die Vergangenheit verkörpern, seiner Frau wird die Gegenwart gehören, seiner Tochter die Zukunft.

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