Süddeutsche Zeitung

Denise Herrmann bei der Biathlon-WM:Sie sucht die Sekunden

Wie nutzt man sein Potential am besten? Denise Herrmann arbeitet an ihren Stärken, muss dafür aber gerade auch Rückschläge akzeptieren.

Von Saskia Aleythe

Erst die Schichten machen das Gesamtkunstwerk. Unten der Blätterteig, darüber Vanillecreme, dann Sahne und noch mal Blätterteig, getoppt mit Puderzucker. Auf ihre Cremeschnitte sind sie in Bled besonders stolz, wichtig ist nicht nur der Inhalt, sondern auch die Form: Sieben Zentimeter hoch, sieben Zentimeter breit, sieben Zentimeter tief, da muss schon penibel geschnitten sein, was sich "Original" nennen will. 15 Millionen Stück wollen sie seit der Erfindung vor rund 70 Jahren schon verkauft haben. Und wer sich durch die jährlichen Volksläufe rund um den Bleder See quält, darf sich zur Belohnung dann durch die Schichten futtern.

Wären Zuschauer bei dieser Biathlon-WM in Slowenien zugelassen, sie hätten den Umsatz nach Kräften gesteigert, doch auch in Corona-Zeiten sind zumindest bei den deutschen Biathleten Kuchen keine Mangelware. Ein bisschen Soulfood muss auch mal sein, zwei Köche hat der Deutsche Ski-Verband (DSV) mit nach Slowenien genommen. Arnd Peiffer durfte sich nach seiner Silber-Medaille im Einzel mit Gebäck vergnügen, "wir hoffen natürlich, dass es noch ein paar mehr Schokokuchen gibt", sagt Denise Herrmann. Damit verbunden ist auch die Hoffnung, dass sie bei dieser WM noch eine Medaille gewinnt.

"Es ist nicht einfach, das Level immer wieder zu halten"

Die 32-Jährige hatte die Hand zweimal schon nah dran am Edelmetall, doch ihre Chancen flatterten dann davon im slowenischen Nationalpark: Im Sprint zeigte Herrmann ihr bestes Schießen in dieser Saison mit nur einem Fehler, das Projektil hatte die Scheibe um ein paar Millimeter verfehlt. Im Verfolgungsrennen kostete sie erst der abschließende Stehendanschlag einen Podiumsplatz. Rang 4, 8 und 15 in den Individualrennen, es sind keine Ergebnisse, die Herrmann grundsätzlich die Laune vermiesen. Aber alles passt in den Rennen gerade noch nicht zusammen, das hat auch mit der Müdigkeit in den Beinen zu tun. Herrmann sagt: "Im Laufen fehlen mir gerade die Sekunden, mit denen ich das kompensieren kann, was ich die letzten Jahre auch kompensieren konnte, um ganz nach vorne zu marschieren."

Herrmann ist schon weit gekommen in ihrem zweiten Sport, nachdem sie 2016 als Langläuferin den Umstieg zum Biathlon gewagt hatte. Da ist ja nicht nur der Verfolgungs-Titel von 2019, da sind auch drei silberne Medaillen und eine bronzene, da ist auch Platz drei im Gesamtweltcup im Vorjahr. "Es ist nicht einfach, das Level immer wieder zu halten", sagt sie, aber auch: "Man will ja auch besser werden." Deswegen hat sie im Sommer an den Intensitäten geschraubt, um ihr Potential noch mehr auszuschöpfen als bisher. Sprints waren schon im Langlauf ihre Spezialität, in ihren ersten Jahren als Biathletin hat sie zunächst viel Grundlagentraining für die neuen Belastungen betrieben. "Ich muss aber auch mal wieder dahin zurück, was meine Stärke ist, und das ist schnell zu laufen", sagt sie, also gab es dann mehr Einheiten bei hoher Intensität, "das war vielleicht ein kleines bisschen zu offensiv."

In der Verfolgung und im Einzel auf der Hochebene Pokljuka erreichte Herrmann nur die 24. und die 21. Laufzeit, war teilweise 1:06 Minuten langsamer als Norwegens Tiril Eckhoff, die sie im Vorjahr auf der Loipe in den meisten Rennen bezwingen konnte. "Auf der Strecke sind die Mädels sehr, sehr schnell. Das Feld rückt näher zusammen", sagt Herrmann, die ihren Formaufbau auch auf ein höheres Ziel ausgerichtet hat: Olympia in Peking im kommenden Jahr. "Da gibt es immer noch Reserven, die man ausreizen will", sagt sie, "da muss man im Training auch einen gewissen Mut haben. Der wird nicht immer gleich direkt belohnt. Aber den Weg muss man halten, damit man das Ziel erreicht."

Biathlon ist ein dynamischer Sport, das weiß auch Herrmann, die schon viel gelernt hat als Quereinsteigerin. Der Umgang mit der Waffe war für sie ganz am Anfang "tägliche Überforderung", von 72 Prozent Trefferleistung konnte sie sich immerhin auf 81 Prozent steigern. Den Trend zum Schnellschießen hat sie im vergangenen Jahr auch ausprobiert. "Damit bin ich gewaltig hingefallen", sagt sie, jetzt steht wieder die Sicherheit im Vordergrund, "es ist halt immer die Frage: Bringe ich es unter Belastung dann rüber?" Mentaltraining gehört für Herrmann schon seit einiger Zeit dazu, aber auch da braucht sie immer wieder neue Ansätze. "Man ist immer auf der Suche: Wie kann ich das stabilisieren, wie kann ich gewisse Sachen auch ausblenden am Stand", sagt sie und merkt in Slowenien: Je weniger sie gerade über ihr Schießen nachdenkt, desto besser klappt es.

Zwei Medaillen-Chancen bleiben ihr noch, am Samstag mit der Staffel und im Massenstart am Schlusstag. Sechs Top-Ten-Platzierungen in Slowenien haben den deutschen Frauen Selbstvertrauen eingeflößt, und sie wissen ja auch, wie eng es in der Weltspitze zugeht: Italiens Dorothea Wierer, die im vergangenen Jahr vier Medaillen gewinnen konnte, steht noch ohne Belohnung da. "Selbst einen vierten, fünften oder sechsten Platz muss man erstmal schaffen", sagt Herrmann, "das ist kein Kinder-Geburtstag." Kuchen hin oder her.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5211829
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/klef/tbr/moe
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.