Biathlon-WM:Das Talent, über den Schatten zu springen

Biathlet Christoph Stephan trägt mit 23 Jahren schon deutsche WM-Hoffnungen - er muss nur lernen, sein Ungestüm zu bändigen.

Volker Kreisl

Einmal musste er sich entschuldigen. Wie in allen Ausdauerdisziplinen dient auch bei den Biathleten die Zone hinter dem Zielstrich nicht nur dem Jubeln, sondern zunächst mal dafür, sich fallen zu lassen im Zustand akuter Sauerstoffschuld, und nach einem der Weltcuprennen in Ruhpolding war Christoph Stephan ein paar Sekunden zu lange liegen geblieben. Extra hatte er sich deshalb einen Platz am Rande des Zielraums gesucht, und trotzdem stupste ihn ein Ordner an, er solle endlich aufstehen. Stephan schaute gar nicht hoch, sondern wischte die Hand des Mannes beiseite.

Biathlon-WM: Christoph Stephan gehört zu den Hoffnungsträgern der deutschen Mannschaft.

Christoph Stephan gehört zu den Hoffnungsträgern der deutschen Mannschaft.

(Foto: Foto: AP)

Es sei nicht so gemeint gewesen, er wolle sich nicht wichtig machen, sagte er später, "nur, in diesen Sekunden der Erschöpfung, da will ich einfach in Ruhe gelassen werden". Stephan befindet sich nach dem Rennen fast immer in so einem extremen Zustand, seine Haut glänzt, der Mund ist aufgerissen, die Mütze sitzt schief auf den verschwitzten Haaren - so hat man ihn als neue Weltcuphoffnung der deutschen Biathlonmannschaft in diesem Winter im Ziel ankommen gesehen. Normalerweise liegt er dann aber auch friedlich im Schnee, denn Stephans Unerbittlichkeit richtet sich nicht gegen Streckenwächter, Betreuer oder Zuschauer, sondern allein gegen Christoph Stephan.

23 Jahre ist er alt, er gilt in vielen Teilbereichen der Skijagd als Talent, es ist aber vor allem seine Fähigkeit, sich selber zu quälen, die ihn schneller als andere aus dem Lager der Begabten an den Rand der Weltspitze geführt hat. Das Erscheinungsbild der deutschen Mannschaft hatte zuletzt er geprägt. Präsent sind noch die Bilder von Stephans Massenstartsieg in Antholz, wo er auf der Schlussrunde erst die Norweger Svendsen und Björndalen sowie den Österreicher Sumann hinter sich gelassen hatte und auf der Ziellinie den Österreicher Landertinger noch mit der Schuhspitze abfing.

Bei der Weltmeisterschaft in Südkorea ist Stephan nun gleich in den ersten Rennen dabei, am Samstag im Sprint und am Sonntag in der Verfolgung. Aus dem sechsköpfigen WM-Aufgebot hat Trainer Frank Ullrich zudem Michael Greis, Alexander Wolf und Michael Rösch nominiert, im Einzel am Dienstag soll dann Andreas Birnbacher für Stephan laufen.

Bei den Frauen treten in Sprint und Verfolgung Kati Wilhelm, Andrea Henkel, Martina Glagow, Simone Hauswald an, sowie Magdalena Neuner, die ihre kapitale Fehlschussserie von Antholz offenbar wieder überwunden hat. "Wir haben sie in Ruhe gelassen", sagt Trainer Uwe Müssiggang, "sie kann sich ja selber helfen." In seiner Mannschaft sorgen Wilhelm und Neuner für spektakuläre Entscheidungen auf der letzten Runde, bei den Männern schaffen das je nach Form Greis, Rösch und Wolf, und nun ist noch Stephan hinzugekommen, dessen Stil noch etwas verwegener ist.

Dass er in Südkorea startet, verdankt er verschiedenen Einflüssen, am Anfang standen aber der Wintersportverein in Rudolstadt und der Trainer Klaus Feyser. Der glaubte an Stephans Wintersporttalent, auch wenn es in Rudolstadt, wie Stephan sagt, "im Prinzip keinen Wintersport gibt". Mit 13 wurde ihm das einsame Langlaufen zu langweilig, er wechselte zu den Biathleten aufs Sportgymnasium Oberhof, wurde ostthüringischer Meister, thüringischer Meister und Juniorenweltmeister und trainierte irgendwann in einer Gruppe mit Alexander Wolf und Michael Rösch.

Das Training zu dritt wirkte motivierend, von Natur aus, glaubt Ullrich, "brachte er aber die Fähigkeit mit, über seinen Schatten zu springen". In der Loipe von Pyeong Chang muss sich Christoph Stephan dennoch umstellen. "Der Sieg von Antholz gelang ja auch, weil ihm die Strecke entgegenkam", sagt Ullrich. Dort konnte Stephan in gleichmäßigem Tempo seine Bahn ziehen. Auf der ein Jahr alten und teils unberechenbaren Trasse von Pyeong Chang gibt es dagegen Steigungen, die den Biathleten sämtliche Lauftechniken und eine kluge Krafteinteilung abverlangen. Ullrich sagt, unerfahrenere Läufer seien hier etwas im Nachteil.

Stephans Aufgabe wird es sein, das Draufgängertum, das ihn nach oben brachte, rechtzeitig zu zügeln. In der Welt der Erwachsenen halten schnelle Junioren meist nur mit, wenn sie irgendwann ihren Kopf einsetzen, sich nicht zu früh verausgaben und sich keine überflüssigen Wettkampfpausen wegen Krankheiten oder Verletzungen einfangen. Insofern brachte dieser Winter schon eine erste Erfahrung. Stephan dürfte sich darüber im Klaren sein, auch wenn der Knochen wieder zusammengewachsen ist und die Schmerzen des Nasenbeinbruchs verklungen sind, den er sich über Weihnachten beim Fußballspielen zugezogen hat.

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