Biathlon-WM:Dahlmeier begibt sich auf einen schmalen Grat

Biathlon - Laura Dahlmeier in der Saison 2018/19

Laura Dahlmeiers Körper verlangt häufiger nach Pausen.

(Foto: dpa)
  • Die Erfolgs-Biathletin Laura Dahlmeier hat die schwierigsten zwölf Monate ihrer Karriere hinter sich.
  • Noch Ende September habe sie für eine Woche im Krankenhaus gelegen und nicht aufstehen können, berichtet sie über die schwere Zeit.
  • Bei der WM in Östersund steht sie vor einer grundlegenden Frage: Wie viel kann sie ihrem Körper noch zumuten?

Von Saskia Aleythe, Östersund

Das Spiel mit den eigenen Grenzen - es hat eigentlich noch nie zu Laura Dahlmeier gepasst. Zu dieser Frau, die immer wieder vom Bergsteigen erzählte: Wie sie sich an Sechstausendern in Nepal neue Kraft holt, wie sie dadurch gelernt hat, auch am Schießstand im Biathlon die Nerven zu behalten. Weil jeder Fehler am Berg tödlich enden könnte, was so einen falsch platzierten Schuss in ihrem Sport schnell belanglos erscheinen lässt. Und vielleicht dachte Dahlmeier dann: Wer einen Berg bezwingen kann, der schafft das auch mit dem eigenen Körper.

Der Leistungssport ist eine verzwickte Sache: Verausgaben gehört zum Alltag, immer weiter, immer mehr, immer schneller. Ohne ihre Fähigkeit zum sich Quälen wäre Dahlmeier nicht zur Doppel-Olympiasiegerin geworden, nicht zur siebenmaligen Weltmeisterin. Doch was sie sich selbst dafür geraubt hat, ist nicht einfach durch ein bisschen Füße hochlegen zurückzuholen. "Ich muss die Pausen annehmen, die mir mein Körper vorgibt", sagt die 25-Jährige.

Und der nimmt keine Rücksicht mehr auf Saisonhöhepunkte: Zum Auftakt der Weltmeisterschaft in Östersund erkältete sich Dahlmeier, wurde am Donnerstag aus der Mixed-Staffel genommen, die dann Silber gewann. Es soll eine Vorsichtsmaßnahme vor dem bevorstehenden Sprint am Freitag sein und das, was in den kommenden zehn Tagen noch folgt: Der Name Dahlmeier bringt mit fünf Gold- und einer Silbermedaille von der WM 2017 eine riesige Erfolgsstory mit sich. Hinter der Sportlerin Dahlmeier liegen allerdings die schwierigsten zwölf Monate ihrer Karriere.

Hochfilzen, das waren die Dahlmeier-Festspiele

Was waren das für Bilder, damals, in Hochfilzen: Fast ikonisch, wie die 23 Jahre alte Version von Dahlmeier ihre Medaillen in die Kamera hielt, untereinander aufgereiht, daneben ihr breites Lächeln, dahinter die glitzernden Berge. Gold in der Verfolgung, im Massenstart, im Einzel, mit der Staffel und im Mixed-Ensemble. Nur im Sprint belegte sie Rang zwei, es ist die letzte Gold-Medaille, die ihr noch fehlt. Hochfilzen, das waren die Dahlmeier-Festspiele. Am Ruhetag ging sie zum Paragliding in die Tiroler Alpen. Eine Auszeit in den Lüften, fernab vom Rummel auf Erden. Doch schon damals kamen Sorgen auf, als sie nach zwei Rennen Schwächeanfälle ereilten. Ihr Opa sage immer, sie sei ein "zaches Luder", berichtete Dahlmeier dann, passt scho. Wer viel gewinnen will, muss viel geben. Und gewollt hat sie das immer. Wobei - an diesem Punkt begann das schwierige Jahr.

Es war der Punkt, als sie dann Olympiasiegerin war, in Pyeongchang in Südkorea Gold in Sprint und Verfolgung gewann, Bronze im Einzel. Als Gerald Hönig, im Februar 2018 noch Bundestrainer der Frauen, über Dahlmeier sagte: "Was Laura hier an Biathlon in Perfektion zeigt, habe ich in der Art und Weise noch nicht gesehen." Als ihr Kindheitstraum erfüllt war. Und Dahlmeier dann in ihre Heimat nach Garmisch-Partenkirchen zurückkam und feststellen musste: Da war erst mal nichts mehr, was sie noch wollte. Eine große Leere. "Auf einmal hatte ich alle Ziele erreicht. Da habe ich mir schon die Frage gestellt: Was kommt jetzt?", sagt Dahlmeier vor Saisonstart der ARD, ein Filmteam hatte sie wieder begleitet in die Berge: Dieses Mal bei einer Gratwanderung zur Zugspitze hinauf.

"Es ist nach wie vor so, dass nicht jeder Tag gut ist"

Dahlmeier musste in sich hineinhorchen wie nie zuvor, sie fand noch Begeisterung für Biathlon, trotz aller erfüllter Träume. Doch nach all den Jahren, in dem der Kopf dem Körper diktiert hatte, was er leisten muss, erfolgte nun die Machtübernahme in entgegengesetzter Richtung. Natürlich kann man das auch als Kette unglücklicher Umstände begreifen: Dass sie sich beim Mountainbiken verletzte und sich die Schnittwunde entzündete - dumm gelaufen! Dass die Weisheitszahn-OP nicht so reibungslos verlief wie geplant - kommt vor! Aber es häuften sich eben auch die Infekte, die Ärzte berichteten von einem "ziemlich geschwächten Immunsystem". Vom ganzen Ausmaß erfuhr man erst Mitte Dezember in Nove Mesto, wo sie nach all dem Auskurieren und fünf verpassten Rennen auch in die Saison einstieg. "Ende September habe ich im Krankenhaus gelegen für eine Woche und habe nicht aufstehen können", sagte sie nach ihrem zweiten Platz im Sprint, "ich habe nicht spazieren gehen können, ich habe mir nicht vorstellen können, jemals wieder Leistungssport zu machen, geschweige denn auf ein Podium zu kommen bei einem Weltcuprennen." Das war ihr dann ja trotz aller Zweifel und Probleme auf beeindruckende Weise gelungen. "Dahlmeier ist wieder ganz die Alte", lief da schon über die Nachrichtenticker, aber das ist ja die Frage: Geht das überhaupt, nach diesem schwierigen Jahr - die alte Dahlmeier sein?

Von bisher 19 Saisonrennen hat sie nur acht absolviert, immer wieder gezielt Pausen gemacht, und es lief auch nicht jedes Rennen wie geplant: Beim Massenstart in Ruhpolding schoss sie gleich sechs Mal daneben und landete auf dem 30. Platz. Eine ungewöhnliche Erfahrung. Den Sprint in Antholz Ende Januar beendete sie als Zweite, war dann aber so erschöpft, dass sie von Betreuern gestützt werden musste, um es in die Umkleidekabine zu schaffen. "Die letzten Meter waren brutal, ich bin gewankt wie ein Besoffener", sagte Dahlmeier. Ihr sei "eben plötzlich der Kreislauf zusammengesackt. Aber das war nicht gefährlich, hier sind ja überall Ärzte." Zwei Tage später gewann sie die Verfolgung. Sie kenne ihre Grenzen ganz genau, haben die Trainer immer gesagt. Nur: Der Grat zwischen Grenzen austesten und mit ihnen spielen, ist schmal.

"Es ist nach wie vor so, dass nicht jeder Tag gut ist", sagte Dahlmeier nun in Östersund, nachdem ein "ständiges Auf und Ab, viele Höhen und Tiefen" ihre letzten Monate geprägt hatten. Man müsse situativ reagieren, immer gucken, was der Körper zulässt. Der Kopf hatte ja eigentlich unter anderen Voraussetzungen noch einmal Ja zum Biathlon gesagt, damals, nach Olympia. Vielleicht ist es dann auch gut, nicht wieder die Alte zu werden: sondern die, die aus den Grenzerfahrungen gelernt hat.

Zur SZ-Startseite
IBU Biathlon World Cup - Women's Sprint

SZ PlusBiathlon
:Hustensaft reicht nicht

Laura Dahlmeier war immer voll und ganz aufs Siegen fokussiert. Im vergangenen Jahr begann ihr Körper aber zu streiken. Nun muss sie lernen, Geduld mit ihm zu haben.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: