Süddeutsche Zeitung

Single-Mixed-Staffel:Erst zweite Liga, dann WM-Silber

  • Im Sommer stürzte Erik Lesser beim Mountainbiken und brach sich das Schlüsselbein.
  • Seitdem kämpft er um den Anschluss, musste im zweitklassigen IBU-Cup starten.
  • Nun gewinnt er mit Franziska Preuß Silber in der Single-Mixed-Staffel.

Von Saskia Aleythe, Antholz

Ein kurzer Schulterblick, dann war das Glück schon vollkommen bei Erik Lesser. Emilien Jacquelin aus Frankreich konnte ihn nicht mehr einholen, die Silber-Medaille in der Single-Mixed-Staffel war ihm und Franziska Preuß sicher, also stieß er schon mal einen Jubelschrei aus und reckte die Faust vor der Zuschauertribüne in die Höhe. Es war WM-Silber für den Nachrücker: Erst am Sonntag war Lesser zum Team gestoßen, es war sein erster WM-Start in Antholz überhaupt.

"Ich bin unfassbar glücklich, dass ich mich nach meiner unfassbar beschissenen Saison so präsentieren konnte", sagte Lesser in der ARD, Franziska Preuß fand es "cool, dass es heute so hingehauen hat". Norwegen holte sich mit 17.6 Sekunden Vorsprung überlegen Gold (sechs Nachlader), Frankreich hatte mit vier Nachladern (+29,8 Sekunden) einen weniger als das deutsche Duo. "Das haben sie richtig gut gemacht", sagte Bundestrainer Mark Kirchner, es war nach Verfolgungs-Silber für Denise Herrmann und Einzel-Silber für Vanessa Hinz die dritte Medaille für die Deutschen in Antholz. Und mit Lesser und Preuß jubelten zwei, deren Saison alles andere als perfekt verlaufen war.

Nach einem Unfall mit dem Mountain Bike im Sommer fiel Lesser im Training weit zurück, vor allem das Laufen bereitete ihm Probleme, weil das Abdrücken mit den Stöcken nach seinem Schlüsselbeinbruch über längere Distanzen immer wieder zur Tortur wurde. Die ersten Einzelrennen der Saison beendete er auf Rang 33, 72, 70 und 82, wurde danach aus dem Weltcup-Team genommen und musste sich IBU-Cup beweisen, der Zweiten Liga im Biathlon. Es sei darum gegangen, "nicht auf den Skiern das Parkticket zu ziehen", wie Lesser es nennt, also wieder besser von der Stelle zu kommen und sich ein gutes Gefühl für ein mögliches Weltcup-Comeback zu holen.

Das gab er dann in Pokljuka Ende Januar, die Resultate diesmal: 20. im Einzel, 14. im Massenstart. Für die Einzelrennen bei der WM reichte das nicht, aber Hoffnungen auf die Single-Mixed-Staffel gaben ihm die Trainer schon damals. "Ich wusste, das ganze Team glaubt an mich", sagte Lesser nun nach der geglückten Medaille, "gerade nach meiner Saison ist es ein extrem geiles Gefühl, ich hoffe, ich kann das jetzt genießen".

"Franzis Stehendschießen war heute der Schlüssel"

2015 wurde Lesser selber Weltmeister in der Verfolgung, als Jacquelin am vergangenen Sonntag in Antholz zu Gold lief, musste er selber im 170 Kilometer entfernten Martell im IBU-Cup ran, wurde dort Zweiter in der Verfolgung. Eine Medaille gab es da freilich keine, umso hungriger startete Lesser nun in Antholz. Zusammen mit Franziska Preuß hatte er schon die anderen beiden Single-Mixed-Staffeln in dieser Saison bestritten; beim letzten Auftritt in Pokljuka kämpfte Preuß noch am Schießstand, sie alleine hatte damals fünf Ersatzpatronen in Anspruch nehmen müssen, am Ende stand ein Elfter Platz. Umso besser lief es diesmal, Lesser sagte: "Franzis Stehendschießen war heute der Schlüssel zum Erfolg."

Auch Preuß hatte immer wieder Enttäuschungen in den letzten Monaten erlebt, zuletzt kostete ihr ein Infekt über den Jahreswechsel Nerven und Energie, die Laufzeiten passten einfach nicht mehr. Umso besser hatte sie sich nun schon in den vergangenen Tagen in Antholz präsentiert, kein Rennen schlechter als auf Rang acht beendet. "Ich bin sehr erleichtert heute. Ich war in den Einzelrennen immer ganz nah dran", sagte sie später, sie hatte schon bei den Trockenübungen mit der Waffe am Morgen gemerkt, dass heute ihr Tag ist. Bei vier Besuchen am Schießstand brauchte sie nur zwei Nachlader, Stehend sogar nur einen. "Ich habe gemerkt, ich kann heute richtig draufdrücken, ohne dass es eine große Wackelpartie wird", sagte Preuß, "es war heute ein sehr perfektes Rennen. Es ist cool, wenn das auch mal mit einer Medaille belohnt wird."

Gemeinsam mit Johannes Thingnes Bö und Sebastian Samuelsson aus Schweden kam Erik Lesser schließlich zum letzten Mal zum Schießstand. Der Norweger blieb ohne Fehler, Lesser brauchte für die letzte Scheibe seinen insgesamt dritten Nachlader und musste Bö davonziehen lassen. Hinter Lesser hatte sich Jacquelin für Frankreich nach vorne gekämpft, verlor allerdings einen Stock am Schießstand und hatte so eine turbulente Schlussrunde. "Ich habe sogar die Chance gehabt, den großen Johannes Thingnes Bö ein bisschen zu ärgern", sagte Lesser später, "das gibt mir so ein bisschen Genugtuung und so ein bisschen Auftrieb für die nächste Saison."

Bis Samstag will er noch in Antholz bleiben, für die Staffel war er bis zu diesem Rennen nicht eingeplant gewesen. Dann geht es für Lesser zur EM nach Minsk, dem Saison-Höhepunkt der IBU-Cup-Athleten. Mit WM-Silber im Gepäck.

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SZ vom 21.02.2020/schm
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