Biathlon-Weltcup in Antholz:Einmal zu den Sternen

Biathlon-Weltcup in Antholz: Erste vor Laura Dahlmeier und Gabriela Koukalova: Nadine Horchler.

Erste vor Laura Dahlmeier und Gabriela Koukalova: Nadine Horchler.

(Foto: Andrea Solero/AP)

Nadine Horchler hatte es bisher nie unter die Besten geschafft. Nun gewann die 30-Jährige den Massenstart in Antholz und fährt in zwei Wochen zur WM.

Von Max Ferstl, Antholz/München

Laura Dahlmeier neigt nicht zur Selbstverliebtheit. Sie zählt zu jenen Sportlerinnen, die in ihrer Freizeit eher irgendwo in der Natur verschwinden als in einem Foto-Studio. Dass sie beim Biathlon in Antholz plötzlich eine der narzisstischsten Gesten des Sports zeigte, Rekord-Sprinter Usain Bolts Sterndeuter-Pose nämlich, musste also einen anderen Grund haben: Ihr Zeigefinger wies nicht zum Himmel, sondern auf Nadine Horchler. "Weil ich allen zeigen wollte, dass sie heute die Nummer eins ist", erklärte sie. Dahlmeier wäre es am Samstag wohl selber gewesen, wäre Nadine Horchler nicht das Rennen ihres Lebens gelaufen.

Sie hatte den Massenstart gewonnen, was aus verschiedenen Gründen eine Biathlon-Märchengeschichte war. Horchler ist schon 30 Jahre alt, und es war ihr erster Sieg im Weltcup. Als sie im Dezember noch im zweitklassigen IBU-Cup unterwegs war, da hätte kaum einer gedacht, dass sie es noch mal ins Weltcup-Team schafft. Als sie dann in Antholz zum Einzelrennen antreten durfte, da war es mehr als unwahrscheinlich, dass Horchler es in den Massenstart schafft. Dann rutschte sie als 30. gerade noch in das Teilnehmerfeld, und als sie hinter der Gesamtweltcupzweiten Gabriela Koukalova auf die Schlussrunde ging, glaubte wieder keiner, dass sie mithalten würde. Sie widerlegte auch dies, und so ist auch die Schlusspointe des Märchens perfekt. Nadine Horchler fährt in zweieinhalb Wochen zur WM nach Hochfilzen.

In Antholz war sie mit allen Qualitäten einer Topläuferin aufgetreten. Sie hatte alle 20 Scheiben getroffen, auf der Schlussrunde noch genügend Kraft, und sie hängte Koukalova rund 400 Meter vor dem Ziel ab. Auch Dahlmeier, die Dritte, kam nicht mehr an sie heran. "Das Stadion hat gebebt, ich habe meinen Herzschlag nicht mehr gespürt", sagte Horchler vor den Kameras, die plötzlich sie zeigten. Die Frage war, warum nicht schon die Jahre zuvor?

Wenn Horchler in der Vergangenheit ins Ziel trudelte, gaben die Besten oft bereits Interviews. Sie gilt zwar als sichere Schützin, doch in der Loipe konnte sie fast nie mit den Schnellsten mithalten. Oft sind auch durchschnittlich begabte Läuferinnen flotter. Deshalb hat Horchler bisher vor allem als Pendlerin Karriere gemacht, die im IBU-Cup, der zweiten Liga im Biathlon, zwar regelmäßig mit guten Leistungen auffiel, sich aber im Weltcup nie durchsetzen konnte, wenn sie ihre Chance bekam. Horchler wurde zwischen Weltcup und IBU-Cup hin und her geschoben. Sie selbst haderte, ihre Trainer zweifelten.

Vor drei Jahren ließ der damalige Bundestrainer Uwe Müssiggang beim Weltcup in Pokljuka lieber einen Startplatz unbesetzt, als Horchler zu nominieren. Die machte ihrem Ärger via Facebook Luft, entwickelte aber auch Trotz. Sie trainierte hart, bis die Ärzte ein Übertraining feststellten. In der Pause quälte sie sich mit Fragen nach der Zukunft, doch im Nachhinein half ihr die Zeit, um sich zu finden. 2015 beendete sie ihre Ausbildung zur Heilpraktikerin für Psychotherapie - und erkannte das Sportlerdasein als Privileg. Egal wo, sie wollte es "einfach nur genießen".

Vergangenen Februar gewann sie EM-Gold im Sprint, in der zweiten Biathlon-Liga, Schwester Karolin, 27, wurde Zweite, und auch danach erzielten die Horchler-Schwestern eine Etage tiefer gute Ergebnisse. Weil Dahlmeier eine Ruhepause einlegte und Franziska Preuß kränkelte, rückten sie in Oberhof nun doch ins Weltcup-Team. Die Schwestern sollten den Druck auf die Etablierten erhöhen, allen voran auf die schießschwache Miriam Gössner.

Die Bedingungen im 1600 Meter hoch gelegenen Antholz liegen Hochler, sie hatte hier ihre bislang besten Weltcupresultate erzielt. Und ins Massenstart-Rennen rutschte Horchler auch deshalb, weil manche Konkurrentinnen pausierten. "Ich habe eigentlich gar nicht mehr damit gerechnet, dass ich mitlaufen darf", sagte Horchler. Sie hat das beste draus gemacht diesmal, an ihrer Leistung blieb nichts auszusetzen. Offen bleibt nur die Frage, ob dieser Sieg wieder nur eine Ausnahme bleibt in Nadine Horchlers ungewöhnlicher Laufbahn, oder ob sie in den letzten Jahren ihrer Karriere daran anknüpfen kann.

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