Coronavirus im Sport:Letzte Bastion Biathlon

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Kaisa Mäkäräinen: Wackelig am Schießstand, stark in der Loipe - und nun beginnt das Leben nach dem Sport (Foto: Jussi Nukari/dpa)
  • Während die Sportwelt in Europa und den USA wegen des Coronavirus schon nahezu vollständig zum Erliegen gekommen ist, werden in Kontiolahti in Finnland noch Trefferbilder analysiert und Laufzeiten durchgegeben.
  • Dorothea Wierer gewinnt vor Geisterkulisse den Gesamtweltcup, "es ist schwer, an Sport zu denken", sagt die Athletin aus Südtirol.

Von Saskia Aleythe

Julia Simon ließ sich den Spaß nicht nehmen: Als die 23-Jährige zum ersten Mal in ihrem Leben in Führung liegend auf die Schlussgerade einbog, schnappte sie sich noch schnell die französische Flagge. Sie schwenkte sie, als würde um sie herum die Tribüne voll heiterer Fans toben, als würden neben ihr die Menschen die Smartphones zücken und Fotos von der Siegerin in der Verfolgung schießen. Doch neben ihr, da pfiff nur der Wind durch die blanken Stahlgerüste, Reihe für Reihe für Reihe.

Im Ziel klatschten Trainer und Betreuer für Simon, man war jetzt mal ganz unter sich. Während der Rest der Sportwelt wegen des Coronavirus schon nahezu zum Erliegen gekommen war, wurden im finnischen Kontiolahti noch Trefferbilder analysiert und Laufzeiten durchgegeben. "Die Botschaft, die wir nach außen senden - da bin ich nicht sicher, ob das die richtige ist", hatte der deutsche Frauen-Disziplintrainer Florian Steirer am Freitag der ARD gesagt.

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Der Biathlon-Weltverband hatte in den vergangenen Tagen immer wieder beraten; Clare Egan - Vorsitzende der Athletenkommission - bestätigte, dass die Athleten am Freitag mehrheitlich zusammen mit den Trainern für den Beschluss des Weltverbandes gestimmt hatten: Mit den Verfolgungsrennen am Samstag sollte die Saison enden, Mixed-Staffel am Sonntag und Saisonfinale in Oslo entfallen. Einzelne Nationen traten aber schon nach den Sprints am Freitag auf Empfehlung der Heimat-Ministerien die Rückreise an.

So laut wie in Kontiolahti hatte man den Wind bei Biathlon-Rennen bisher selten hören können, so ein Zuschauerausschluss bringt dann auch ganz neue Wahrnehmungen hervor. Da wirkte es gleich erklärbarer, dass Franziska Preuß und Denise Herrmann nun in der Verfolgung beim dritten Durchgang am Schießstand jeweils vier Scheiben stehen ließen. Im Sprint hatte sich Herrmann noch den Sieg vor Preuß gesichert, nun reichte es zu Rang 16 und neun, Vanessa Hinz wurde 23., Karolin Horchler landete auf Rang 26. Aber die Gefühle, mit denen sie ihr Weltcup-Finale bestritten, waren gemischt. "Vanessa und ich hören viel Radio, da kriegt man daheim den Ausnahmezustand mit", sagte Preuß, "ehrlich gesagt bin ich froh, wenn wir alle wieder einfach zu Hause sind."

Für die deutschen Biathletinnen hat sich dieser Winter nach einem historisch schlechten Start sportlich noch zu einem echten Erfolg entwickelt, Herrmann sprang in der Gesamtwertung noch auf Rang drei und gewann zudem die kleine Kristallkugel für die Sprintwertung. "Es ist richtig schön, dass wir die Saison so beenden können", sagte die 30-Jährige; Preuß schaffte nach Rang drei im Massenstart in Nove Mesto mit dem zweiten Platz in Kontiolahti ihre besten Saisonergebnisse. Und das in abgesperrten Stadien, sie sind ja doch ganz anderes gewohnt.

Noch vor drei Wochen bei der Weltmeisterschaft in Antholz in Südtirol tobten über 10.000 Menschen allein auf der Tribüne am Schießstand, wenn die Athleten in Sichtweite waren. Ministerpräsident Guiseppe Conte hatte sich für das zweite Wochenende zum Zuschauen angekündigt, er musste absagen: Als die Lokalmatadorin Dorothea Wierer ihre vierte Medaille gewann, erklärte er schon erste Regionen zu Schutzzonen. Von der WM brachten einige Zuschauer das Virus mit nach Hause, die Athleten zogen weiter nach Nove Mesto in Tschechien, wo erstmals vor Geisterkulisse gelaufen wurde. Und nun also Kontiolahti, wo die finnischen Behörden Veranstaltungen mit über 500 Personen untersagten.

Vor den Zäunen versammelten sich trotzdem vereinzelt Fans, man hörte Tröten und auch eifrige "Kaisa, Kaisa"-Rufe - nach Martin Fourcade beendete auch Finnlands Kaisa Mäkäräinen am Samstag ihre große Karriere. Drei Mal Gesamtsiegerin, nun ein vierter Platz zum Abschluss, im Ziel kullerten ein Dutzend Tränen für jedes ihrer 37 Lebensjahre.

Und die größte Geschichte von allen boten Tiril Eckhoff aus Norwegen und Dorothea Wierer: Wie Eckhoff bei der letzten Schießeinlage der Verfolgung mit drei Fehlern die große Kristallkugel aus den Händen verlor, am Ende reichte Italiens Wierer ein elfter Platz, um den Titel im Gesamtweltcup zu verteidigen. Sie hatte eigentlich längst andere Sorgen, auf der Homepage des italienischen Skiverbandes tauchte deutliche Kritik von ihr auf, ihre Meinung schlug sich in der Entscheidung des Athletenkommitees anscheinend nicht wieder: "Das Verhalten der IBU macht mich betroffen. Es wurde entschieden, dass wir weiterhin Wettkämpfe bestreiten müssen, und das obwohl die gesamte Sportwelt stillsteht." Die meiste Zeit des Tages verbringe sie damit, die Lage in Italien zu verfolgen, "es ist schwer, an Sport zu denken".

Als der Sport endlich vorbei war, hüpfte sie als Beste des Winters noch einmal aufs Podium und winkte den Betreuern und Kollegen ironisch, schwang sogar ein imaginäres Lasso, die Kameras laufen ja trotzdem. Galgenhumor vor Geisterkulisse, den hatte auch Vanessa Hinz: Einen Umtrunk werde es im Team schon noch geben zum Abschied, "man soll ja desinfizieren, das werden wir heute von innen heraus machen."

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