Biathlon:Unsicher im Wohnzimmer

Biathlon: Mit Kusshand in die letzte Runde: Die Norwegerin Tiril Eckhoff macht sich auf zum sicheren Sieg.

Mit Kusshand in die letzte Runde: Die Norwegerin Tiril Eckhoff macht sich auf zum sicheren Sieg.

(Foto: Christof Stache/AFP)

Die Deutschen sind auch zuhause weit von der Weltspitze entfernt.

Von Volker Kreisl, Ruhpolding/München

Irgendjemand hat das Dach geöffnet, auf einmal fing es an zu schneien im Wohnzimmer. Wind wehte herein und dann trieben auch noch dicke Schneeflocken quer durch den Raum. Nach drei Sonnentagen wurde es plötzlich unübersichtlich, weshalb auch die deutschen Biathleten in Schwierigkeiten gerieten und ihre Heimvorteile verloren, in der Chiemgau-Arena, dem Ruhpoldinger Biathlonstadion, das sie auch "unser Wohnzimmer" nennen.

Die Hälfte des Männerteams und die Mehrheit der Frauenmannschaft wohnt und trainiert hier, aber rund vier Wochen vor Beginn der Weltmeisterschaft in Antholz in Südtirol haben sich die Schießleistungen noch kaum stabilisiert. Der Abstand zu den Besten ist deutlich, und die Allerbesten wirken unerreichbar. Die norwegische Verfolgungssiegerin Tiril Eckhoff führte auf der Schlussrunde mit 46 Sekunden Vorsprung. Ähnlich einsam steuerte Martin Fourcade, elfmaliger Weltmeister aus Frankreich, seinem 77. Einzel-Weltcupsieg entgegen. Beide führen mit großem Vorsprung im Gesamtweltcup.

Im Plan lagen bei den Deutschen am Schießstand nur Franziska Preuß (Haag), Benedikt Doll und Arnd Peiffer (Clausthal-Zellerfeld) mit über 90 Prozent Treffern. Benedikt Doll (Breitnau) vervollständigte diese Leistung in der Spur und trug als Dritter im Sprint den einzigen Podestplatz für den DSV in diesen Tagen bei. Im Verfolgungsrennen am Sonntag war er bester Deutscher als Fünfter.

Denise Herrmann wurde zwar Siebte, hätte aber dank ihrer Laufstärke auch das Podest erreichen können. Auch sie kennt seit ihrem Umstieg vom Langlauf und dem Zuzug vor vier Jahren diesen Ruhpoldinger Schießstand - die Anfahrt, den Wind- und die Sichtverhältnisse - aus dem Effeff. Doch ihre seit Saisonbeginn nur durchschnittlichen Schießergebnisse wurden auch diesmal nicht besser. Dabei deuteten die Tage von Ruhpolding zwischendurch immer wieder an, dass die DSV-Läufer allmählich mehr Sicherheit am Abzug bekommen, doch dann verschossen sie doch wieder alle Chancen auf einen Podestplatz.

Etwa bei den Männern, als der Nesselwanger Weltcup-Neuling Philipp Nawrath, der zunächst als Siebter im Sprint überraschte, in der Staffel aber plötzlich sechs Nachlader benötigte. Das kostete das Team allein zirka 60 Sekunden - also fast die Hälfte des Gesamtrückstandes der Deutschen im Ziel auf Platz eins. Und Herrmann schoss zwar in der Frauenstaffel vorzüglich, nämlich fehlerfrei, bremste sich aber in der Verfolgung bei ihrer Aufholjagd wieder selber aus. Nach ihren Schießfehlern im Sprint war sie von Platz 19 gestartet, lag im Schneetreiben bald unter den Top Ten - und im Stehend-Schießen zweimal daneben. Beim vierten und letzten Stopp auf der Schussmatte, als Siegerin Eckhoff lächelnd Richtung Ziel skatete, als nichts mehr zu gewinnen war, blieb Herrmann wieder tadellos.

Ähnliche Schwankungen erleben viele andere im deutschen Biathlonteam 2020, auch Vanessa Hinz (Schliersee) schießt mal brillant, mal verunsichert. Die Staffel warf sie in Führung liegend mit zwei Strafrunden weit zurück, und sich selber dann auch im letzten Schießen der Verfolgung: drei Fehler, Platz 21. Und immer noch sind nur drei Frauen nach DSV-interner Norm für die Weltmeisterschaft ab 12. Februar qualifiziert: Herrmann, Preuß und Hinz. Karolin Horchler (zwei Schießfehler) und Maren Hammerschmidt (drei) wurden im Verfolgungsrennen 17. und 28., Bundestrainer Kristian Mehringer stellte jedoch klar, dass man ausnahmsweise nachnominieren werde: "Natürlich werden wir in Antholz auch eine Frauen-Staffel aufstellen."

Die tiefste Formkrise hat ohnehin derzeit Simon Schempp, der Weltmeister von 2017 kommt nicht in die Gänge und wird nicht für die WM nominiert. Für das Team, das dort antritt, sind die Aussichten doch nicht so schlecht. Ruhpolding war schon öfter eine deutsche Enttäuschung, etwa bei der WM 2012. Umgekehrt feierten viele DSV-Läufer in Antholz große Erfolge. Im eigenen Wohnzimmer fühlt man sich nicht immer am wohlsten.

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