Süddeutsche Zeitung

Biathlon ohne Zuschauer:Einsames Rennen durch den Wald

Denise Herrmann sprintet in Nove Mesto vor null Zuschauern zum Sieg, weil die Fans wegen des Coronavirus ausgesperrt bleiben - doch auch ohne Anfeuerungen entwickelt sich eine besondere Atmosphäre.

Von Volker Kreisl

Eigentlich, so kam es Denise Herrmann in den Sinn, ist sie immer noch eine Langläuferin: "Wahrscheinlich brauche ich die Ruhe um mich herum", sagte sie nach diesem Rennen in Nove Mesto, inmitten der von Wäldern, Hügeln und Feldern durchzogenen Landschaft Mährens. Das Gleiten durch einsame Fluren, nur den eigenen Atem, den Stockeinsatz und das Rutschen der Ski im Ohr, das Langlaufen also, so sagte sie lächelnd, "das bin ich ja gewohnt".

Seit 2016 ist sie nun aber Biathletin, und da geht es anders zu. Da werden die Aktiven mittlerweile auch in den abgelegenen Weltcups von Zuschauerschreien angepeitscht, und am Schießstand haben sie tausendfaches Jubeln oder Stöhnen im Ohr, je nachdem. Deshalb war es auch für Herrmann befremdlich, als sie ihren letzten von zehn Schuss bei diesem Biathlon-Sprint ins Schwarze setzte - "tock", machte die Scheibe - und dann nichts hinter sich hörte, nichts außer dem dünnen Jubel der Trainer. Aber das alles war kein Traum - Herrmann sprintete ins Ziel, zu ihrem sechsten Weltcupsieg, nur eben vor null Zuschauern. Bei den Männern kamen die deutschen Biathleten weniger gut mit der speziellen Atmosphäre zurecht. Keiner schaffte es beim Sieg des Norwegers Johannes Thingnes Bö unter die besten Zehn.

Die Entscheidung, diesen Biathlonweltcup wegen der zunehmenden Ausbreitung des Coronavirus als Geisterausgabe zu veranstalten, wurde als umsichtig gelobt, im Hintergrund dem Vernehmen nach aber teils nicht verstanden. Zweieinhalb Millionen Euro gehen den Veranstaltern verloren, erklärte Jiri Hamza, der Chef des Organisationskomitees, im ZDF, und die Hotels verzeichneten Einbußen, obwohl das Virus weit weg sei von den Menschen hier. Und doch sind Sportmanager eher die schlechteren Experten für diese Lage, in der es laut Medizinern gerade darum geht, die Ausbreitung zu verlangsamen, um Ressourcen zu bewahren und den wirklich Kranken weiterhin helfen zu können.

Herrmann hat noch Chancen auf eine kleine Kristallkugel

Ein Sport wie Biathlon, so stellte sich jedenfalls heraus, behält auch unter Laborbedingungen eine gewisse Spannung. Herrmann hatte zwar früh eine fast uneinholbare Zeit hingelegt, und doch kämpften hier weitere Konkurrentinnen um den Sieg, denn die Saison neigt sich dem Ende zu, und es geht um das letzte große Ziel: den Gesamtsieg, der spätestens in zwei Wochen in Oslo feststeht. Nun schossen trotz Ruhe einige zu oft daneben, zum Beispiel die führende Italienerin Dorothea Wierer. Zwischen Gesamtrang eins und drei liegen 89 Punkte bei sechs ausstehenden Rennen. Herrmann liegt als Vierte deutlich mit 105 Zählern zurück, sie hat aber als Zweite der Sprintwertung noch Chancen auf eine kleine Kristallkugel.

Doch auch beim Schlussweltcup am Holmenkollen in Oslo dürften die aktiven Biathleten dann wohl unter sich bleiben. Schon ab diesem Samstag treffen sich die klassischen Nordisch-Athleten in Oslo - Kombinierer, Langläufer und zum Auftakt der Raw-Air-Serie die Skispringer - jedoch wegen Corona ohne Zuschauer. Denn zum Holmenkollen fährt man per U-Bahn, und darin stehen die Fans dicht an dicht, was die Virenübertragung begünstigt.

Wie attraktiv ein Sport ist, wie glühend seine Fans ihm anhängen, lässt sich auch an den Vorsichtsmaßnahmen ablesen, wenn sie ausgesperrt werden. Norwegens Veranstalter appellieren vorab an sie, nicht illegal über Schleichwege durch den Wald an die Loipe zu rücken. Und die Kollegen in Tschechien errichteten vorsorglich rund ums Areal einen geschätzt zwei Meter hohen Bauzaun.

Bislang gab es keine Zaunkletterer bei Nacht und Nebel, was auch daran liegt, dass der Fan sein Erlebnis nicht sozusagen containern muss, wenn er es doch zu Hause auf der Couch bekommt. Biathlon ist eben beides: einerseits ein Kulissensport, in dem Athlet und Zuschauer zum Vorteil beider zusammenwirken (weshalb Herrmann noch mal klarstellte, dass sie die Zuschauer auch vermisste). Andererseits ist es auch der Fernsehsport des Winters geworden. Und da tritt der Fan mit Fahne und Plüsch-Schießscheiben auf dem Kopf eher in den Hintergrund. Wie der Schnee-, so lässt sich auch der Zuschauermangel durchaus ausblenden, ein skatender Läufer, ein anfeuernder Servicemann, ein sorgenvoll blickender Trainer am Fernglas, ein Zoom auf die Schießscheiben, das sind die Koordinaten dieses Sports.

Franziska Preuß, die als 13. zweitbeste Deutsche im Sprint wurde, erklärte spontan, ihr sei der Lärmmangel zunächst gar nicht so stark aufgefallen: "Es tut nach Antholz mal gut, in Ruhe sein Ding zu machen." Wäre das vielleicht das Modell der Zukunft, die Besten mal öfter ganz unter sich zu lassen? Sie den Wald spüren zu lassen, den Schnee zu riechen und sich ganz verausgaben zu lassen - aber dabei auch die Sinne zu schärfen? Wie wichtig das in einsamer, stiller Flur ist, das haben die Kameras in Nove Mesto auch gezeigt.

Mitten im Rennen, eine Läuferin befand sich gerade auf schneller Abfahrt, da huschte ein Schatten von links heran. Ein Reh war es, oder vielleicht auch ein junger Hirsch, er setzte durchs Gehölz und kreuzte, offenbar verschreckt, wenige Meter vor der Biathletin die Spur, galoppierte aber sogleich weiter, verschwand im Wäldchen gegenüber und schlüpfte mühelos durch ein Loch im Bauzaun zurück in die Freiheit.

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SZ vom 07.03.2020/tbr
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