Biathlon:Weg von Olympia, rein in den Krieg

Ukraine-Krieg: Biathlet Dmytro Pidrutschnji bei Instagram

In einem anderen Leben: Dmytro Pidrutschnji, ukrainischer Ex-Weltmeister im Biathlon, verkündet auf seinem Instagram-Account, dass er für sein Land im Krieg kämpft.

(Foto: Privat/dpa)

Der ukrainische Biathlet Dmytro Pidrutschnji war Weltmeister, startete auch bei den Spielen in Peking. Kaum zwei Wochen später verteidigt er sein Land und gibt denen ein Gesicht, die jetzt im Krieg kämpfen.

Von Saskia Aleythe, Hamburg

Ausschließlich beim Sport waren die Gedanken schon während Olympia nicht mehr. Man konnte das beobachten in der Biathlonarena von Zhangjiakou: Als die Sportler ihre Rennen bestritten, tauchten am Zieleinlauf mit zunehmender Dauer der Spiele immer mehr ukrainische Flaggen auf, offenbar geschwenkt und gewedelt von Teammitgliedern. Andere Flaggen hingen dort meistens nicht. Am 18. Februar, als die letzten Massenstarts über die Bühne gingen, rutschte auch Dmytro Pidrutschnji daran vorbei ins Ziel, er ist der beste Ukrainer im Weltcup. Jetzt, kaum zwei Wochen später, ist das alles schon lange her und Pidrutschnji in einem anderen Leben.

Für den Großteil der Biathleten geht die Saison in Kontiolahti in Finnland gerade in ihr letztes Drittel, für Pidrutschnji und viele Kollegen geht es daheim ums Überleben: Mit einem Foto auf Instagram hat der 30-Jährige jenen ein Gesicht gegeben, die ihr Land gerade gegen die russischen Invasoren verteidigen. Pidrutschnji trägt eine Uniform und einen Helm, er schrieb dazu: "Ich bin derzeit in meiner Heimatstadt Ternopil und diene in der Nationalgarde der Ukraine. Dieses Foto wurde während des Luftalarms aufgenommen." Darunter viele solidarische Kommentare, auch von denen, die gerade in Finnland ihrem Sport nachgehen können.

Biathlon: Sein vorerst letztes Rennen als Biathlet: Dmytro Pidrutschnji (links) beim olympischen Massenstart vor zwei Wochen in Zhangjiakou.

Sein vorerst letztes Rennen als Biathlet: Dmytro Pidrutschnji (links) beim olympischen Massenstart vor zwei Wochen in Zhangjiakou.

(Foto: Hannah McKay/Reuters)

Er helfe unter anderem dabei, Barrikaden zu errichten, teilte Pidrutschnji Journalisten des norwegischen Fernsehsenders NRK mit. Man kennt sich ja aus all den Jahren, als es noch um Treffer und Laufzeiten ging; oder um die Frage, wer sich mit dem Norweger Johannes Thingnes Bö auf der Strecke duelliert. 2019 war Pidrutschnjis Jahr, da wuchs er über sich hinaus und gewann WM-Gold in der Verfolgung von Östersund: ohne jemals vorher nach einem Einzelrennen auf dem Podium gestanden zu haben. Fünf Treffer beim letzten Schießen ebneten damals den Weg zum Titel. Pidrutschnji hockte dann noch fast eine Minute vornübergebeugt mit der Stirn im Schnee, mehr von Fassungslosigkeit gezeichnet als von Erschöpfung. Der Sport konnte mit ihm die Geschichte des unbedarften Überraschungssiegers erzählen. Die Geschichte, der sie alle nacheifern.

Bö konnte seine Enttäuschung damals kaum verbergen, er hatte mit Gold und nicht mit Silber geplant. Aber das alles ist längst unwichtig und sehr weit weg. "Dass er an der Front steht und sich um seine Stadt kümmert und sein Volk beschützen will, ist so stark", sagte Bö gegenüber NRK, "es ist so weit weg von der Welt, die wir kennen, und ich kämpfe damit, es in Worte zu fassen." Er selbst hat seine Saison nach vier Gold- und einer Bronzemedaille bei den Spielen in China vorzeitig beendet. Auch Erik Lesser, der am Donnerstag sein Karriereende für dieses Frühjahr ankündigte, äußerte sich, er sagte im ZDF: "In so einer Situation erst mal nach Hause zu reisen und dann die Olympiauniform gegen die Militäruniform zu tauschen, um dann Familie, Freunde und dein Land zu verteidigen - das will ich mir nicht ausmalen."

Die Norwegerinnen tragen beim Weltcup Friedensbotschaften auf dem Stirnband

Auch weitere Athleten der ukrainischen Mannschaft kämpfen gegen die russischen Truppen; bei den Frauen Julia Dschima, die 2014 Olympiagold mit der Staffel gewann. Zwei Wochen nach dem letzten Kräftemessen in Zhangjiakou ist nun alles anders als zuvor, das war auch bei der Wiederaufnahme der Weltcup-Rennen am Donnerstag sichtbar: Vor dem Startschuss liefen Bilder ukrainischer Sportler und Sportlerinnen über die Videoleinwand neben dem Schießstand, auch das von Yevhen Malyshev, der nach Angaben des Weltverbandes im Krieg gefallen ist. Der 19-Jährige hatte zuletzt keine internationalen Rennen bestritten, galt in seiner Jugend aber als großes Talent im ukrainischen Biathlon.

Viele Biathletinnen versuchten, mit gelb-blauen Herzen an der Kleidung oder den Waffen ihre Solidarität mit den Ukrainern auszudrücken. "No war please" hatte sich Tiril Eckhoff wie alle Norwegerinnen aufs Stirnband geschrieben, gut sichtbar für die Kameras. Und dann konnte man auch an Pidrutschnji denken, der schon vor seinem Foto in Uniform gepostet hatte: "Erzählt mir nicht, Sport und Politik hätten nichts miteinander zu tun. Sie haben miteinander zu tun, wenn Soldaten und Zivilisten in meinem Heimatland sterben, während du das hier liest." Die Teams aus Russland und Belarus haben vom Weltverband übrigens bis auf Weiteres ein Startverbot bekommen.

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