Süddeutsche Zeitung

Saison-Start in Schweden:Neue Wege im deutschen Biathlon

Den deutschen Biathleten droht im Olympiawinter nach den Rücktritten vieler Weltmeister eine erfolglose Saison. Helfen soll schon am Wochenende in Östersund ein Konkurrenzkampf zwischen Jung und Alt.

Von Volker Kreisl

Niemand wird wissen, wie sich das anfühlt. Wie schnell die Loipe ist, wie eng die Kurven sind, wie schlauchend die Anstiege. Denn der für Olympia sonst übliche Generalproben-Weltcup im Vorwinter ist wegen Corona ausgefallen, und wie alle anderen auch, wird die deutsche Mannschaft dann in Peking auf bislang unentdecktes Biathlonland treten.

Dabei ist dies nur eine von mehreren Ungewissheiten im deutschen Team. Vorzeitig hat dieses ein Generationswechsel erfasst. Drei der wichtigsten Figuren haben sich zurückgezogen, und der Sportliche Leiter im Skiverband, Bernd Eisenbichler, muss kurz ein bisschen jammern ("wer hätte gedacht, dass nach Laura Dahlmeier und Simon Schempp auch noch Arnd Peiffer aufhören muss!"), ehe er den schwierigen kommenden Winter näher betrachtet, der für die Ski-Zweikämpfer ab diesem Wochenende in Östersund/Schweden mit je zwei Einzelrennen und zwei Sprints beginnt.

Der Olympiawinter, das war auch in deutschen Biathlonteams immer die Zeit der Zäsur, der Team-Umbildung, es war die Stunde der Talente, somit des Risikos und des Mutes der Trainer - dies jedoch nach den Spielen und nicht, wie jetzt, kurz davor. Auf so einen Rückschlag kann man entweder defensiv oder offensiv reagieren. Die Verantwortlichen könnten die restlichen Erfahrenen einsetzen, ihnen absolutes Vertrauen schenken und die Jüngeren auf später vertrösten. Oder sie wählen die mutige Variante: die Mannschaft aufmischen.

Die Jüngeren sollen gelassen bleiben, sagt der Sportliche Leiter

Dafür hat sich der Führungszirkel um die Trainer und Eisenbichler entschieden. Die Lösung liegt eher in der Attacke als im Rückzug. "Positiver Druck ist das, was wir jetzt brauchen, vielleicht sogar etwas stärker als in den vergangenen Jahren." Fest eingeplant sind bei den Frauen die bisherigen Topläuferinnen Denise Herrmann und Franziska Preuß.

Drei andere Weltcup-Läuferinnen, darunter Franziska Hildebrand, starten dagegen im zweitklassigen IBU-Cup, an ihre Stelle rücken Jüngere wie Juliane Frühwirth, Janina Hettich oder Vanessa Vogt. Bei den Männern sind vom einstigen Top-Team ohnehin nur noch Benedikt Doll und Erik Lesser übrig, aufgerückt ist dafür der 24-jährige Justus Strelow, auf den die Strategen einiges setzen. Sicher sein kann sich dabei niemand, nach den ersten Rennen soll die Komposition noch einmal überprüft werden.

Zum Prinzip Aufmischen zählt aber auch immer die Chancengleichheit. Und weil die älteren Biathleten bei Wind, Kälte oder blendender Sonne sich ihre Tricks zusammengesammelt haben, gibt es eben doch etwas Welpenschutz, bei den jüngeren geht es zunächst nicht um Top-Plätze, sondern darum, ihr Talent punktuell zu bestätigen, etwa beim Schießen. "Die sollen das mit einer gewissen Gelassenheit angehen", sagt Eisenbichler.

Neue Wege beschreiten die deutschen Biathleten auch in den Trainingstraditionen, konkret: Man ist in diesem Sommer früher vom Höhentraining auf dem Gletscher heruntergekommen. Dort wird eigentlich die Konditionsgrundlage gelegt, manche DSV-Läufer brauchen aber etwas mehr vom Gegenteil, nämlich der Schnellkraft. Wenn etwa im Pulk des Massenstartrennens einer wie Norwegens Spitzenmann Johannes Thingnes Bö zum Zwischensprint ansetzt, dann reagieren die Konkurrenten entweder sofort, oder sie sind abgehängt. Um das noch besser zu schaffen, wurde das Training angepasst.

2023 sollte der Umbau abgeschlossen sein, da folgt der nächste Höhepunkt

Die Deutschen wappnen sich gegen eine drohende Miseren-Saison also mit dosiertem internen Druck und mit Varianten im Training, dazu kommt ein weiterer Kniff: Man besinnt sich auf das, was man in Zeiten verknappter Siegchancen im Einzel noch hat - das Prinzip Team. Die Saisonziele, die ja auch bei noch so großer Unsicherheit stets festgelegt werden müssen, sollen hauptsächlich von den Staffeln erreicht werden.

Dass der innere Konkurrenzkampf und die Ungewissheit mancher Akteure den Teamgeist untergraben könnten, das glaubt Eisenbichler nicht. Er erhofft sich einen gegenseitigen Effekt: "Die Jungen schauen viel von den Älteren ab, die Älteren merken: Da kommt jemand hoch, und das treibt sie wiederum an." Schließlich besteht im funktionierenden Kollektiv die größte Chance auf Podiumsplätze, und mit einem Erfolg im Rücken haben sich schon manche Biathleten auch in Einzelrennen wieder gesteigert.

Ob die Maßnahmen auch für die wenigen angepeilten Erfolge reichen, bleibt spannend. Denn der drohende erste Einbruch im deutschen Biathlon-Erfolg hat auch tiefere Gründe. Schon vor knapp einem Jahr hatte Eisenbichler erklärt, dass insbesondere bei den Frauen die Laufleistungen schnellstens verbessert werden müssen. Denn wer mit den Besseren in der Loipe mithält, gerät am Schießstand weniger unter Druck. Ein gewisses Tempo ist die Grundlage für dauerhaften Erfolg. Trotzdem braucht die Entwicklung einer Laufform ihre Zeit. Ideal wäre es, wenn im übernächsten Winter, also im Februar 2023, schon deutliche Fortschritte erzielt sind. Da folgen nämlich gleich noch mal so etwas wie Olympische Spiele. Zumindest für die deutschen Biathleten, bei der Heim-WM in Oberhof.

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