Am letzten Tag kam die Erlösung. Eine kleine zwar, Single-Mixed-Staffeln gehören nicht gerade zu den Prestige-Rennen im Biathlon, aber trotzdem: Mit dem dritten Platz von Selina Grotian und Justus Strelow hatten es am Sonntag doch noch Deutsche aufs Podium in Oberhof geschafft. Ein bis dahin weit entferntes Szenario, vor allem die Männer haderten am Schießstand, ausgerechnet bei ihrem Heim-Weltcup. 17 Patzer im Sprint, 25 in der Verfolgung – kein Wunder, dass die Konkurrenz die Trophäen überreicht bekam, das Maskottchen dazu – und die Deutschen auf ihrer eigenen Party überwiegend zerknirscht am Rand standen.
Aber das Gute am Biathlon ist ja: Der volle Rennkalender bietet den Athleten schnell die nächste Chance.
Und so kam es, dass nach drei trüben Tagen im Thüringer Wald tatsächlich Deutsche vorne mitmischten. Was vor allem daran lag, dass die Projektile aus den Waffen der Männer plötzlich wieder im Ziel landeten. Strelow zeigte, wie man die Nerven behält: Sein Schießen absolvierte er in der Single-Mixed-Staffel als einer der Besten, benötigte nur einen Nachlader. „Ich hatte heute einen guten Tag am Schießstand, eine gute Ruhe“, sagte er. Der 28-Jährige konnte wegen einer Erkrankung vor Oberhof einige Tage gar nicht trainieren, läuferische Defizite verhinderten bessere Platzierungen als seinen 18. und 17. Rang in Sprint und Verfolgung. In der abschließenden Mixed-Staffel traf Danilo Riethmüller dann alle Scheiben, auch Philipp Nawrath hielt sich mit drei Nachladern weitestgehend schadlos. Nach insgesamt drei Strafrunden der bis dahin treffsichereren Julia Tannheimer und Franziska Preuß blieb dann aber nur Rang fünf.

Zehn Jahre verspätetes Biathlon-Gold:„Und: Wir haben die Holländer überholt!“
Wegen eines russischen Dopingfalls wird Daniel Böhm im Alter von 38 Jahren nachträglich zum Olympiasieger von Sotschi erklärt. Den ehemaligen Biathleten kennen heute nur noch Insider – ob die Goldmedaille 2014 sein Leben verändert hätte? Ein Anruf.
Dennoch verabschiedeten sich die Männer mit freundlicheren Gesichtern aus Oberhof, als man vorab vermuten konnte: Vor diesem Sonntag hatten sie sich in ein tiefes Tal manövriert. Um die Tiefe zu ergründen, musste man am Samstag nur mal in die Augen von Philipp Horn schauen. „Ich bin richtig am Boden“, sagte Horn nach Platz 45 in der Verfolgung und gleich sechs Fehlern, „ich guck da hoch auf die Tribüne und sehe meine Familie, würde ultra gerne mitfeiern. Aber ich bin gerade nur enttäuscht.“ Auf den Podien in den Solorennen: Franzosen, jede Menge sogar, Norweger, aber keine Deutschen. Über einen 16. Platz von Nawrath ist bei ihnen niemand hinausgekommen.
Vor einem Jahr hatte sich noch Benedikt Doll den Sprintsieg in Oberhof geschnappt, nach seinem Karriereende klafft eine Lücke im deutschen Team. Philipp Nawrath, 31, als Zehnter der Gesamtwertung noch bester Deutscher, gelang in der Verfolgung die zweitbeste Laufzeit hinter Branchengröße Johannes Thingnes Bø. Nur werden dafür eben keine Trophäen oder Preisgelder überreicht. Und überhaupt, mit vier Fehlern am Schießstand war er in dieser Teildisziplin nicht konkurrenzfähig. Ein Grundsatzproblem wollte Sportdirektor Felix Bitterling aber nicht erkennen. Seine Theorie: „Das Problem ist zwischen den Ohren“, sagte er vor dem ZDF-Mikrofon. Zu vielen Athleten flatterten die Nerven vor dem Heimpublikum.
Auch Routiniers ließen sich von der Kulisse in Oberhof beeindrucken
Oberhof-Debütant Simon Kaiser hatte versucht, mit Atemübungen gegen die Nervosität anzukommen, aber am Schießstand konnte der 25-Jährige die Kulisse dann nicht ausblenden. „Da wird alles leise hinter einem, darauf ist man erst mal gar nicht vorbereitet“, sagte er, das typische Jubeln der Fans bei jedem Schuss hätte ihn dann völlig aus dem Konzept gebracht, „weil ich aktiv hingehört habe.“ Manche Erfahrungen muss man erst machen, um zu lernen. Doch auch seine weitaus geschulteren Kollegen schienen sich vom Publikum beeindrucken zu lassen. „Man weiß, man hat es selber in der Hand und muss ‚nur noch treffen‘. Das ist immer so einfach gesagt“, erklärte Philipp Nawrath, das Ruhefinden ist eben auch nach vielen Jahren noch eine Herausforderung. „Vielleicht muss man ein bisschen das Motto zurückholen: Nichts muss, alles kann.“
Im Nachwuchsbereich gibt es bei den Männern wenig Hoffnung auf Besserung
In den besten Nationen herrscht ein starker Konkurrenzkampf um die Startplätze im Weltcup, bei den Deutschen sieht die Situation anders aus. „Wir haben leider zu wenig von den Jungen, die früh in die nächste Serie aufsteigen und die richtig Druck machen“, sagte Felix Bitterling, für die Zukunft des deutschen Männerbiathlons stehen die Zeichen nicht gerade auf Besserung. Selbst im IBU-Cup, der zweiten Liga des Biathlons, stehen drei Norweger an der Spitze, wirklich junge deutsche Talente treten gerade nicht in Erscheinung. Auch Danilo Riethmüller, der mit Philipp Nawrath in diesem Winter für die einzigen Podestplätze der deutschen Männer in Einzelrennen im Weltcup gesorgt hatte, ist mit 25 Jahren dem Nachwuchsalter entwachsen.
Und so spielte die Stadionregie in Oberhof halt französische Klassiker ein, um die Erfolge der Konkurrenz zu untermalen: In fünf von sechs Rennen waren Französinnen und Franzosen auf den Podien vertreten. Auf Sprint-Siegerin Paula Botet folgte Lou Jeanmonnot als Beste in der Verfolgung, ein dreifacher Erfolg im Sprint der Männer unterstrich den Status der Sportnation: Sie können es bei beiden Geschlechtern und übertrumpfen damit gerade sogar die Norweger. „Da ist sehr viel Stolz und Befriedigung gerade“, sagte Männertrainer Simon Fourcade dem ZDF. Auch die Franzosen mussten allerdings so manche Durststrecke überstehen: Quentin Fillon Maillet, 2022 in Peking noch mit fünf Olympiamedaillen dekoriert, befreite sich mit dem Sprinterfolg nach fast drei Jahren ohne Sieg in einem Einzelrennen.
Schon am Mittwoch geht es für die Biathleten in Ruhpolding weiter. Wieder vor Heimpublikum also. Und immerhin bescherte der Sonntag in Oberhof noch ein paar gute Gefühle. „Man nimmt das Positive mit am letzten Tag“, sagte Justus Strelow. Biathlon zu Hause sollte ja vor allem auch: mehr Lust entfachen, als eine Bürde sein.