Biathlon:Nach dem Ausparken gleich aufs Gas

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Nach langer Leidenszeit gelingt Erik Lesser beim Weltcup-Auftakt ein furioses Comeback. Mit Platz drei im Einzelrennen erfüllt der 32-Jährige gleich die WM-Norm.

Von Saskia Aleythe, Kontiolahti/München

„Keine Ahnung, wie ich das geschafft habe“: Erik Lesser schaut nach seinem dritten Platz in Kontiolahti noch etwas erstaunt auf die Anzeigetafel. (Foto: Kalle Parkkinen/imago images)

Es ist noch gar nicht so lange her, da drückte Erik Lesser seine Ambitionen in seinem Sport mit recht anschaulichen Worten aus. Es war Februar, kurz vor der WM in Antholz, Lesser musste sich im IBU-Cup beweisen, der zweiten Liga des Biathlons, um überhaupt für ein Rennen in Südtirol in Frage zu kommen; vor allem das Laufen machte ihm damals Probleme. Lesser sagte also, er wolle "nicht auf den Skiern das Parkticket ziehen". So ungefähr hat sich das im vergangenen Winter für ihn angefühlt: wie Stehenbleiben in der eigenen Karriere.

Es waren Worte, die man erst mal über die Lippen bekommen muss, wenn man schon Olympiamedaillen gewonnen hat und Weltmeister geworden ist. Doch wer sich selber nicht schont, kommt manchmal am ehesten voran.

Die Höhen und Tiefen in seinem Sport hat der 32-Jährige schon ausgiebig kennengelernt, zum Saisonstart an diesem Wochenende in Kontiolahti hat er ehrgeizig ausgeparkt, gleich mit Vollgas raus auf die Rennstrecke: Nach 20 Kilometern in der finnischen Kälte stand plötzlich die Drei neben seinem Namen. Lesser guckte zur Anzeige und wieder zurück, noch einmal zum Bildschirm und wieder zurück. Dann streckte er die Arme nach oben und sackte erschöpft zusammen. "Vor einer Woche war ich nicht mal qualifiziert", sagte er später am ZDF-Mikrofon, "keine Ahnung, wie ich das geschafft habe."

Platz drei im Einzelrennen, der läuferisch anspruchsvollsten Disziplin im Biathlon, das ist gemessen an den Erfahrungen von Erik Lesser in den vergangenen eineinhalb Jahren tatsächlich ein furioses Comeback. Seine gute Form bestätigte er am Sonntag im 10-Kilometer-Sprint mit Platz neun; von den deutschen Athleten war nur Arnd Peiffer als Siebter besser.

Beste Deutsche am Samstag, abgeschlagen am Sonntag: die Oberwiesenthalerin Denise Herrmann. (Foto: Markku Ulander/Afp)

Mit seiner Rückkehr auf das Siegerpodest drängte Erik Lesser sogar Denise Herrmann in den Hintergrund, die etwas später nur um 0,8 Sekunden den Sieg verpasste (den sich die Italienerin Dorothea Wierer sicherte), tags darauf im Frauen-Sprint aber nicht mehr unter die besten 30 kam. Denn der Konkurrenzkampf im deutschen Männerteam ist größer geworden als in den Jahren zuvor - und Lesser hat nach einem Schlüsselbeinbruch im Sommer 2019 lange gekämpft, um wieder Anschluss zu finden. Das Abdrücken mit den Stöcken im Schnee machte monatelang Probleme, dazu kamen Rückenschmerzen. Die ersten Rennen im vorigen Winter beendete er auf den Rängen 33, 72, 70 und 82; er musste seinen Platz im Weltcup-Team räumen, konnte die WM-Norm nicht erfüllen.

"Manchmal bin ich schon ein bisschen neidisch auf Martin Fourcade, der im März aufgehört hat", sagte Lesser vor kurzem der Südthüringer Zeitung: "Der hat es echt gut, denn das Training wird im Alter nicht leichter, die Schmerzen dagegen werden mehr." Doch der Gedanke an Biathlon kitzelt Lesser noch; dass er zurückkommen kann, hat er ja bei der WM in Antholz gezeigt: Als Nachrücker durfte er die Single-Mixed-Staffel mit Franziska Preuß laufen, sie gewannen Silber. Auch in der Männer-Staffel bekam Lesser noch einen Startplatz und nahm Bronze mit nach Hause. Das Beweisen-Müssen hat danach freilich nicht aufgehört, und man kann schon auf den Gedanken kommen: Einem wie Erik Lesser tut das ganz gut.

Zu zehnt sind die deutschen Biathleten ins letzte Trainingslager nach Muonio gereist, einem Ort im hohen Norden Finnlands, fast neun Stunden Busfahrt von Kontiolahti entfernt - erst dort sollte sich entscheiden, wer weiter mit zum Weltcup reisen darf. Arnd Peiffer, Benedikt Doll, Johannes Kühn und Philipp Horn waren aufgrund der Vorjahresergebnisse gesetzt, Lucas Fratzscher als Gesamtsieger des IBU-Cups ebenso. Zwei weitere Startplätze wurden in Ausscheidungsrennen in Muonio ermittelt. Zweimal gewann Lesser, er setzte sich unter anderem gegen Simon Schempp durch, der immer noch mit seiner Form hadert. "Es zeichnet Erik aus, dass er da ist, wenn es um die Wurst geht", sagte Bundestrainer Mark Kirchner dem Freien Wort.

Dass es in Kontiolahti um die Wurst ging, merkte Lesser dann nach dem letzten Schießen: Nur eine von 20 Scheiben hatte er verfehlt, er lag zwischenzeitlich auf Rang fünf und bescherte sich mit einer erstaunlich flotten Schlussrunde den ersten Podestplatz in einem Individualrennen im Weltcup seit fast drei Jahren. Beim Überraschungssieg des fehlerfrei schießenden Norwegers Sturla Holm Laegreid wurde dessen Landsmann Johannes Thingnes Bö Zweiter, 19,6 Sekunden zurück wegen eines Fehlschusses; ohne Fehler hätte es für Lesser also zu Rang zwei gereicht. "Ich fühle mich seit ein paar Wochen ganz vernünftig auf dem Ski und habe ein gutes Gefühl. Ich kann absolut zufrieden sein", sagte er.

Die Nominierungsbedingung für die WM in Pokljuka hat er schon nach dem ersten Rennen erfüllt, doch der Konkurrenzkampf im eigenen Team um die Startplätze im Weltcup geht weiter. Dass sie bis zum nächsten Wochenende weitere Rennen in Kontiolahti vor sich haben, muss für Lesser nicht das Schlechteste bedeuten. Die Strecke liege ihm zwar nicht, hat er mal gesagt, 2015 war das. Da verabschiedete er sich vor der Reise nach Finnland von seiner Familie mit den Worten: "Viel braucht ihr von mir nicht zu erwarten." Zurück kam er dann als Verfolgungs-Weltmeister.

© SZ vom 30.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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