Biathlon: Miriam Gössner:Die Biathletin in ihr

Miriam Gössner hat mit 20 Jahren bereits Langlauf-Silber bei der WM und den Olympischen Spielen gewonnen. Der Beginn einer großen Langlauf-Karriere? Nein, Gössner ist lieber Biathletin.

Albert Linner

Wer sich in einem Biathlon-Rennen acht Schießfehler leistet, der kann nicht mehr gewinnen. Acht Schießfehler bedeuten acht Strafrunden. Das sind 1,2 Kilometer, die extra gelaufen werden müssen. Miriam Gössner unterlief dieses Malheur - sie gewann dennoch. Bei der Juniorenweltmeisterschaft 2009 im kanadischen Canmore holte sie sich am Ende mit elf Sekunden Vorsprung den Titel. Ein Ergebnis, das Gössners Ausnahmetalent in der Loipe zeigt, das aber auch deutlich macht, wo ihre große Schwäche liegt.

Miriam Gössner

Miriam Gössner: 2009 Juniorenweltmeisterin im Biathlon - mit acht Schießfehlern.

(Foto: imago sportfotodienst)

Es ist eine merkwürdige Geschichte, die der Biathletin Miriam Gössner, die bisher nur als Langläuferin wirklich erfolgreich war. Mit erst 20 Jahren ist sie im Langlauf bereits mit Olympia-Silber und der Vizeweltmeisterschaft dekoriert. Im Biathlon kann sie dagegen in ihren wenigen Weltcup-Einsätzen noch keine nennenswerten Erfolge nachweisen - nominiert für ein Großereignis war sie ohnehin noch nie. Schuld daran sind ihre, sagen wir, ausbaufähigen Darbietungen am Schießstand.

Dennoch will sich die 20-Jährige von nun an voll und ganz dem Biathlon widmen. "Langlauf ist für mich zurzeit kein Thema. Ich hoffe darauf, dass es im Biathlon klappt." Sätze, die Langlauf-Bundestrainer Jochen Behle so gar nicht gerne hören dürfte. Behle war es, der die damals 18-jährige Gössner 2009 zur Langlauf-WM nach Liberec mitnahm und sie quasi ins kalte Wasser warf. Mit Erfolg - das Ausnahmetalent führte die Frauen-Staffel zu Silber.

Seitdem buhlt Behle um Gössner und würde sie lieber heute als morgen dauerhaft in seinem Team begrüßen, zumal ihm durch Claudia Nystads Karriereende eine erfahrene Siegläuferin abhandengekommen ist. Gössners Entscheidung, trotz ihrer Langlauf-Erfolge auf Biathlon zu setzen, kann er nicht nachvollziehen: "Will ich auf der zweiten Ebene im Biathlon starten oder bei der ersten Garnitur der Langläufer dabei sein?" Das klang schon ungeduldiger als die Geschichte, nach der Behle gerne kalauert, Gössners Biathlon-Waffe zu manipulieren, damit ihr die Lust am Schießen vergeht.

In der Tat sind Gössners Motive zunächst nicht leicht nachzuvollziehen. In der vergangenen Saison hatte sie im Biathlon-Weltcup lediglich zwei Einsätze. Zu groß war die Konkurrenz in der traditionell starken Frauenmannschaft - und zu schwach ihre Schießleistungen. Im Langlauf-Team war dagegen immer ein Platz für die Garmischerin frei. Wie bei den Olympischen Spielen in Vancouver, wo sie - wie schon bei der WM in Liberec ein Jahr zuvor - ihren Startplatz in der Staffel sicher hatte und mit dieser Silber gewann.

Warum also um alles in der Welt, will Miriam Gössner unbedingt Biathletin sein? Kein Leichtathlet der Welt ist bisher auf die Idee gekommen, lieber Fußballspieler zu sein, bloß weil er schnell oder ausdauernd laufen kann. Biathlon genießt zwar in Deutschland ein höheres Prestige als Langlauf und ist seit geraumer Zeit eine der beliebtesten Fernseh-Sportarten der Deutschen. Und deshalb auch interessant für Sponsoren. Gössner sagt jedoch, das spiele bei ihrer Entscheidung keine Rolle.

Plan B ist immer möglich

Sie will stattdessen nicht den Weg des geringsten Widerstandes gehen, sondern sich in der Biathlon-Mannschaft etablieren. "Ich sehe mich als Biathletin, deshalb war es für mich nie ein Thema, damit aufzuhören." Zugute kommt ihrem Vorhaben, dass die deutschen Biathletinnen mitten in einem Prozess des Umbruchs stecken. Mit Kati Wilhelm, Martina Beck und Simone Hauswald haben nach der vergangenen Saison gleich drei langjährige Leistungsträgerinnen ihre Waffen in den Schrank gehängt. Jüngere Läuferinnen rücken jetzt in eine Mannschaft nach, in der Magdalena Neuner und Andrea Henkel als bekannteste Namen verblieben sind. Neben Gössner kämpfen Tina Bachmann, Kathrin Hitzer, Sabrina Buchholz und Juliane Döll um die begehrten Startplätze im Weltcup.

Nordische Ski-WM - Langlauf Damen - Miriam Gössner

"Wenn es im Biathlon nicht klappt, kann ich mir immer noch einen Plan B überlegen." Gössner hier beim Langlauf-Training.

(Foto: dpa)

Entsprechend tief hängt Miriam Gössner die Erwartungen an sich selbst: "Ich würde mich gerne überhaupt für die Weltcup-Mannschaft qualifizieren und dann mal eine ganze Saison mitmachen." Beim Weltcup-Auftakt an diesem Mittwoch im schwedischen Östersund hat sie gleich die erste Chance, die Trainer von sich zu überzeugen. Die gesetzte Neuner ist erkältet und wie schon im Vorjahr beim ersten Rennen nicht dabei. Daher sind alle sechs verbliebenen Starterinnen in den Kader für die erste Weltcup-Station gerutscht.

Damit bekommt Gössner in Schweden auch die erste Möglichkeit, sich für die Biathlon-WM im kommenden März im innermannschaftlichen Konkurrenzkampf in eine gute Position zu bringen. Die WM im sibirischen Chanty-Mansijsk ist allerdings nicht der einzige potentielle Saisonhöhepunkt. Denn nur zwei Wochen vor den Biathleten tragen die Langläufer ihre Weltmeisterschaftsläufe in Oslo aus. Auch eine Teilnahme an beiden Wettkämpfen, Biathlon und Langlauf, wäre für Gössner möglich: "Ich würde mich nicht dagegen wehren, wenn ich die Möglichkeit dazu hätte."

Die Nordische Ski-WM in der norwegischen Hauptstadt ist für Gössner nicht nur sportlich reizvoll. Norwegen ist das Heimatland von Gössners Mutter, sie selbst hat neben dem deutschen auch einen norwegischen Pass. Im norwegischen Fernsehen gibt sie Interviews in fließender Landessprache. "Deutschland ist mein Zuhause, aber Norwegen ist etwas ganz Besonderes für mich", sagt sie. "Ich will auch später unbedingt nach Norwegen ziehen." Dementsprechend übt die WM in Oslo eine hohe Anziehungskraft auf die Sportlerin aus: "Oslo wäre für mich der absolute Traum, weil meine Familie, meine Tante, meine Cousinen, dort wohnen. Wir haben so viele Verwandte und Bekannte in der Gegend, die würden alle kommen. Das wäre wie zu Hause laufen."

Gössners großer Bezug zum Heimatland ihrer Mutter wird auch bei ihren Vorbildern deutlich: Liv Grete Poirée, die norwegische Biathletin und Marit Bjørgen, die norwegische Langläuferin. Für das Land ihrer Idole zu starten, in dem zumindest die Biathlon-Mannschaft nicht ganz so dicht besetzt ist wie die deutsche, kommt für Gössner jedoch nicht in Frage: "Ich habe in Deutschland meine Ausbildung genossen, die Deutschen haben mich immer unterstützt. Dann macht man das nicht. Das wäre nicht fair, bloß weil es in Norwegen vielleicht leichter wäre."

Ihre Leistung am Schießstand wird entscheidend sein für Gössners Abschneiden in der kommenden Saison. Läuferisch ist sie bereits auf Augenhöhe mit den Top-Biathletinnen. Ein besonderes Augenmerk bei der Saisonvorbereitung mit dem neuen Frauen-Bundestrainer Ricco Groß lag daher auf der Optimierung des Schießens. "Ich glaube, Ricco Groß hat mir viel helfen können. Ich hoffe, dass es jetzt passt", sagt sie. Ein vager Wunsch, ausgesprochen mit einer Lässigkeit, die nur jemand hat, der noch einen Trumpf in seiner Hinterhand weiß. "Wenn es im Biathlon nicht klappt, kann ich mir immer noch einen Plan B überlegen." Eine Rückkehr zum Langlauf ist auch in zwei oder drei Jahren noch möglich. Jochen Behle würde jedenfalls mit manipuliertem Gewehr bei Fuß stehen.

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