Biathlon: Magdalena Neuner:Raus aus der alten Schublade

"Ich bin nicht mehr die, die zu allem ja und amen sagt": Biathlon-Olympiasiegerin Magdalena Neuner will wieder Spaß an ihrem Sport haben - nicht bloß den riesigen Erfolg und 200 Kuscheltiere.

Volker Kreisl

Irgendwann in der Dunkelheit waren sie wieder da, die Schmerzen. Büromenschen bekommen sie später im Winter, wenn das Immunsystem schwächer wird, die Biathletin Magdalena Neuner bekommt sie schon im November, in Finnland. Jenseits des Polarkreises wird der letzte Schliff angelegt, und auch diesmal wurde Neuner in dem Moment, als sie loslegen wollte, heimgesucht von abrupter Schwäche und dem Reizgefühl in der Lunge. Die Saison begann, der Infekt war wieder da.

Magdalena Neuner

"Ich mache mir keinen Stress. Mir fehlen einfach einige Trainingstage": Magdalena Neuner geht den Saisonauftakt unaufgeregt an.

(Foto: dpa)

Wintersportler kriegen öfter mal einen Husten, aber bei Neuner wird daraus eine Nachricht gemacht, nicht erst seit Olympia 2010. Sie hat Fans auch in Hamburg und in Israel, und es gibt welche, die warten am Absperrgitter auf ein Autogramm, andere packen im Dezember ein kleines Paket und schicken ihr ein Weihnachtsgeschenk, wieder andere kommen aber auch nach Wallgau und schauen in ihr Wohnzimmerfenster wie im Zoo.

Für all diese Menschen fängt die Biathlon-Saison wohl erst an diesem Freitag an. Denn da geht auch Neuner beim Weltcup-Sprint in Hochfilzen in die Spur. Sie ist wieder gesund, und doch ist es womöglich nicht mehr jene Neuner, die die Anhänger kennen.

Dem Anschein nach ist alles beim Alten. Neuner hatte wie in den Jahren zuvor nicht nur einen Infekt im Frühwinter, sondern diesmal auch einen im Spätsommer. Sie blieb dennoch gelassen, mittlerweile kann sie sich darauf verlassen, dass ihr Schieß- und Lauftraining richtig dosiert ist. Öffentliche Auftritte hat sie reduziert, aber sie ist noch außerhalb des Biathlons engagiert, zum Beispiel als Kuratoriumsmitglied der Münchner Olympiabewerbung 2018, als Augsburger Botschafterin für die Frauen-Fußball-WM 2011, und sie ist Patin für einen jungen Elch in Schweden, den Elch mit Namen Neuner.

Die alte Laufform wird sie wohl erst zu den wichtigen Terminen im Januar wieder bekommen. Neuner hat vor acht Tagen in Seefeld/Österreich mit vorsichtigem Training begonnen, vor allem mit Krafteinheiten. Sie sagt, sei ganz locker, auch wenn sie zunächst hinterherlaufen sollte: "Ich mache mir keinen Stress. Mir fehlen einfach einige Trainingstage." Auch das ist bekannt aus den vergangenen Jahren, und doch hat sich etwas geändert im Sommer. Es ist nicht an Resultaten abzulesen.

Im Februar hatte Neuner alles erreicht, was ihr Beruf an Zielen hergibt. Der Olympiasieg hatte in ihrer Titelsammlung noch gefehlt, jetzt hat sie zwei davon. Danach bekam sie jedoch Schwierigkeiten, sich neu zu motivieren, extra hat sie ihren Urlaub verlängert, und das Ergebnis klingt banaler, als es ist: Neuner stellt nicht mehr die Erfolge in den Vordergrund, sondern den Spaß an ihrem Sport. Dass sie es ernst damit meint, lässt sich an den Konsequenzen ablesen.

Sie betont zwar immer wieder, dass sie "richtig Lust hat, endlich wieder Rennen zu laufen", schreckte aber im November ihre Fans mit der Ankündigung auf, sicher nicht mehr bis Olympia 2018 weiterzumachen, und im übrigen nur noch von Jahr zu Jahr zu planen. Dahinter steckt eine Erkenntnis, die im Jubel und Lärm des Winters manchmal untergeht: "Sport", sagt Neuner, "ist nicht alles."

Verzerrtes Bild

Zur Freude am Biathlon dürften die Winterluft und der staubende Schnee in Hochfilzen gehören, genauso wie die Genugtuung, die ein einwandfreies Trefferbild hervorruft. Zur Freude zählt aber auch das Gefühl, als Mensch ernst genommen zu werden, und da hatte Neuner zuletzt ungeahnte Probleme. Bekannt wurde sie vor knapp vier Jahren wegen ihrer Erfolge, beliebt aber auch wegen ihrer Bodenständigkeit, und die wurde übermäßig illustriert mit Bildern von der strickenden und Harfe spielenden Lena.

Das Bild verzerrt die Wirklichkeit. Die Hobbys seien ein Teil ihres Lebens, sagt Neuner, "aber ich will darauf nicht beschränkt werden". Im Sommer warb sie für Dessous-Mode, sie sagt, ganz bewusst: "Ich wollte die andere Seite von mir zeigen, die Frau, ich wollte aus der alten Schublade raus."

Neuner ist 23 Jahre alt, und das ist das Alter, in dem Talente nicht mehr allen Trainern und Managern folgen. Schon im Februar hatte sich Neuner von ihrem Manager getrennt, ihre Termine lässt sie nur noch sehr zurückhaltend vereinbaren. Je berühmter sie wird, so erscheint es, umso mehr zieht es sie nach Hause, nach Wallgau, zu ihrem Freundeskreis, ihrer Familie und einem normalen Leben.

Deshalb wird sie auch, wenn sie nun Jahr für Jahr Stress und Spaß abwägt, überlegen, ob sie mit aufdringlichen Fans zurechtkommt. Die werden immer bei ihr klingeln, oder hineinschauen ins Fenster von Magdalena Neuner - und die Athletin wird weiterhin keine Mauer um ihr Anwesen bauen, sie findet, "das passt einfach nicht zu mir".

Magdalena Neuner sagt, "ich bin nicht mehr die, die zu allem ja und amen sagt", sie ist etwas unberechenbar geworden. Vielleicht sammelt sie weiter Titel für sich, den DSV und auch die Fans, vielleicht hört sie auch irgendwann plötzlich auf. Zurzeit erklärt sie, wie man ihr an Weihnachten einen Gefallen tun kann.

"Mir bringt es nichts, wenn ich zu Hause 200 Stofftiere habe", sagt sie: "Ich kann mich auch gar nicht bei allen bedanken." Neuner würde sich freuen, wenn nicht sie die vielen Geschenke bekäme, sondern das Geld Menschen gespendet wird, die es wirklich brauchen.

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