Biathlon in Oberhof:Ausverkauft war einmal

Weltcup Biathlon

Die Biathletin Vanessa Hinz beim Schießen - nicht immer schauten dabei viele Fans zu.

(Foto: dpa)

Marode Anlagen, kein Geld und jetzt wenden sich auch noch die Zuschauer ab: Der Biathlon-Standort Oberhof macht harte Zeiten durch - auch sportliche Gründe spielen eine Rolle.

Von Saskia Aleythe, Oberhof

Es wird ganz leicht gefährlich, wenn die Beine noch frisch sind. Die Athleten wissen das, doch dieses Phänomen in Oberhof ist trotzdem schwer zu beherrschen. Dort, wo es raus geht aus der Arena, hinauf auf den Birxsteig, wo die Zuschauer toben, hat schon so mancher sein Rennen verloren - weil er zu übermotiviert losstürmte und am Ende die Kraft fehlte. Diese Anfeuerung, sie kann ein Manko sein.

Insofern war es diesmal einfacher für die Sportler, denn der Trubel war geringer. Wenig Gerassel gleich weniger Tempo. Doch für die Organisatoren bedeutete dieser Weltcup: ein Zuschauer-Debakel, eines, das es so noch nicht gegeben hatte. Und das in einer Zeit, in der hinter der einst rosigen Zukunft von Oberhof viele Fragezeichen stehen. Die Anlagen? Marode. Die Finanzierung? Noch in der Planung. Das Wetter? Unbeständig. Und nun fehlen auch noch die Zuschauer.

2018 läuft die Lizenz für den Weltcup aus. Bis dahin sind dringende Nachbesserungen erforderlich, die der Weltverband IBU fordert. Er erinnere sich an eine erfolgreiche WM 2004 hier in Oberhof, sagte Präsident Anders Besseberg am Samstag, "aber seitdem hat sich nicht viel getan". Es müsse dringend der nächste Schritt umgesetzt werden.

Gerade erst flossen 2,6 Millionen Euro in ein neues Multifunktionshaus, die Athleten müssen sich nun nicht mehr in Containern umziehen. Auch die Schneeproduktion läuft jetzt nach IBU-Standards, ein Teich wurde errichtet, Schneekanonen wurden angeschafft. Ein neuer Streckenabschnitt wurde gebaut, ein riskanter Hügel mit S-Kurve kurz vorm Ziel - für die Spannung, wie die IBU das wollte. Die Athleten finden das eher gefährlich.

Will Oberhof im Weltcup bleiben, muss aber noch mehr getan werden. Und: Um die WM 2020 oder 2021 will sich der Ort ja auch bewerben. Dafür gelten noch schärfere Kriterien - die Kosten für die Umsetzung würden 27,1 Millionen Euro betragen, das hat eine Machbarkeitsstudie berechnet. Die Landesregierung in Thüringen hatte neue Gelder bisher nicht zugesagt, dieses Wochenende sagte Bodo Ramelow, neuer Ministerpräsident, in Oberhof neben der Strecke zwar, dass die Regierung alles tun werde, damit der Ort auch in Zukunft gut aufgestellt sei; konkrete Zahlen nannte er aber nicht. Mit dem Weltcup macht die Region jährlich einen Umsatz von etwa 20 Millionen Euro.

Den Zuschauereinbruch wird aber auch Ramelow vernommen haben. Dass an allen Tagen noch Karten zu haben waren, das hatte es in der Vergangenheit nicht gegeben in Oberhof, ausgebucht waren die Hotels im 1600-Einwohner-Ort und in der umliegenden Region sonst schon Monate zuvor. 2012 kamen an den fünf Tagen zusammen 100 500 Menschen. Die Bilanz diesmal: 66 000, kein Tag ausverkauft.

Zu viele Strapazen für die Besucher

Oberhof war einst ein Biathlon-Vorzeigeort, mit den modernsten Anlagen und der besten Stimmung rund um die Strecke. 1984 erstmals im Weltcup vertreten, ein Zentrum des Wintersports, in dem sich die Besten des Landes versammelten, Weltmeister und Olympiasieger aus Deutschland. Frank Ullrich, Katrin Apel, Frank Luck, Sven Fischer, Kati Wilhelm, Andrea Henkel - sie alle trainierten in Oberhof. Wegen ihnen kamen die Wintersport-Fans, nicht nur aus der Region. Doch nun wird die Begeisterung stärker auf die Probe gestellt. Wer Athleten live an der Strecke erleben will, muss bereit sein, Strapazen auf sich zu nehmen.

Biathlon ist kein Nachmittagsvergnügen, da muss Urlaub her, dieses Jahr lag der Weltcup auch nicht in den Ferien. Hotels buchen, in Bussen nach Oberhof gelangen, von dort aus mit dem Shuttlebus hoch zur Arena. Wer es einmal bis dorthin geschafft hat, bleibt oft acht Stunden, vertreibt sich die Zeit in den Gastronomie-Hütten. Mit Aussicht auf deutsche Spitzenleistungen macht das noch eher Spaß. Doch die gibt es im Moment nicht. Dass das deutsche Team derzeit einen Generationswechsel erlebt, ist deutlich spürbar. "Manch einer hat vielleicht nicht das richtige Verständnis dafür", sagte DOSB-Präsident Alfons Hörmann.

Tatsächlich war die deutsche Mannschaft ja gut in die Saison gestartet, drei Einzelpodestplätze gab es bei den Männern, die deutsche Frauenstaffel überraschte mit Platz eins in Hochfilzen - doch für den üppigen Zuschauerzuspruch aus den glorreichen Jahren, in denen stets jemand um den Sieg mitlief, reicht das eben nicht. "Wir sind noch nicht da, wo wir hinwollen", sagte auch DSV-Sportdirektorin Karin Orgeldinger, das Potenzial sei noch größer. "Die WM muss kommen, damit kommen ja auch neue Fördergelder."

Ein weiteres Stressthema ist das Wetter, seit Jahren erlebt der Ort Anfang Januar keinen vernünftigen Winter mehr. Zu wenig Schnee, Eisregen, zu viel Nebel, Wind, Tauwetter - irgendwas ist immer. Dass Wettkämpfe um Stunden verschoben werden, gehört längst zur Normalität. Dass die Bedingungen während eines Rennens kaum vergleichbar sind, ebenso. Kritik am Standort gibt es dann auch von den Athleten. Ob man den Ort aus dem Kalender streichen solle? "Das ist ein sehr ernstes Thema", meinte Darja Domratschewa, Massenstart-Siegerin vom Sonntag, "ich denke, man sollte darüber nachdenken."

Lob für die Organisatoren und Helfer gibt es zwar: "Die Leute hier schaffen es trotzdem immer wieder, dass der Weltcup stattfinden kann", sagte IBU-Chef Besseberg anerkennend. Über all die Frage- zeichen wird das kaum hinwegtrösten.

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